Libanon / Israel: Warum Hisbollahs Schutzmacht Iran schweigt
28. September 2024Offiziell befinden sich Israel und Libanon nicht im Krieg. Aber die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte IDF gehen massiv gegen die Hisbollah-Miliz vor. Am Samstagvormittag erklärten sie, Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah getötet zu haben.
Die Hisbollah, die erhebliche Teile des Libanon faktisch regiert, wird von mehreren Ländern, darunter den USA und Deutschland, als terroristische Organisation eingestuft. Die Europäische Union klassifiziert zumindest ihren bewaffneten Flügel als terroristische Gruppe. Die schiitisch-islamistische Miliz wird im Wesentlichen vom Iran finanziert, ausgerüstet und ausgebildet.
Als entsprechend groß gilt der Einfluss des ebenfalls schiitischen Mullah-Regimes auf die Hisbollah. Neben der Konfession verbindet beide das erklärte Ziel, den Staat Israel zu zerstören. Umso auffälliger ist, wie bedeckt sich Teheran angesichts der massiven Schläge gegen seinen Verbündeten im Libanon hält.
Experten bezweifeln Kriegsbereitschaft des Iran
"Der Iran scheint zu zögern, die Hisbollah direkt zu verteidigen, weil das eine direkte militärische Konfrontation mit Israel zur Folge hätte", sagte Burcu Özcelik, Senior Research Fellow für Sicherheit im Nahen Osten am Royal United Services Institute (RUSI) in London, der DW.
Auch Fabian Hinz, der am britischen International Institute for Strategic Studies (IISS) auf Verteidigung und militärische Analysen spezialisiert ist, sagte der DW: "Ein großes Eingreifen, eine wirkliche militärische Intervention des Iran mit all seinen zur Verfügung stehenden militärischen Machtmitteln, halte ich für sehr unwahrscheinlich."
Hamidreza Azizi, Forscher am Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit, liefert eine weitere Erklärung. "Die iranische Führung glaubt, dass der Konflikt noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass er für die Hisbollah eine existenzielle Bedrohung darstellt", sagt er der DW. Bisher sei die Hisbollah immer noch in der Lage, sich zu verteidigen und diese Phase des Konflikts ohne größere Verluste zu überstehen. Genau dies hatte der iranische Vizepräsident Javad Zarif Anfang der Woche erklärt: "Wir glauben, dass die Hisbollah in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen."
Allerdings, so Azizi, stelle sich auch die praktische Frage, was der Iran effektiv für die Hisbollah tun könnte, das die Schiitenmiliz nicht selbst könne: "Die geografische Entfernung des Irans schränkt seine Fähigkeit ein, direkte militärische Unterstützung anzubieten."
"Die Abschreckungskraft des Iran ist geschwächt"
Im vergangenen April hatte der Iran einen groß angelegten Angriff mit Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen auf Israel gestartet, ohne größeren Schaden anzurichten. Das habe die Abschreckungskraft des Iran geschwächt, meint Analyst Hinz. "Dementsprechend würde auch jede weitere militärische Intervention im Rahmen dieses Konfliktes das große Risiko bergen, dass man eventuell seine eigene Unfähigkeit offenbart, Israel massiven Schaden zuzufügen."
Darüber hinaus, sagt Azizi, hätten Israels jüngste Tötung des Hamas-Führers Ismail Hanija mitten in der iranischen Hauptstadt Teheran sowie die Pager-Angriffe auf Hisbollah-Mitglieder "das Ausmaß von Israels nachrichtendienstlicher Reichweite im Iran und in der gesamten Region weiter verdeutlicht". Israel hat die Urheberschaft der Pager-Explosionen bisher weder bestätigt noch dementiert.
Die Ideologie hinter Irans Strategie
Für IISS-Analyst Hinz deckt sich die Haltung Teherans mit der innenpolitischen Strategie der Mullahs: "Der Iran hat immer wieder klargemacht, dass für ihn das Überleben des iranischen Regimes absolute Priorität hat." Dies sei nicht nur "zynische Machtpolitik im Hinterzimmer", das Überleben des Staates sei sogar ideologisch verankert, erklärt Hinz: "Man hat gesagt, der schiitische Islam könne nur überleben, wenn das iranische System überlebt. Und dementsprechend möchte man sich für die Unterstützung der Hisbollah selber nicht in substanzielle Gefahr bringen."
Doch es scheint noch einen weiteren Grund für Teherans Schweigen zu Israels Angriff auf die Hisbollah zu geben: "Wir haben gesehen, wie (der iranische Präsident Massud - Anm.d.R.) Peseschkian bei der UN-Generalversammlung in New York versöhnliche Botschaften an den Westen sandte, indem er von der Bereitschaft des Irans sprach, die Atomgespräche wieder aufzunehmen", sagt RUSI-Forscherin Özcelik. Die USA hatten das internationale Abkommen über die zivile Nutzung der Kernkraft im Iran von 2015 im Jahr 2019 unter Präsident Donald Trump aufgekündigt.
"Iran wartet auf richtigen Zeitpunkt"
Sollte die Hisbollah allerdings zentrale Bausteine ihres strategischen Waffenarsenals und damit ihre Fähigkeit zum Gegenangriff verlieren, meint Özcelik, wäre der Iran jedoch verwundbar.
"Das könnten zur Folge haben, dass der Iran seine Abschreckung gegen einen israelischen Angriff auf iranische Atomanlagen verlieren könnte". Dasselbe könnte auch für Irans Ölraffinerien und andere kritische nationale Infrastrukturen gelten, so Özcelik zur DW.
Sie glaubt, dass der Iran Zeit gewinnen will, um einen neuen Ansatz zu entwickeln, mit dem die strategischen Fähigkeiten und die nachrichtendienstliche Infrastruktur der Hisbollah wiederhergestellt werden können.
Für wahrscheinlicher als ein militärisches Eingreifen hält auch Fabian Hinz neue Waffenlieferungen an die Hisbollah oder die Entsendung von Beratern: "Der Iran hat sich auf immer wieder auf nichtstaatliche befreundete Akteure und sogenannte Proxys verlassen, um Israel anzugreifen." Neben der Hamas im Gazastreifen und der Hisbollah im Libanon sind auch die Huthi-Rebellen im Jemen und schiitische Milizen im Irak mit dem Iran verbündet.
Durch das Säen von Chaos und Instabilität durch solche Stellvertretergruppen habe der Iran bisher direkte Folgen des Konflikts vermieden hat, meint auch Özcelik: "Die Iraner sind weit weg von den unmittelbaren Kämpfen", sagt sie. "Palästinenser und Libanesen dagegen sind mittendrin."
Aus dem Englischen von Jan D. Walter