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Politik

Italiens schwerer Neustart

23. März 2018

Die Wahl der Parlamentspräsidenten sollte ein Testlauf für eine mögliche Koalition der Populisten werden. Die Probe ging schief. Italien bleibt unregierbar. Bernd Riegert berichtet aus Rom.

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Erste Parlamentssitzung nach Wahlen in Italien - Abstimmung
Luigi Di Maio, Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, bei der AbstimmungBild: Reuters/T. Gentile

Obwohl die Sonne vom blauen Himmel strahlt, ist es kalt in Rom. Vor dem Parlament, dem Palazzo Montecitorio, harren trotzdem einige Dutzend Schaulustige und warten. Sie warten darauf, dass sich die streitenden Parteien endlich auf  Kandidaten für die Präsidentschaft in beiden Kammern des Parlaments einigen. Auf der konstituierenden Sitzung nach der Wahl vor knapp drei Wochen ist es nicht gelungen, einen Parlamentspräsidenten zu wählen.

Die populistische "Fünf-Sterne-Bewegung" (MS5) und das vereinte rechte Lager, blockieren sich gegenseitig. Keine der Seite hat eine Mehrheit. Keine der beiden Seiten ist bereit, die Kandidaten der jeweils anderen Seite zu unterstützen. Stundenlang wurde in Hinterzimmern des Parlaments gestritten, wie man die Blockade lösen könnte - vergebens.

Italien Wahlen Umfrage
Politik soll wieder ihren eigentlichen Sinn bekommen, so die Lehrerin aus RomBild: DW/B. Riegert

Eine Römerin, die vor dem Montecitorio-Palast wartet, kann das alles nicht fassen. Die MS5 mit ihrem Anführer Luigi Di Maio mache jetzt genau das, was er als Anti-Establishment-Vorkämpfer immer abgelehnt habe. "Er dealt im Hinterzimmer. Transparent ist das nicht", sagt die Lehrerin aus Rom und schüttelt den Kopf.

Die Frage, wer denn eine Koalition bilden könnte, um am Ende eine Regierung für Italien zu bilden, beantwortet sie so: ""Es ist eine sehr schwierige Frage, die sehr viele Facetten hat. Man muss die Bürger näher an die Politik heranbringen. Es geht um die Republik, die Sache des Volkes. Man muss an alle denken. Man muss Politik wieder ihren eigentlichen Sinn geben."

Tiefer Streit der populistischen Lager

Auf einen Neuanfang für Italien hatten vor drei Wochen rund 60 Prozent der Wählerinnen und Wähler gesetzt, die sich für eine populistische Partei im linken oder rechten Spektrum entschieden hatten. "Die Generation der Frustrierten, und das sind vor allem die jungen Leute, hat für ein unregierbares Land gesorgt", schreibt die Zeitung "Repubblica".

Wandbild der küssenden Parteiführer Luigi Di Maio (li.) Movimento 5 Stelle und Matteo Salvini (re.) Lega an einem Gebäude
Mögliche Koaltion: Grafitti-Künstler vereinen die Populisten Di Maio (li.) und SalviniBild: DW/B. Riegert

Die Aufforderung des Alterspräsidenten im italienischen Senat, Giorgio Napolitano, der "Verantwortung des Wahlergebnisses" gerecht zu werden und sich gegenseitig zu respektieren, half wenig. Die Lager sind tief zerstritten. Vor einigen Tagen hatte es noch so ausgesehen, dass Luigi Di Maio von der "Fünf-Sterne-Bewegung" und Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega sich annähern könnten. Sogar von einer möglichen Koalition war die Rede.

Dann machte aber der längst politische tot geglaubte konservative Silvio Berlusconi einen dicken Strich durch diese Rechnung. Der 81 Jahre alte Strippenzieher verlangt die Wahl eines Kandidaten seiner Partei - der Forza Italia - an die Spitze des Senats, der zweiten Parlamentskammer.

