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PolitikAsien

Iran: Was folgt auf den Tod von Raisi?

20. Mai 2024

Der Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi wirft Fragen nach der politischen Zukunft des Landes auf. Expertinnen und Experten erwarten allerdings keine grundlegenden Änderungen.

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Raisis ehemaliger Vize Mohammed Mochbaer mit einem Bild des verstorbenen Präsidenten
Führt nun die Amtsgeschäfte Raisis: dessen bisheriger Vize Mohammed MochbaerBild: Iranian Presidency/Handout/Anadolu Agency/picture alliance

Unter welchen Umständen der iranische Präsident Ebrahim Raisi ums Leben kam, ist noch offen. Im Iran dürften nun viele Spekulationen die Runde machen, meint Sara Bazoobandi, Iran-Expertin beim German Institute for Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg. "Ursache könnte ein Unfall oder Materialermüdung gewesen sein, aber auch Sabotage, womöglich aus dem politischen Umfeld von Raisi. Nichts ist auszuschließen, alles ist denkbar."

So dürften die Iranerinnen und Iraner mit Spannung auf die kommenden Tage und Wochen schauen, in denen sich die Umstände des Absturzes des Präsidentenhelikopters auf dem Rückflug aus Aserbaidschan, bei dem neben Raisi auch Außenminister Hussein Amirabdollahian sowie neun weitere Personen ums Leben kamen, womöglich klären könnten. 

Bemühen um Ordnung und Normalität im Iran

Derweil versucht das Regime, Ordnung und Normalität im Land aufrecht zu erhalten. "Wir versichern, dass es nicht das geringste Problem in der Verwaltung des Landes geben wird", hieß es in einer Kabinettserklärung diesen Montagmorgen. Auch der Wächterrat betonte, dass es keinen Bruch in den Staatsgeschäften geben werde: "Mit Gottes Hilfe werden die Angelegenheiten der Nation und des Volkes ohne Unterbrechung weitergeführt", hieß es von seiner Seiten dieses Gremiums. 

Die Amtsgeschäfte werden nun von Raisis erstem Vize Mohammed Mochber geführt. Von dem obersten Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei erhielt er bereits den Auftrag, innerhalb von 50 Tagen Neuwahlen zu organisieren.

Die Ernennung Mochbers könnte bedeuten, dass aufgrund seines guten Verhältnisses zu den Revolutionsgarden diese künftig einen noch größeren politischen Einfluss haben könnten, schreibt Hamidreza Azizi, Politologe an der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), auf dem Kurznachrichtendienst X.  

Iran: Neuwahlen erwartet, Überraschungen nicht

Dass es innerhalb der vorgesehenen Frist zu Neuwahlen kommen werde, hält Sara Bazoobandi für sehr wahrscheinlich. "Allerdings kann man wohl davon ausgehen, dass es auch dieses Mal keine legitimen Wahlen sein werden, die Entscheidung der Bevölkerung widerspiegeln. Es werden Scheinwahlen abgehalten werden."

Die Wahlen fallen in eine für das Regime wie das gesamte Land sehr aufgewühlte Zeit. Für das laufende Jahr wird laut der Wirtschaftsinformationsgesellschaft Germany Trade and Invest (GTAI) eine Inflationsquote von 40 Prozent erwartet, die Arbeitslosenquote im Iran wird voraussichtlich die Zehn-Prozent-Marke übersteigen.

Immer häufiger greift das Regime zur Todesstrafe: Im vergangenen Jahr wurde sie der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zufolge 853 Mal vollstreckt - meistens im Zusammenhang mit Drogendelikten. Sechs Männer wurden aber auch anlässlich mit dem Massenprotesten von 2022 und ein Mann im Kontext der landesweiten Proteste vom November 2019 hingerichtet, so Amnesty. Auch gegen Frauen, die sich gegen das Regime stellen, geht das Regime mit Härte vor.

​Ebrahim Raisi in jungen Jahren
​​​​​​Ebrahim Raisi in jungen Jahren: Wegen seiner Rolle im Justizapparat bei der Hinrichtung zahlreicher Oppositioneller kurz nach der Revolution wird Raisi auch "Schlächter von Teheran" genannt. Bild: donya-e-eqtesad.com/

Auch dies trage dazu bei, dass sich voraussichtlich nur wenige Menschen an den Wahlen beteiligen werden, sagt Bazoobandi. "Sie trauen dem Regime nicht und haben auch kaum Hoffnung auf Veränderung. Zudem gehen viele Bürger gehen davon aus, dass das Ergebnis ohnehin bereits vor den Wahlen feststeht."

Ähnlich sieht es auf X auch Hamidreza Azizi von der SWP. Wähler in den nächsten 50 Tagen zu mobilisieren, sei eine große Herauforderdung. An den Parlamentswalen nahem kürzlich nur acht Prozent der Wahlberechtigten teil.

Nicht auszuschließen sei, dass der Tod Raisis eine Nachfolgekrise auslösen könnte, schrieb auf X der Politologe Karim Sadjadpour von der Carnegie Stiftung. Die interessanteste Frage sei, wer Raisi ersetzen könnte, meint Bazoobandi. "Es ist nicht auszuschließen, dass es sein bisheriger Vizepräsident ist."

Wer wird Nachfolger von Revolutionsführer Ali Chamenei?

Da der verstorbene Präsident auch als Nachfolger des 85 Jahre alten Revolutionsführers Ali Chamenei galt, dürfte sein Tod auch die Debatte um die absehbar anstehende Besetzung dieses Amtes neu entfachen. Als ein möglicher Kandidat gilt Chameneis Sohn Modschtaba Chamenei. Diese Entscheidung dürfte aber bei weiten Teilen der Bevölkerung auf Ablehnung stoßen, schreibt Sadjadpour. Proteste seien in diesem Fall nicht auszuschließen.

Sara Bazoobandi hingegen hält neue Proteste für eher unwahrscheinlich. "Die Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini vor zwei Jahren hat das Regime mit derartiger Brutalität niedergeschlagen, dass die oppositionelle Bevölkerung doch in großen Teilen entmutigt ist." 

Staatsführer Ali Chamenei (l) und Präsident Ebrahim Raisi
Staatsführer Ali Chamenei (l) und Präsident Ebrahim RaisiBild: leader.ir

"Raisi war eine Marionette"

Ebenso sei auszuschließen, dass es zu einem Kurswechsel des Regimes kommen werde. "Raisi hat von Chamenei seine Anweisungen erhalten", sagt Sara Bazoobandi. "Er war eine Marionette. Und bei dem nächsten Präsidenten wird es nicht nennenswert anders sein."

Ähnlich sieht es auch Mohammad Ali Shabani, Herausgeber der mit der Entwicklung Irans befassten Webseite Amwaj.media. "Vorgezogene Präsidentschaftswahlen könnten Chamenei und den oberen Rängen des Staates die Möglichkeit bieten, einen gesichtswahrenden Kurswechsel vorzunehmen und desillusionierten Wählern einen Weg zurück in den politischen Prozess zu eröffnen", so Shabani. Dies würde jedoch eine strategische Kehrtwende erfordern, den immer kleiner gewordenen politischen Kreis zu erweitern.

Ähnliche Einschätzungen kommen auch aus dem politischen Berlin. "Die Grundausrichtung der iranischen Politik wird unverändert bleiben", so der  außenpolitische Sprecher der SPD, Nils Schmid. "Das autoritäre System ist stabil genug, um mit dem Tod des Präsidenten umzugehen." An der fehlenden Legitimität und Reformunfähigkeit der Mullah-Herrschaft in Teheran werde sich nichts ändern.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika