Was Israel mit der Botschafts-Schließung in Irland riskiert
17. Dezember 2024Auch wenn eine Zwei-Staaten-Lösung im Nahen Osten so schwer vorstellbar scheint wie lange nicht mehr - für Irlands Regierung ist sie das erklärte Ziel. Fünf Wochen lang war sie im Dubliner Süden sogar physisch greifbar: Dort unterhielten Israel und Palästina gleichrangige Botschaften, keine zwei Kilometer voneinander entfernt.
Im Mai hatte Irland offiziell die Anerkennung eines palästinensischen Staates beschlossen, sodass das unscheinbare georgianische Reihenhaus mit rot lackierter Tür nun als vollwertige Botschaft fungiert, geleitet von der palästinensischen Diplomatin Jilan Wahba Abdalmajid. Daraufhin hatte Israel aus Protest seine Botschafterin Dana Erlich abgezogen.
Nun wird ihr früherer Arbeitsort, ein mit Metallzäunen und Kameras geschütztes sechsstöckige Backsteinhaus, bis auf Weiteres gar nicht mehr gebraucht: Der im November ernannte israelische Außenminister Gideon Sa'ar gab am Sonntag die Schließung der diplomatischen Vertretung in Irland bekannt.
Unverständnis bei israelischen Ex-Diplomaten
Bei Alon Pinkas, einem früheren israelischen Diplomaten in den USA und Büroleiter im israelischen Außenministerium, stößt Sa'ars Handeln auf Unverständnis: "Das war ein selbstdarstellerischer, aufgeblasener politischer Schritt - nicht mehr und nicht weniger", sagt Pinkas im Gespräch mit der DW. "Israel hat mitnichten seine diplomatischen Beziehungen zu Irland gekappt. Eine Botschaft zu schließen, ist ein temporärer Schritt. Irland behält seine Botschaft in Israel und die formellen Beziehungen sind weiter intakt. Es handelt sich hier um einen neuen und völlig unerfahrenen Außenminister, der Schlagzeilen machen will, indem er sich das möglicherweise schwächste Opfer herauspickt."
Auch Jeremy Issacharoff, früherer israelischer Botschafter in Berlin (2017-2022), sieht den Schritt kritisch: "Natürlich ist es schön, sich mit Freunden und befreundeten Ländern auszutauschen. Aber manchmal muss man sich an Stellen einbringen, wo es wirklich hart ist. Ich hätte eher eine Balance gesucht - einerseits unser Missfallen auszudrücken, aber zugleich einen Dialog aufrechtzuerhalten. Es gibt eine jüdische Gemeinde in Irland, eine gewisse Anzahl Israelis arbeiten in der irischen Tech-Branche. Beide Länder treiben Handel, Irland ist auch EU-Mitglied", erinnert Issacharoff im Gespräch mit der DW.
Zugleich nimmt Issacharoff auch Irland in die Pflicht: "Die irische Regierung sollte sehr viel mehr für einen breiteren und toleranteren Dialog gegenüber Israel tun - und seine beinahe automatische Kritik mäßigen, die sich an allen israelischen Handlungen entzündet, ohne die düsteren Bedrohungen einzubeziehen, denen sich Israel seit dem 7. Oktober stellen muss."
Warum so viele Iren sich mit den Palästinensern identifizieren
Irland importierte 2023 israelische Waren im Wert von 3,6 Milliarden Euro, umgekehrt erreichten die Ausfuhren eine gute halbe Milliarde Euro. Wohl auch deshalb verwies die irische Regierung auf EU-einheitliche Entscheidungen, als sie im Zuge des Gaza-Kriegs aufgefordert wurde, Sanktionen zu verhängen.