Diese Bedingung könne nicht erfüllt werden, zürnte Luigi Di Maio. Die MS5 wird auf keinen Fall ihren Grundsätzen untreu werden und einen Vorbestraften ins Amt heben." Gemeint ist der Kandidat für das Präsidentenamt Paolo Romani von der "Forza Italia", der vorbestraft sein soll. Unklar ist, warum der Anführer der rechtspopulistischen Lega, Matteo Salvini, sich Berlusconis Wünschen beugt. Berlusconi stellt nach seiner Wahlniederlage nur die zweitgrößte Gruppe im rechten Lager. Salvini hat die stärkste Partei hinter sich.

Gelähmtes Italien?

Im ersten Wahlgang für das Präsidentenamt im Parlament gaben alle Parteien weiße und ungültige Stimmzettel ab. Die komplizierte Wahlmechanik in beiden Häusern des Parlaments ging trotzdem weiter. Erst nach vier Wahlgängen würde eine absolute Mehrheit der anwesenden Abgeordneten für einen Wahlerfolg reichen. Zuvor ist eine Zweidrittel-Mehrheit erforderlich. "Wenn die sich jetzt vertagen und bis zum 1. April brauchen, dann ist Italien ein totes Land", erregte sich ein Wähler vor dem Parlament, der das Spektakel beobachtet.

Ganz so schlimm wird es nach Ansicht des amtierenden Regierungschefs Paolo Gentiloni wohl nicht werden. "Italien ist weiter handlungsfähig", versicherte Gentiloni. Italien ist lange und komplizierte Regierungsbildungen gewöhnt, aber so verfahren wie heute war die Lage selten.

Italien, Wahlen, Rom Umfrage
"Di Maio hat gewonnen und sollte Regierungschef werden."Bild: DW/B. Riegert

Die erste Parlamentssitzung sollte so eine Art Test für eine mögliche Regierungskoalition werden. Es hat nicht funktioniert. Für viele Wähler vor dem Parlament ist aber klar, dass die M5S - die die stärkste Einzelpartei ist - auch eine tragende Rolle in der künftigen Regierung spielen muss. "Die Menschen haben für M5S gewählt", sagt ein junger Mann vor dem Parlament. "Es ist gut und richtig, dass Luigi Di Maio als Anführer der M5S Regierungschef wird."

Italienische Abgeordnete sind wandlungsfähig

Sollte es irgendwann tatsächlich zu einem populistischen Regierungschef in Italien kommen, wäre das für Europa ein Menetekel, meint Politikwissenschaftler Maurizio Calise. Durch den Brexit und populistischen Strömungen, in Frankreich, Österreich, Deutschland und anderswo sei Europa in einer sehr instabilen Situation. "Italien ist da sicher mehr als nur ein Warnsignal. Die Frage ist nicht so sehr, ob Italien in der EU bleiben wird, sondern ob die EU erkennt, dass die bisherige Politik Wasser auf die Mühlen der Populisten war. Was wird die Antwort Europas sein?", fragt sich Calise.

Erste Parlamentssitzung nach Wahlen in Italien
Wachwechsel im neuen Senat vorerst gescheitert: Die Populisten lähmen sich gegenseitigBild: picture-alliance/AP/A. Medichini

Wie lange es dauern wird, bis nun echte Koalitionsgespräche beginnen und ein Ministerpräsident gewählt werden kann, ist angesichts der außergewöhnlichen Kräfteverhältnisse im Parlament schwer vorherzusehen. "Die Phase der Instabilität wird sicherlich ein Jahr andauern", meint der Politologe Mauricio Calise von der Universität Neapel. "Eine Regierung, die fünf Jahre durchhält, wird es wohl nicht geben. Das ist nichts Neues in der italienischen Politik, nur ist es diesmal besonders traumatisch." Calise hält es nicht für ausgeschlossen, dass noch viele Abgeordnete von einem ins andere Lager überlaufen können. "Die Hälfte der neue Abgeordneten bei der MS5 sind Laien, völlig unerfahren." Es sei möglich, die zum Beispiel in das rechte Lager von Matteo Salvini zu ziehen. In der letzten Wahlperiode haben über 50 Prozent der Abgeordneten ihre Partei oder ihre Fraktionszugehörigkeit geändert. Italienische Politik ist sehr flexibel.

 

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union