Israels "Berliner Mauer"
22. September 2003Während der UN-Sicherheitsrat über Israels Palästina-Politik im Streit liegt, gibt es in den arabischen Dörfern am östlichen Stadtrand von Jerusalem derzeit nur ein Thema: die Mauer. Die Sperre, die Israel um Jerusalem bauen will, um sich gegen Terroristen aus dem Westjordanland zu schützen. Wo soll sie verlaufen? Wen wird sie einschließen? Wen wird sie aussperren?
Der Wall ist an einigen Stellen mehrere dutzend Meter breit, acht Meter hoch und besteht teilweise aus Beton oder einem elektrisch gesicherten Zaun. Die Anlage, die grob dem Verlauf der "Grünen Linie" zwischen Israel und dem autonomen Westjordanland folgt, schließt etliche jüdische Siedlungen und arabische Dörfer mit ein. Gelbe Taxis und Ford-Transporter warten zu beiden Seiten der Mauer, um die Menschen zu ihrem Ziel zu transportieren. Zum Beispiel nach Abu Dis, nur wenige Kilometer von Jerusalem entfernt.
Mauern bringen keinen Frieden
In Abu Dis sollte eigentlich das palästinensische Parlament stehen. Nun ist das Wahrzeichen der Stadt die schmutzig-graue Betonmauer, die Palästinenser von Palästinensern trennt. Noch ist sie durchlässig. Doch bald soll hier die endgültige Trennmauer stehen, die ganz Jerusalem einschließen und gegen eindringende Terroristen schützen soll. Mitten durch den Campus der palästinensischen Al-Quds-Universität wird sie gehen, erklärt Samy, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der Hochschule.
In Abu Dis nennt man den geplanten Wall die "Mauer des Bösen" und die "rassistische Mauer". In Ramallah spricht man von einer neuen Berliner Mauer. "Die Berliner Mauer wird durch Scharon und seine Regierung wieder errichtet. Das zeigt den barbarischen Charakter der israelischen Politik", ist Hisham Ahmed, Politikwissenschaftler an der Universität Birzeit, überzeugt. "Die Erwartung, dass diese Mauer Stabilität und Sicherheit bringt, ist völlig irrational. Diese Mauer wird genau das Gegenteil bringen."
Mauern schränken ein – auf Dauer
In Israel lässt man sich von dem Zorn und dem Widerstand der Palästinenser nicht aus dem Konzept bringen. Man hält hartnäckig an dem Plan fest, Jerusalem mit einer Mauer zu umgeben und das Westjordanland durch einen Zaun abzutrennen. Die überwiegende Mehrheit der Israelis verspricht sich von dem Bau dieser Sperranlage ein Mehr an Sicherheit. So wie der Zaun um den Gazastreifen verhindert habe, dass Terroristen eindringen konnten, so soll die Mauer auch das Westjordanland vollständig abriegeln, heißt es.
Doch die jüdischen Siedler machen derzeit einen dicken Strich durch diese Rechnung. Sie verlangen, dass die neue Grenze auch ihre Siedlungen einschließen soll. Selbst dann, wenn sie tief im Herzen des Westjordanlandes liegen. Für die Palästinenser würde das bedeuten, dass ihr ohnehin stark geschrumpftes Gebiet weiter zerschnitten würde und dass sie in kleinen Enklaven eingesperrt leben müssten.
Mauern sind widersinnig
Meron Benvenisti, israelischer Geograf, Historiker und Publizist, sieht darin ein sicheres Rezept für die Festschreibung des Konflikts. "Man versucht, einem ethnischen Konflikt durch den Zaun eine geografische Definition zu verleihen. Das ist absurd", sagt er und erläutert, warum: "Inzwischen gibt es mehr als 200.000 Juden jenseits der grünen Linie und 200.000 Palästinenser, die sich auf der anderen Seite dieses Zauns befinden", zählt er auf. "Es gibt keine Grenze zwischen Arabern und Juden. Sie sind hier und dort und wir sind auch hier und dort."
Der einseitige Versuch Israels, die Palästinenser durch einen Zaun oder eine Mauer von den Israelis zu trennen, laufe auf weitere Einschränkungen und weitere Unterdrückung der Palästinenser hinaus, so Benvenisti. Seiner Meinung nach liegt die Lösung des Nahostkonflikts in einem binationalen Staat - einem Staat, der beiden Völkern die gleichen Rechte einräumt.