Denn die irische Bevölkerung identifiziert sich größtenteils mit den Palästinensern: Die Solidarität begann bereits 1917, als Großbritannien in der sogenannten Balfour-Deklaration eine jüdische Heimstätte im damals osmanisch kontrollierten Palästina forderte. Der Namensgeber, Außenminister Arthur Balfour, war zuvor als Gegner eines selbstverwalteten Irland aufgetreten. In der damaligen Kolonie unterdrückten britische Paramilitärs die irischen Unabhängigkeitsbefürworter - die im irischen Volksmund immer noch berüchtigten "Black and Tans" -, bevor teils dieselben Einheiten nach Palästina entsandt wurden.
Zwischenzeitlich gab es auch Sympathien zwischen Iren und Zionisten, die jeweils die britische Herrschaft beenden wollten - bevor Großbritannien 1937 die Aufteilung Palästinas in einen jüdischen und einen palästinensischen Staat vorschlug. Denn zuvor hatten die Briten auch die irische Insel geteilt - in die seit 1921 unabhängige Republik und Nordirland, das zum Vereinigten Königreich gehört. Ab den 1960ern unterdrückten britische Sicherheitskräfte dort lebende Republikaner mit zunehmender Brutalität. In den folgenden Jahrzehnten zogen immer mehr Iren Parallelen zu Israels Umgang mit den Palästinensern.
Irland erkennt den israelischen Staat seit 1963 an und fordert seit den 1980ern eine Zwei-Staaten-Lösung für den Nahen Osten. Dublin verurteilte den Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 scharf und fordert die Freilassung der Geiseln. Zugleich kritisiert Irland das israelische Vorgehen im Gazakrieg und fordert eine sofortige Waffenruhe sowie mehr humanitäre Hilfe. In der vergangenen Woche schloss sich das Land formell der südafrikanischen Genozid-Klage gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) an - Außenminister Micheál Martin warf Israel eine "kollektive Bestrafung der Palästinenser" vor. Daraufhin ordnete Israels Außenminister Sa'ar die Schließung der Botschaft in Dublin an.
Sa'ar kritisiert "antisemitischen" Premier Harris
Irlands Regierungschef Simon Harris erklärte, man werde sich nicht den Mund verbieten lassen und weiter Israels Vorgehen in Gaza kritisieren. Sa'ar antwortete, indem er Harris des Antisemitismus bezichtigte und erläuterte: "Es gibt einen Unterschied zwischen Kritik und Antisemitismus, der auf der Delegitimierung und Entmenschlichung Israels sowie Doppelstandards gegenüber Israel beruht."
Diese Vorwürfe sieht die palästinensische Botschafterin in Dublin, Jilan Wahba Abdalmajid, als ungerechtfertigt an. "Irlands Positionen wurden immer geleitet von den Prinzipien des internationalen Rechts, der Menschenrechte und Gerechtigkeit. Irlands Position darf nicht verzerrt oder mit unzusammenhängenden Etiketten verbunden werden", schrieb sie auf Anfrage der DW. In ihrer E-Mail verwies sie stattdessen auf eine IGH-Entscheidung von Juli, die Israel eigentlich zur Mäßigung verpflichtet.
Schwindet Israels Einfluss in Europa?
Die Schließung der Botschaft steht im direkten Zusammenhang mit Irlands IGH-Ankündigung. Dennoch dürfte der Schritt die ohnehin komplizierten israelischen Beziehungen zur EU nicht gerade leichter machen. Im Mai hatte nicht nur Irland einen palästinensischen Staat anerkannt, sondern auch Spanien, Norwegen und kurz danach Slowenien. Verscherzt es sich Israel inmitten seiner historischen sicherheitspolitischen Krise mit wichtigen Partnern?
Die EU hätte viele Druckmittel in der Hand, erinnert Ex-Diplomat Pinkas: "Es gibt ein Assoziierungsabkommen. Es gibt viele akademische und medizinische Forschungs-Fonds sowie Stiftungen, die Geld nach Israel transferieren." Zudem gingen viele israelische Exporte in die EU. "Europa könnte vieles tun, was die Lage komplizierter macht, wenn Israel es zu weit treibt. Ich hoffe, dass es so weit nicht kommt."