Keine Lust mehr auf mediterrane Küche
13. September 2013Die Zutaten machen Appetit: Olivenöl, Gemüse, Früchte und Nüsse, Ballaststoffe und Kohlenhydrate, dazu etwas Fisch und Wein sowie ein paar Milchprodukte und nur wenig Fleisch. Die mediterrane Küche galt über viele Jahre als der Inbegriff für gesunde Ernährung.
Wer seinen Speiseplan nach diesen Vorgaben gestaltet, verringert das Risiko von Herzkrankheiten und Fettleibigkeit. Typ-2-Diabetiker können damit ihren Blutzuckerspiegel reduzieren und den Kampf gegen überzählige Pfunde unterstützen. Eine aktuelle Studie der Universität im spanischen Navarra hat gezeigt, dass Mittelmeer-Kost bei älteren Menschen die Gehirnleistung steigern kann und für Patienten mit Demenz-Risiko besser geeignet ist als eine fettarme Ernährung.
Andere Zeiten, andere (Tisch-)Sitten
Beim Begriff "mediterrane Küche" denken die meisten sofort an Italien und seine hochgelobte und beliebte kulinarische Tradition. Die modernen Italiener aber scheinen sich in Sachen gesunder Ernährung nicht mehr von anderen Industrienationen zu unterscheiden.
Früher war Italien das Land mit der dreistündigen Mittagspause: Täglich kochten die Frauen leckere und nahrhafte Gerichte, dem reichhaltigen Mahl folgte eine ausgiebige Siesta.
"Das war einmal", klagt Giulio Marchesini, Professor für Ernährungswissenschaft und Chef der Abteilung für Stoffwechsel- und ernährungsbedingte Krankheiten an der Universitätsklinik Bologna. "Die Ernährung hat sich verändert, weil sich das Leben verändert hat", sagt er und verweist auf den hohen Druck, dem die Menschen in der modernen Gesellschaft ausgesetzt sind. Die Italiener seien ständig in Eile und hätten keine Zeit mehr, zum Mittagessen nach Hause zu gehen. "Manchmal essen wir im Stehen, spielen nebenbei, lesen etwas oder sitzen am Computer." Außerdem konsumierten seine Landsleute viel mehr vorgefertigtes und industriell hergestelltes Essen.
Kein Vorbild mehr
Italien erlebt zurzeit eine geradezu epidemische Zunahme von fettleibigen Menschen und Typ-2-Diabetikern. "Außerdem liegen wir europaweit an der Spitze, wenn es um Kinder mit starkem Übergewicht geht", ergänzt Marchesini. Das sei besonders besorgniserregend, weil "ein Kind mit Übergewicht mit nahezu 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit zu einem übergewichtigen Erwachsenen" werde, so der Ernährungswissenschaftler.
Zwar isst die Mehrzahl der Italiener viel Olivenöl, Pasta und Gemüse, doch viele kennen die genaue Zusammensetzung einer wirklich gesunden mediterranen Kochweise nicht - oder nicht mehr. Stattdessen verzehren sie täglich leicht zuzubereitende Lebensmittel wie Schinken, Salami und Käse. Dazu kommen besonders in Norditalien noch viel Schweine- und Rindfleisch sowie andere tierische Fette.
Gesundheitliche Vorteile
Während der vergangenen zehn Jahre haben Studien immer wieder die Vorzüge der Mittelmeerküche hervorgehoben: So kann sie bei einer Vielzahl von Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson, bei Herzbeschwerden und sogar bei Krebs eindämmend oder verzögernd wirken.
Anfang dieses Jahres verglich eine britische Studie die Ergebnisse von 20 anderen Untersuchungen über die Wirkung von sieben populären Diäten auf Erwachsene mit Typ-2-Diabetes. Den Blutzuckerspiegel senkten mehrere Konzepte: die mediterrane Ernährungsweise, die kohlenhydratarme und die proteinreiche sowie eine Diät, die auf einen niedrigen glykämischen Index Wert legt. Die große Überraschung für die Forscher bestand jedoch darin, dass die Mittelmeerküche viel besser die Gewichtsabnahme unterstützte als Diäten, die auf wenig Kohlenhydrate oder wenig Fett setzen.
Mehr Werte als Nährwert
Wenn es nach Giulio Marchesini geht, sollten sich alle Menschen nach der mediterranen Küche ernähren - und damit die ökologischen und ökonomischen Ressourcen schonen: "Die nicht-mediterrane Küche ist wegen der Menge an Fleisch und dem damit verbundenen negativen Umwelteffekt auf den Planeten nicht mehr vertretbar."
Der Ernährungswissenschaftler und sein Team arbeiten mit Nachdruck daran, zum "mediterranen Modell" zurückzukehren. Dabei gehe es aber, wie er betont, um viel mehr als nur um Essen. Deshalb schickt er Patienten, die in seine Klinik kommen, auch nicht mehr einfach nur mit Diätplänen zur Gewichtsabnahme nach Hause. "Unsere Ernährungsberater und Ärzte bieten Kurse zur richtigen Ernährung an. Darüber hinaus haben wir Sporttrainer und Psychologen - das alles soll die Leute dabei unterstützen, ihren Lebensstil zu ändern."
Er selbst geht übrigens mit gutem Beispiel voran: Der Professor isst viel Obst und Gemüse sowie Hülsenfrüchte und fährt täglich mit dem Rad zur Arbeit. Bei jedem Wetter, wie er sagt.