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Politik

Israel: Comeback der Arbeitspartei?

16. März 2021

Israels einst mächtige Arbeitspartei kämpft ums politische Überleben. Kurz sah es so aus, als misslinge bei den anstehenden Wahlen gar ihr Wiedereinzug ins Parlament. Doch die neue Parteichefin gibt sich kämpferisch.

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Israel Wahlen Merav Michaeli
Wahlkampf in der Menschenmenge: In einem gut besuchten Einkaufszentrum wirbt Merav Michaeli für ihre ArbeitsparteiBild: Tania Krämer/DW

Ein weiträumiges Einkaufszentrum nahe der israelischen Kleinstadt Rehovot: Nach drei langen Lockdowns sind die Geschäfte hier wieder voller Menschen. Merav Michaeli, die neue Chefin der Arbeitspartei, bahnt sich ihren Weg durch die vielen Einkaufswilligen. Alle paar Meter muss sie anhalten - für ein kurzes Gespräch, ein Selfie, eine Nachfrage. Dank einer schnellen Impfkampagne hat das Land vor wenigen Wochen damit beginnen können, die Pandemie-Beschränkungen wieder aufzuheben. Und doch ist es noch ungewohnt, eine Politikerin im Wahlkampf inmitten einer Menschenmenge zu sehen. Die meisten Wahlkampftermine finden noch immer online statt. Am 23. März müssen die Israelis zum bereits vierten Mal innerhalb von zwei Jahren an die Wahlurnen, um ein neues Parlament wählen.

Israel: Neue Freiheiten für Geimpfte

Alte Partei mit neuer Hoffnung

Merav Michaeli, 54, gilt als neue Hoffnung der israelischen Arbeitspartei. Die sozial-demokratische Ha Avoda, so der hebräische Name, war Jahrzehnte lang die dominierende Partei in Israel. Doch zuletzt hatte sie immer mehr an politischem Gewicht verloren. Bei den vergangenen drei Wahlen kam sie gerade einmal auf sechs bis sieben der 120 Sitze in der Knesset, dem israelischen Parlament. Weit entfernt von der einstigen Regierungspartei, die 1992 unter Jitzhak Rabin noch 44 Parlamentssitze gewann. "Jeder war so sicher, dass die Arbeitspartei tot ist. Das es nicht möglich ist, sie wieder zum Leben zu erwecken. Aber ich wusste, dass das nicht stimmt," sagt Merav Michaeli in einem Interview mit der DW bei ihrem nächsten Wahlkampftermin in einem nahegelegenen Kibbuz. "Die Arbeitspartei hat die Rolle, den zionistischen Traum zurückzubringen: ein Zuhause für das jüdische Volk, Gleichheit für alle, eine gerechte Gesellschaft und Sicherheit für alle durch das Streben nach Frieden. Israel braucht eine starke, regierungsfähige Partei im Mitte-Links-Lager. Und das ist es, was ich wiederaufbauen will."

 Israel Premierminister Yitzhak Rabin
Ex-Premier Yitzhak Rabin war der prominenteste Vertreter der israelischen ArbeitsparteiBild: picture-alliance/AP Photo/N. Harnik

Aber es ist eine schwierige Aufgabe. Das linke Lager in Israel ist klein und fragmentiert - und die politische Rechte, angeführt von Israels langjährigem Ministerpräsident Benjamin Netanjahus Likud-Partei, dominiert die israelische Politik. Auf Michaelis Weg durch das Einkaufzentrum rufen einige Passanten auf hebräisch "Rag Bibi" - "nur Bibi". Es ist der wohl bekannteste Slogan von Anhängern von Benjamin "Bibi" Netanjahu. Michaeli ist das gewohnt, trotz ihrer Maske verraten ihre Augen ein Lächeln, selbst bei einer kurzen Diskussion mit Likud-Anhängern. Aber sie hat auch eine klare Botschaft: "Netanjahu war zwölf Jahre lang ununterbrochen an der Macht. Es ist ein Muss, dass er geht," sagt Michaeli. "Ohne Netanjahu können wir beginnen, unsere Demokratie wiederaufzubauen, unsere Politik und den gesamten öffentlichen Bereich, der solange unter seinem Einfluss stand."

