Israel-Hamas-Krieg: Was verändert die UN-Resolution?
26. März 2024Der UN-Sicherheitsrat hat gemeinhin nicht den besten Ruf: Kritiker bemängeln regelmäßig, dass das Gremium in seiner jetzigen Form nichts gegen Kriegen und Katastrophen ausrichten könne.
Unzählige Male habe man sich dort schon mit akuten Krisen auf der Welt beschäftigt - und sei zu keinem gemeinsamen Beschluss gekommen. Der Grund: Häufig macht mindestens eines der fünf ständigen Mitglieder von seinem Vetorecht Gebrauch.
So war es bisher auch im Krieg zwischen Israel und der palästinensischen Terrororganisation Hamas. Doch nun, nach fünfeinhalb Monaten Krieg, kam eine Resolution zustande, die die Kriegsparteien unter Druck setzen soll.
Wer enthielt sich - und warum?
14 der 15 Mitglieder stimmten für Resolution 2728 (2024). Entscheidend war, dass die Vereinigten Staaten kein Veto einlegten, sondern sich lediglich enthielten. Das ist mehr als außergewöhnlich, denn die USA nutzten ihre Vetomacht bislang regelmäßig zugunsten Israels.
Die US-Denkfabrik CCGA untersuchte das Abstimmungsverhalten der USA seit Gründung der Vereinten Nationen 1945 und registrierte bis Dezember 2023 insgesamt 89 Vetos. Davon entfielen 45, also gut die Hälfte, auf Israel-kritische Resolutionen.
Das Weiße Haus beeilte sich, klarzustellen, dass die jüngste Enthaltung keine Neuausrichtung seiner Israel-Politik bedeute. "Wir wollen nach wie vor eine Waffenruhe, wir wollen weiterhin die Freilassung der Geiseln - und zwar aller", sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby.
"Und wir wollen, dass mehr humanitäre Hilfe den Gazastreifen erreicht." Washington hätte der Resolution sogar zugestimmt, wenn sich in der finalen Fassung etwa eine Verurteilung der Hamas gefunden hätte.
Was genau steht in Resolution 2728?
Wie für die Resolutionen des Sicherheitsrates üblich, handelt es sich um einen einzigen langen Bandwurmsatz. Im Hauptsatz beschließt das Gremium, sich weiter aktiv mit der Angelegenheit zu befassen.
Wichtiger sind die einzelnen Nebensätze: Einer von ihnen enthält die Forderung nach einer "sofortigen Waffenruhe für den Fastenmonat Ramadan, die von allen Parteien respektiert wird und den Weg zu einem anhaltenden Waffenstillstand ebnet".
Auch die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln wird gefordert. Außerdem betont die Resolution die Notwendigkeit, die Zufuhr von Hilfsgütern auszuweiten sowie Zivilisten im gesamten Gazastreifen zu schützen.
Ist die Resolution bindend?
Der Sicherheitsrat ist das einzige UN-Gremium, dessen Resolutionen völkerrechtlich bindend sind. Das heißt, wenn die darin erwähnten Staaten den ihnen auferlegten Pflichten nicht nachkommen, kann der Sicherheitsrat Strafen androhen oder andere Reaktionen beschließen.
Bei Resolution 2728 ist es jedoch kompliziert - mehrere Vertreter der USA sowie Südkoreas nannten sie nach der Abstimmung nicht-bindend. Südkorea hatte damit argumentiert, dass an keiner Stelle von einer "Entscheidung" die Rede sei.
Die Jura-Hochschullehrerin Hannah Birkenkötter schreibt in einem englischen Text im deutschen Portal "Verfassungsblog"über das fehlende Wort "Entscheidung": "Wenn der Sicherheitsrat eine mahnende Sprache benutzt und zum Beispiel Maßnahmen empfiehlt, entsteht daraus keine rechtliche Verpflichtung."
Allerdings sieht Birkenkötter eine andere Formulierung als bindend an: die Forderung ("demand") nach einer Waffenruhe für den Zeitraum des Ramadan. Diese richtet sich im Resolutionstext an "alle Parteien" - also an Israel und die Hamas, die laut der Juristin auch adressiert werden kann, ohne selbst ein staatlicher Akteur im Sinne der UN zu sein.
Birkenkötter betrachtet die Resolution also als bindend - und sieht doch ein grundsätzliches Problem: "Wer kann in der gegenwärtigen Situation die Resolution des Sicherheitsrates durchsetzen? Letztlich obliegt es den Konfliktparteien, den Ruf des Rates zu beherzigen, und dem Rat selbst, seine Forderungen durchzusetzen. Angesichts der Erfahrungen der vergangenen Monate ist das kein Grund für Enthusiasmus."
Welche Konsequenzen ergeben sich für Israel?
Die US-Enthaltung belastet das Verhältnis zwischen Israel und den Vereinigten Staaten als Sicherheitsgaranten und wichtigstem Verbündeten weiter. Premierminister Benjamin Netanjahu sagte in letzter Minute eine Delegationsreise nach Washington ab.
Die Resolution kommt zu einem Zeitpunkt, in dem der internationale Rückhalt für Netanjahus Kurs im Krieg gegen die Hamas bröckelt.
Auch Deutschland als enger Verbündeter Israels fordert die Regierung mit zunehmender Deutlichkeit auf, mehr Hilfsgüter in den Gazastreifen zu lassen und ziviles Leid beim weiteren militärischen Vorgehen zu verhindern. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sagte in Jerusalem, sie sei "erleichtert über die Verabschiedung der Resolution, weil es auf jeden Tag ankommt".
Innenpolitisch erhöht die Resolution noch einmal den ohnehin immensen Druck auf Netanjahu. Aus Opposition und Öffentlichkeit kommt scharfe Kritik.
Im Land sind viele unzufrieden mit dem Langzeit-Premier und seinem Kriegskabinett, dem es nach fast einem halben Jahr immer noch nicht gelungen ist, die letzten rund 130 Geiseln aus der Gewalt der Hamas zu befreien.
Bei seinem Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 ermordete die Terrororganisation Hamas 1200 Israelis und verschleppte 240 Geiseln in den Gazastreifen.
Auf die Verhandlungen zu deren Freilassung hat die Resolution nach Angaben des Vermittlers Katar keinen Einfluss: "Wir haben keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Gespräche gesehen, sie laufen so wie vor der Entscheidung", sagte Außenministeriums-Sprecher Madsched Al-Ansari.
Inwieweit die Resolution die Lage für die israelischen Geiseln oder die palästinensische Zivilbevölkerung konkret verbessert, ist ungewiss.