Nach dem Terror ist vor dem Terror
28. Dezember 2017"Der Kampf ist heute nicht gewonnen." Innerhalb der nächsten Monate brauche es darum vor allem eines: "deutliche Siege unserer Streitkräfte gegen die Terroristen." Es waren klare Worte, mit denen sich der französische Präsident Emmanuel Macron während seines Besuchs in Niger kurz vor Weihnachten zum Stand des Kampfes gegen den Terror äußerte. Dabei gibt es in dem Sahel-Staat bisher ebenso wenige Erfolge zu verzeichnen wie in den anderen Ländern der Region.
Im Tschad, in Mali und eben im Niger - überall habe sich seit Jahren dschihadistische Truppen festgesetzt. Und überall ist die Aussicht alles andere als gut, sie zu besiegen und ihre Ideologie unschädlich zu machen. Zumindest müssten sich die französischen und anderen westlichen Truppen im Verbund mit den lokalen Kräften erheblich anstrengen, um den Dschihadismus unter Kontrolle zu bringen.
IS will afrikanische Präsenz erweitern
Nicht umsonst gibt Macron eine Zeitspanne von sechs Monaten vor. Denn nachdem die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) in Syrien und im Irak weite Teile ihres Herrschaftsgebietes verloren hat, versucht sie nun, das verlorene Terrain anderswo - auch im westlichen Afrika - wieder gut zu machen. Wie gefährlich und schlagkräftig die IS-Kämpfer sind, zeigte sich kürzlich in eben jenem Land, in dem Macron nun größere Anstrengungen fordert: im Niger. Anfang Oktober stießen dort an der Grenze zu Mali US-Militärs und nigrische Truppen mit IS-Kämpfern zusammen. Der Kampf kostete vier amerikanische und fünf einheimische Soldaten das Leben.
Der IS "hat den Ehrgeiz, seine Präsenz zu erweitern", kommentierte US-General Joseph Dunford die mutmaßliche Afrika-Strategie der Dschihadisten. Das US-Militär, erklärte er nach dem tödlichen Zusammenstoß, werde bei US-Präsident Trump und Verteidigungsminister Jim Mattis auf eine Aufstockung der Präsenz in Afrika drängen - als Reaktion "auf das, was wir als Bedrohung sehen und als Bedrohung der Zukunft weiterhin erwarten." Ähnlich äußerte sich auch US-Senator Lindsey Graham. "Der Krieg verändert sich", erklärte er. "Wir werden in Afrika mehr Einsätze erleben, nicht weniger."
Bereits jetzt haben die USA 1300 Mann ihrer Spezialkräfte in Afrika stationiert. Frankreich hat 4000 Soldaten in der Region stationiert, die im Kampf gegen den Dschihadismus Unterstützung leisten sollen. Die Geberländer - unter ihnen auch Saudi-Arabien - haben bislang 300 Millionen Euro gesammelt, um den Einsatz zu finanzieren. Im Januar soll es in Saudi-Arabien ein Koordinierungstreffen geben, ein weiteres dann im Februar in Brüssel.
"Mali ist unser Afghanistan"
Ob Gelder und Truppen reichen werden, die Ausbreitung des Dschihadismus in der Region aufzuhalten oder diesen sogar zurückzudrängen, ist offen. Die Herausforderungen, vor denen das Bündnis steht, sind gewaltig. "Mali ist unser Afghanistan", schrieb im November Christophe Ayad, Nahost- und Afrika-Analyst der französischen Zeitung Le Monde. In beiden Ländern glichen sich die Muster: Zunächst ein militärischer Triumph, dann ein misslungener Wiederaufbau und im Anschluss daran ein allmählicher sich ausbreitender neuer Aufstand, brutaler und politisch geschickter geführt als der vorhergehende.
Die Gründe seien komplex: Das Engagement der westlichen Einsatzkräfte würden auf Dauer sinken - ganz wesentlich auch deshalb, weil sie das Vertrauen in ihre lokalen Partner vor Ort verlören. "Die lokalen Behörden hingegen werden durch ihre westlichen Schutzmächte an den Rand gedrängt. Diese sagen ihnen, was sie zu tun haben, obwohl sie die Bedingungen vor Ort nicht verstehen - so etwa die Frage, wie man mit jenem Klan, Stamm, jener politischen Fraktion und jener Miliz umzugehen hat." Währenddessen breiteten die Dschihadisten sich weiter aus.
Bedingungen für Ausbreitung des Dschihadismus
Die Ausbreitung des Dschihadismus wird einer Studie des amerikanischen Think Tanks NSI zufolge von einer ganzen Reihe von Faktoren bestimmt. Ideologisch sei die Sahel-Zone ein eher schwieriges Gebiet für Dschihadistengruppen wie Al-Kaida und den IS, so die Studie. Die Menschen der Region seien generell keine religiösen Eiferer. Allerdings habe sich die Anfälligkeit für entsprechende Bewegungen durch die Ausbreitung des Wahhabismus, der in Saudi-Arabien heimischen Deutung des sunnitischen Islam, auch in der Sahel-Zone erhöht.
Das Interesse, das dschihadistische Bewegungen auslösen könnten, hänge zudem von weiteren Voraussetzungen ab, etwa von konkreten politischen und ökonomischen Missständen vor Ort. Auch die politische Legitimität der jeweiligen Regierungen der einzelnen Länder spiele eine Rolle. Insgesamt sei das Risiko einer Ausbreitung des Dschihadismus in der Sahel-Zone groß. Denn weite Teile seien praktisch keiner Staatsgewalt unterworfen. Zudem sei sie "die ärmste mehrheitlich von Muslimen bewohnte Region in der Welt, mit insgesamt schwachen Regierungen und einer fehlenden nationalen Identität der jeweiligen Länder."
Ein Mix von Schwächen
Diese Bedingungen treffen auch auf weitere Staaten in Subsahara-Afrika zu - etwa Burkina Faso, die Elfenbeinküste, und Nigeria. "Während sich die Voraussetzungen für die Verletzlichkeit durch den Dschihadismus in diesen und anderen Ländern Westafrikas auf jeweils eigene Weise zusammensetzen, ist ihnen allen doch ein großer Mix von Schwächen gemeinsam, die alle zur strukturellen Zerbrechlichkeit der Region beitragen", heißt es in der NSI-Studie.
All dies hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dazu bewogen, zur Eile im Kampf gegen den Dschihadismus zu mahnen. Doch er dürfte auch wissen, dass Zeit nur einer von vielen Faktoren im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus ist. Um diesen Kampf zu gewinnen, braucht es paradoxerweise vor allem eines: Zeit. Sehr viel Zeit.