"Schlimmster Job in der israelischen Politik"

Den Parteivorsitz hat sie erst im Januar übernommen, viel Zeit hat sie also nicht, um die Partei bis zur Wahl wieder fit zu machen. "Sie ist die zehnte Parteichefin in 20 Jahren. Und das ohne diejenigen mitzuzählen, die den Posten zweimal innehatten. Willkommen im schlimmsten Job in der israelischen Politik," kommentierte Anshel Pfeffer in der Tageszeitung Ha'aretz nach ihrem Wahlsieg. Michaeli, ehemalige Journalistin, immer schwarz gekleidet, ist eine bekannte Persönlichkeit in Israel. Seit 2013 als Abgeordnete in der Knesset, gilt sie als progressive Politikerin, die sich unter anderem für Frauen- und LGTBQ-Rechte einsetzt. Sie gehört zu denjenigen, die noch eine Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinensern für möglich halten, und verweist dabei oft auf den Ansatz "Sicherheit und Frieden" ihres früheren Parteichefs und Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin.

Friedesprozess in Oslo 1993
Yizhak Rabin (li.) und Yassir Arafat bei der Einigung auf den Osloer Friedensvertrag im Jahr 1993Bild: Reuters

In den 1990er Jahren galt die Arbeitspartei als Herzstück des sogenannten 'linken Friedenslagers'. Rabin und der damalige palästinensische PLO-Chef Yasser Arafat unterzeichneten 1994 den Osloer Friedensvertrag. Im folgenden Jahr wurde Rabin von einem jüdischen Rechtsextremisten ermordet. Die anfängliche Hoffnung auf möglichen Frieden verflog und endete spätestens mit dem Ausbruch der zweiten palästinensischen Intifada im Jahr 2000. "Nach dem Kollaps des Friedensprozesses mit den Palästinensern hat die Arbeitspartei irgendwie ihren politischen Kompass verloren," sagt Maoz Rosenthal, Politikwissenschaftler am Interdisciplinary Center of Herzliya (IDC). "Andere im israelischen politischen System hatten Antworten auf politische Fragen, die klarer oder besser ankamen."  Das Friedenslager wurde weitgehend an den Rand gedrängt. Mehr als die Hälfte der israelischen Wähler unterstützt mittlerweile das rechte politische Lager und die militärische Besatzung der palästinensischen Bevölkerung.

Den Weg in die politische Bedeutungslosigkeit führt Michaeli auf eine jahrelange Diffamierungs- und Delegitimierungskampagne der israelischen Linken durch Netanjahu und den rechten Block zurück. "Ich denke, wir hatten wirklich einen Tiefpunkt erreicht," sagt Michaeli zur jüngsten Partei-Geschichte und übt gleichzeitig harte Kritik an der eigenen Parteiführung. Ihr Vorgänger Amir Peretz und ein weiterer Abgeordneter hatten bei der letzten Wahl ihr Wahlversprechen gebrochen und waren als Minister der Netanjahu-Regierung beigetreten.

Zuhause für Mitte-Links Wähler

Heute betont Merav Michaeli den Mitte-Links Charakter der Partei, die unter ihrer Führung eine Art Revival zu erleben scheint. Meinungsumfragen, die vor kurzem noch den Wiedereinzug der Arbeitspartei in die Knesset in Zweifel zogen, trauen der Partei bei den anstehenden Neuwahlen nun wieder rund sieben Sitze zu. Vor allem weibliche Wähler fühlen sich angesprochen. "Ich denke, sie hat sich in ihrer Zeit als Abgeordnete bewiesen", sagt eine junge Frau, die zuvor die linke Meretz-Partei gewählt hat. "Und ich mag ihre feministische Haltung in politischen Fragen." Renterin Tamar Levi traut Michaeli zu, die gesellschaftlichen Risse im Land zu überbrücken. Und: "Sie ist die einzige Frau an der Spitze einer Partei, das allein ist doch schon großartig", so die Arbeitspartei-Stammwählerin.

Coronavirus Israel | Ministerpräsident Netanjahu
Wenn es nach dem Willen von Merav Michaeli geht, soll Benjamin Netanjahu nach zwölf Jahren als Premierminister Israels abgewählt werden.Bild: Ohad Zwigenberg/Haaretz/AP/dpa/picture alliance

Parteichefin Michaeli sagt, sie sei offen für den Beitritt in eine Koalitionsregierung - unter einer Bedingung: Netanjahu müsse weg. "Ohne die Arbeitspartei gibt es keine Koalition für eine Veränderung, keine Koalition, die Netanjahu aus dem Amt drängen kann", sagt Michaeli. "Die Arbeitspartei ist ein wesentlicher Teil einer solchen Koalition." Aber auch das wird keine einfache Aufgabe angesichts der unterschiedlichen Positionen der verschiedenen Parteien, die eine Koalitionsregierung ohne Netanjahu ins Auge fassen. Und eine Herausforderung für Michaeli, die Partei auch langfristig wieder als politisch starke Kraft zu etablieren.

Porträt einer Frau mit dunklen Haaren
Tania Krämer DW-Korrespondentin, Autorin, Reporterin