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Politik

"Nur nicht Bibi" - Neue Wahl in Israel

4. Januar 2021

Zum vierten Mal innerhalb von zwei Jahren müssen Israelis wählen gehen. Neue Parteien mischen das Feld auf. Mitten im dritten Lockdown startet die Regierung die Impfkampagne gegen COVID-19. Aus Jerusalem Tania Krämer.

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Jerusalem: Anti-Regierungs-Proteste im Juli 2020
"Grausame Regierung, sozialer Protest" steht auf den hebräischen Plakaten bei dieser Demo im Juli 2020Bild: Ronen Zvulun/REUTERS

Deutlich weniger Demonstranten als im Sommer haben sich an diesem milden Januarabend vor der Jerusalemer Residenz von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu versammelt. Seit über sechs Monaten gibt es die wöchentlichen Anti-Netanjahu- und Anti-Regierungs-Proteste mit einer Vielzahl an Forderungen. Die vorgezogene Wahl gilt vielen hier als erneutes Referendum über die politische Zukunft des langjährigen Ministerpräsidenten.

"Es ist Zeit für ihn zu gehen", sagt Einav Shoshani. Die 24-jährige Studentin betreut einen kleinen Essensstand mit selbstgemachtem Hummus am Rande der Demo. "Ich denke, wir können eine Veränderung bewirken." Andere sehen die Wahl pragmatischer. "Die Tatsache, dass das rechte Lager begonnen hat, an Bibi zu zweifeln, das wird interessant werden," sagt Nofar Shamir, eine junge Israelin aus der Kleinstadt Mitzpe Ramon im Süden Israels, die keine großen Veränderungen von dieser Wahl erwartet. "Ich möchte Politiker sehen, die ehrlich sind und die sich daran erinnern, was es heißt, ein normaler Bürger zu sein."

Benjamin "Bibi" Netanjahu, seit 2009 Ministerpräsident, erfreut sich nach wie vor guter Umfragewerte, auch vor der vierten Parlamentswahl innerhalb von zwei Jahren. Seine Partei, der Likud, liegt darin weiterhin als stärkste Kraft vorn. Doch Netanjahu muss eine Koalition mit anderen Parteien bilden, um mindestens 61 der 120 Sitze in der Knesset, dem israelischen Parlament, zu erreichen.

Streit um Haushalt: Ende einer brüchigen Koalition

Die Knesset hatte sich am 22. Dezember automatisch um Mitternacht aufgelöst, nachdem sich die bisherigen Koalitionspartner Benjamin Netanjahu (Likud) und Benny Gantz (Blau-Weiß) nicht auf den Haushalt für 2020 einigen konnten. Die Regierung, vor acht Monaten angetreten, um die Corona-Pandemie zu bekämpfen, galt schon lange als brüchig. Laut Koalitionsvertrag hätte Benny Gantz im November 2021 Ministerpräsident werden sollen. Doch kaum ein Israeli hatte damit gerechnet, dass die Rotation umgesetzt wird.

"Ich denke nicht, dass viele in den Neuwahlen einen großen Mehrwert sehen. Gefühlt war jede Option eine schlechte: Dass die Regierung nicht funktioniert und dass es Neuwahlen gibt", sagt die israelische Meinungsforscherin Dahlia Scheindlin. Generell herrsche das Gefühl vor, das "Politiker sich eher um ihre eigenen politischen Vorteile kümmern als um die Sorgen der Wähler".

Derzeit befindet sich das Land gleichzeitig in einem erneuten Lockdown und inmitten einer großangelegten Impfkampagne gegen das Coronavirus. Die Infektionszahlen waren in den vergangenen Wochen wieder gestiegen. Der Wahlkampf hat dennoch bereits begonnen. Bis zum 4. Februar müssen die Parteien ihre Listen registrieren, und es fehlt nicht an neuen Parteien und Allianzen, die sich mehr oder weniger klar positionieren in ein Anti- oder Pro-Netanjahu-Lager.

Israel: Coronavirus, Impfung gegen COVID-19
Impfung im mitten im dritten Lockdown - eine Beduinin im einem medizinischen ZentrumBild: Tsafrir Abayov/AP/picture alliance

Dabei sieht das politische Feld anders aus als bei den vorherigen Wahlen und das könnte es schwieriger machen für Netanjahu: "Zum einen hat er erstmals Konkurrenz aus dem eigenen rechten Lager", sagt Gideon Rahat, Professor für politische Wissenschaft an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Das heißt, "er wird mit mehreren Konkurrenten zu tun haben, die ihn Stimmen aus dem rechten Lager kosten könnten". Das Resultat, sagt  Rahat, könnte eine Patt-Situation sein, die eine Koalitionsbildung schwierig macht, wie schon bei den vorangegangenen Wahlen.

