Italien - das neue Griechenland?
12. Juli 2011Nun ist es passiert. Die Finanzmärkte werfen Italien, die drittgrößte Volkswirtschaft Europas, in einen Topf mit Griechenland und Portugal. Die Zinsen für zehnjährige Staatsanleihen kletterten auf fast 5,7 Prozent - und liegen damit doppelt so hoch wie für deutsche Anleihen. So etwas gab es in Italien seit Beginn der Währungsunion noch nie. Die Börsenkurse an der Borsa Italiana, der italienischen Börse, gaben um fast vier Prozent nach.
"Die Märkte sind extrem nervös", sagt Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) im Gespräch mit DW-WORLD.DE. Von rationalem Handeln könne keine Rede mehr sein. Verschärft würde die ohnehin unruhige Lage durch "spekulative Attacken" von US-Hedgefonds, so Matthes.
Berlusconi spielt mit dem Feuer
Gerade in der vergangenen Woche ist vieles zusammengekommen, was internationale Anleger so nervös gemacht hat: Die Ratingagentur Moody's senkte die Kreditwürdigkeit des finanzschwachen Portugal auf Ramsch-Niveau. Zuvor hatte die Ratingagentur Standard & Poor's verlauten lassen, dass Italien in den kommenden 24 Monaten möglicherweise herabgestuft werden könnte. Dem wollte Finanzminister Giulio Tremonti mit einem erneuten Sparpaket etwas entgegensetzen, doch offensichtlich fehlte ihm die Rückendeckung seines Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Ein politisches Scharmützel zur Unzeit, wie Matthes findet.
Tatsächlich nimmt Italien mit Staatsschulden von 120 Prozent des Bruttoinlandsproduktes eine Spitzenposition in der EU ein und ist damit für fast ein Viertel der Staatsschulden aller 17 Euroländer verantwortlich. Nur Griechenland steht noch schlechter da und steuert inzwischen auf 160 Prozent zu.
Doch im Gegensatz zu Griechenland oder Portugal, das mit rund 80 Prozent verschuldet ist, hat Italien "mit seinen Schulden leben gelernt", sagt Matthes. Nach dem US-amerikanischen und japanischen Anleihen-Markt ist der italienische der drittgrößte der Welt. Je größer aber der Markt, desto leichter finden sich auch Investoren, weil sie davon ausgehen können, dass sie ihre Anleihen im Notfall wieder verkaufen können. Bis jetzt hatte Italien deshalb nie Probleme, seine Schulden zu finanzieren.
Italien kann sich aus eigener Kraft helfen
Bei aller Angst um Italien sollte außerdem nicht vergessen werden, dass das Land wirtschaftlich wesentlich besser dasteht als Portugal oder gar Griechenland. Das laufende Haushaltsdefizit lag im letzten Jahr bei fünf Prozent. Dieses Jahr soll es nach Schätzungen der EU-Kommission bei vier Prozent liegen. Portugal hingegen hatte im letzten Jahr ein Defizit von 9,1 Prozent, Griechenland machte gar Schulden in Höhe von 12,7 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes.
"Italien ist zudem das Kreativcenter, das Stilcenter der Welt", sagt Finanzexperte Hans-Peter Burghof von der Universität Hohenheim im DW-TV. Zwar gibt es auch in Italien Oliven und Wein wie in Griechenland und Portugal, doch im Gegensatz zu Griechenland, das hauptsächlich vom Tourismus lebt, hat Italien eine große, diversifizierte Wirtschaft. Zu den wichtigsten Industrien zählen der Maschinen- und Automobilbau, gleichzeitig die wichtigsten Exportbranchen des Landes. Italien ist außerdem berühmt für seine Industriedesigner und Modeschöpfer.
Italien wächst und spart
So hat die OECD Italien für dieses Jahr ein BIP-Wachstum von 1,1 Prozent vorhergesagt. Nächstes Jahr sollen es 1,6 Prozent sein. Portugal hingegen wächst seit zehn Jahren kaum mehr. Die EU-Kommission erwartet sogar, dass das Land dieses und nächstes Jahr um jeweils zwei Prozent schrumpft. Ganz zu schweigen von Griechenland, dessen Wirtschsaftsleistung dieses Jahr um 4,5 Prozent sinken soll. 2012 soll es ähnlich düster aussehen.
Wer mehr erwirtschaftet, kann aber auch mehr sparen. Im europäischen Vergleich ist Italiens Sparquote sehr hoch. Somit hat sich Italien im Vergleich zu Portugal oder Griechenland viel weniger im Ausland verschulden müssen. Viele Italiener legen ihr Geld in heimische Staatsanleihen an: Über die Hälfte der italienischen Staatsschulden liegen in italienischer Hand.
Eine italienische Pleite wäre zuviel für die EU
Wirtschaftsforscher Jürgen Matthes vom IW hofft nun, dass auch den internationalen Anlegern diese Unterschiede bald auffallen müssen. "Eine zeitlang kann Italien hohe Zinsen verkraften", glaubt er, ein bis zwei Jahre, weil Italiens Schulden wesentlich längerfristig finanziert sind als die Griechenlands.
Könnte Italien wider Erwarten seine Schulden aber irgendwann nicht mehr bedienen, dann ist eines sicher, sagt Finanzexperte Burghof: "Wir können Italien so nicht retten!" Der EU-Rettungsschirm sei dann viel zu klein. Außerdem würden das die EU-Bürger in den Augen Burghofs nicht mehr mitmachen. Und auch Matthes ist sich sicher: Eine italienische Pleite kann die EU alleine nicht stemmen. Da müssten andere bei der Rettung stärker mithelfen: der IWF beispielsweise, andere Staaten. "Und", sagt Matthes, "man müssten dann vielleicht selbst China miteinbeziehen."
Autorin: Jutta Wasserrab
Redaktion: Henrik Böhme