Ismael: "Begegnung auf Augenhöhe"
3. Juli 2014DW: Herr Ismael, im WM-Viertelfinale trifft die französische Mannschaft auf das deutsche Team - die bislang wohl schwierigste Aufgabe für die Deutschen. Wo liegen die Stärken der Franzosen?
Valerien Ismael: Die Franzosen sind gewachsen während des Turniers. Sie haben sich geschlossen als Mannschaft präsentiert. Sie sind füreinander da. Das war 2010 nicht der Fall und das macht die Franzosen gefährlich. Natürlich besitzen sie auch individuelle Qualitäten, zum Beispiel im Mittelfeld mit Blaise Matuidi und Paul Pogba, zwei zweikampfstarken Spielern, die auch technisch sehr gut sind. Karim Benzema natürlich, der vorne die Tore macht oder die Vorlagen gibt und der kleine Mathieu Valbuena auf der rechten Seite, der die ganze Zeit sehr flott unterwegs ist. Außerdem haben sie eine Innenverteidigung, die zwar sehr jung ist, aber auch sehr robust und zweikampfstark.
Ist es für die französische Mannschaft ein besonderes Spiel, weil es gegen Deutschland geht?
Ja, das ist immer etwas Besonderes, gerade bei einer Weltmeisterschaft. Da ist immer Brisanz drin seit 1982. Die Bilder kommen immer wieder hoch. Deshalb ist es immer außergewöhnlich, gegen Deutschland zu spielen.
1982 und 1986 scheiterte Frankreich jeweils im WM-Halbfinale an den Deutschen. Damals galten die Franzosen um Michel Platini als die Künstler, die Deutschen eher als technisch limitierte Kämpfer und Dauerläufer. Wie wird der deutsche Fußball heute in Frankreich gesehen?
Das hat sich gewandelt. Man sieht deutlich, dass die Deutschen die besseren individuellen Spieler haben - zumindest aus meiner Sicht. Sie sind technisch stärker als die Franzosen. Aber die Franzosen besitzen eine Mischung aus körperlicher Stärke und Robustheit im Zweikampf. Deutschland lebt schon von den technischen Fähigkeiten, die beispielweise ein Toni Kroos, ein Philipp Lahm oder ein Mesut Özil mitbringen.
Ganz Fußball-Deutschland diskutiert vor dem Viertelfinale darüber, wo Joachim Löw seinen Kapitän Philipp Lahm aufstellen soll - im defensiven Mittelfeld oder doch lieber auf der rechten Abwehrseite. Sie haben selbst mit Philipp Lahm zusammen gespielt, wo würden Sie ihn aufstellen?
Ich kann nachvollziehen, warum der Bundestrainer ihn auf die Sechser-Position stellen möchte. Philipp Lahm ist ein sauberer Spieler, der immer klare Bälle spielt, auch gegen den Ball immer gut positioniert ist und ein Super-Timing im Zweikampf hat. Er ist immer anspielbar und verliert wenige Bälle. Damit erfüllt er das Anforderungsprofil von Spielern, die man im Spielaufbau braucht. Philipp kann als Rechtsverteidiger, als Linksverteidiger und im Mittelfeld spielen und er spielt auf allen Positionen immer mit einer Top-Leistung. Es ist nicht einfach, aber ich kann die Entscheidung von Joachim Löw gut nachvollziehen. Ich würde ihn auch im Mittelfeld spielen lassen.
Sie haben die französische und die deutsche Staatsbürgerschaft. Für wen schlägt denn Ihr Herz, wenn es um den Einzug ins WM-Halbfinale geht?
Das ist sehr schwierig. Zum ersten Mal kann ich keinen Tipp abgeben. Ich weiß nur, dass ich nach dem Spiel nicht weinen, sondern mich freuen werde - egal, wer weiterkommt. Ich freue mich auf das Spiel. Ich bin wirklich gespannt, weil das eine Begegnung auf Augenhöhe ist. Es wird sehr interessant.
Valerien Ismael (38) wuchs in Straßburg auf, direkt an der deutsch-französischen Grenze. Als Profi spielte er für Racing Straßburg, den RC Lens und Crystal Palace in England, bevor er 2003 zu Werder Bremen in die Bundesliga wechselte. Bayern München (2005 - 2007) und Hannover 96 (2008 - 2009) waren seine weiteren Stationen. Wegen anhaltender Knieprobleme beendete er seine aktive Karriere und wechselte ins Trainerfach. Nach einem Engagement bei der 2. Mannschaft des VfL Wolfsburg trainiert er seit diesem Sommer den 1. FC Nürnberg in der 2. Bundesliga. Ismael spielte in mehreren französischen Jugend-Nationalmannschaften. Er besitzt neben der französischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft.
Das Interview führte Andreas Sten-Ziemons.