Konkurrenz aus den eigenen Reihen

Als Netanjahus stärkste Konkurrenz gilt momentan der ehemalige Likud-Politiker Gideon Sa'ar, der Anfang Dezember die Partei Neue Hoffnung gegründet hat. Sein Ziel ist es, eine Koalitionsregierung ohne Netanjahu zu bilden.

Der 54-jährige Sa'ar war Innenminister unter Netanjahu, er lehnt eine Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinensern ab. Nach einer kurzen politischen Auszeit kandidierte er 2019 erfolglos gegen Netanjahu für den Likud-Vorsitz. Dass ihm auch andere Likud-Politiker wie der ehemalige Netanjahu-Vertraute Ze'ev Elkin in die neue Partei gefolgt sind, gibt ihm politisches Momentum als - zumindest laut jetzigen Umfragen - zweitstärkste Kraft.

"Die grundlegende Frage bleibt: Was bedeutet es im rechten Lager, auf dem Anti-Netanjahu-Ticket zu fahren?" sagt die politische Analystin Dahlia Scheindlin. "Was bedeutet es für die Agenda einer Regierung, die nicht von Netanjahu und dem Likud geführt wird? Das ist die Frage, die sich die Wähler stellen werden."

Israel: Wahlplakate Benny Gantz (l) und Benjamin Netanjahu (r)
Erst Widersacher, dann Koalitionspartner: Benny Gantz (l) und Benjamin Netanjahu (r) im Wahlkampf im März 2020Bild: picture-alliance/AP/O. Bality

In anderen Worten: Reicht der Slogan "Nur nicht Bibi", um die Wähler zu überzeugen und Netanjahu tatsächlich gefährlich zu werden? Das Mitte-Rechts-Bündnis Blau-Weiß unter dem früheren Armeechef Benny Gantz hatte damit bei den vorherigen drei Wahlen Erfolg. Im Moment ist aber noch unklar, ob die Partei es nach der gescheiterten Regierungskoalition überhaupt wieder ins Parlament schafft.

Auch im sogenannten Mitte-Links-Lager mit vielen verschiedenen Parteien tut man sich schwer, eine gemeinsame Stimme zu finden. Die neue Partei Die Israelis, gegründet von Ron Huldai, dem langjährigen prominenten Bürgermeister Tel Avivs, verspricht den Mitte-Links-Wählern ein neues Zuhause. Wer mit wem politische Allianzen eingehen wird, wird sich aber erst in den kommenden Wochen zeigen.

Wahlkampf mit der Impfkampagne

Unterdessen verweist Benjamin Netanjahu auf seine außenpolitischen Erfolge als "Friedensmacher" mit arabischen Staaten, ohne dafür nennenswerte Konzessionen an die Palästinenser machen zu müssen. Mit Hilfe von US-Präsident Donald Trump hat er innerhalb kurzer Zeit Normalisierungsabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Marokko ratifiziert und eine Absichtserklärung mit dem Sudan angekündigt.

Innenpolitisch setzt der Regierungschef auf die Impfkampagne gegen das Coronavirus. "Israel ist Weltmeister im Impfen", schrieb Netanjahu in einem Tweet. Bislang macht das Land tatsächlich mit einer schnellen und weitflächigen Impfung seiner Bürger von sich reden. Bleibt die Frage, ob sich die Wähler eher an die vielkritisierte Corona-Politik der Regierung erinnern oder an die Impfkampagne. Für dunkle Wolken über dem Regierungslager könnte auf jeden Fall der Gerichtsprozess gegen Netanjahu in drei Korruptionsanklagen sorgen, der im Februar fortgesetzt werden soll.

Bis zur Wahl am 23. März kann noch viel passieren. Obwohl Netanjahu von seinen Unterstützern gerne als der "Magier" beschrieben wird, muss er seine politischen Allianzen stärken, wie etwa mit den ultra-orthodoxen Parteien. Schon bei den Wahlen im April und September 2019 war es ihm nicht gelungen, eine stabile Koalition zu bilden - und die braucht Netanjahu, um im Amt zu bleiben.

Porträt einer Frau mit dunklen Haaren
Tania Krämer DW-Korrespondentin, Autorin, Reporterin