Renzis große Niederlage in der Presse
5. Dezember 2016Wie soll es weitergehen, nun, da die Italiener sich mit deutlicher Mehrheit - mit 59 zu 41 Prozent - gegen die Verfassungsreform gestimmt haben? Wie soll es weitergehen mit dem Staat und seiner Verfassung, für deren Erhalt sich die Bürger trotz all ihrer Schwächen ausgesprochen haben? Die ehrliche Antwort, heißt es in der Zeitung "La Repubblica", müsste lauten: Man weiß es nicht. Denn das Lager derer, die sich gegen die Verfassungsänderung ausgesprochen haben, umfasse zwei Gruppen, die eigentlich entgegengesetzte Ziele hätten: "Die einen haben gegen die Reform gestimmt, weil sie die Verfassung in ihrer bisherigen Form erhalten wollten. Und die anderen, weil sie alles ändern wollten, in der Hoffnung, reinen Tisch zu machen." Gemeinsam, schreibt "La Repubblica", sei den Nein-Sagern ein generelles Gefühl des Unmuts: "Das Votum hatte nichts mit den sinnvollen Aspekten der Reform zu tun, ja nicht einmal mit Politik im engeren Sinne überhaupt. Es entsprang Wut, Frust und Unzufriedenheit - den Stimmen jener, die nein zur Arbeitslosigkeit, Unsicherheit und Verarmung sagen, aber auch nein zu den Migranten und der Bereitschaft, diese aufzunehmen."
"Eine unverantwortliche Opposition"
Das Resultat gründe auf vielen Motiven, heißt es auch im" Corriere della Sera". Sie reichten von der Feindschaft gegen Renzi über den Entschluss, die Verfassung in ihrer derzeitigen Form zu erhalten bis hin zum Protest gegen vom Parlament bereits beschlossene Reformen und allgemeine Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Bilanz der Regierung Renzi. Das Ergebnis bezeuge einen in dieser Form nicht erwarteten Missmut gegenüber seiner ganzen politischen Amtszeit. "Renzi, der seine Partei erneuern wollte, ist von denen geohrfeigt worden, die er für 'seine' Leute hielt", schreibt der "Corriere della Sera". Das Ergebnis dürfte vor allem den Komiker und Polit-Aktivisten Pepe Grillo freuen, vermutet die Zeitung, dessen Bewegung "Fünf Sterne" sich entschieden und lautstark gegen die Reform ausgesprochen hat. Fraglich sei nur, wie lange dieser Triumph anhalten werde: "Gestern haben die Italiener die Reform blockiert. Aber morgen werden sie ebenso entschlossen sein, einer unverantwortlichen Opposition die Rote Karte zu zeigen."
Eine Palastintrige
Ganz wesentlich, schreibt die Zeitung "La Stampa", entspringe das Resultat aber auch alten Feindschaften innerhalb von Renzis Partito Democratico. Die Art und Weise, wie sich Renzi 2013 an die Spitze der Partei setzte, nachdem der damalige Vorsitzende Bersani an der Aufgabe gescheitert war, eine Minderheitsregierung zu bilden, hatte viele führende Demokraten verärgert. Seitdem hätten sie an Renzis Sturz gearbeitet. Das sei nun gelungen. "Es war immer schon klar, dass es einer gewissen italienisch-europäischen Polit-Klasse (innerhalb der Demokraten, d. Red.) viel wichtiger war, in der Partei zu herrschen als das Land zu regieren," schreibt" La Stampa". Renzis Scheitern wäre demzufolge nicht zuletzt das Ergebnis einer Art Palastintrige.
Das leidende Italien
Das, deutet die Zeitung "Il Quotidiano" an, sei seinen Gegnern wohl auch deshalb gelungen, weil Renzi es ihnen leicht gemacht habe. Sowohl seine politischen Verhaltensweise wie auch seine Selbsteinschätzung hätten hinreichend Angriffsflächen geboten: "Allzu große Selbstsicherheit und Vertrauen in das eigene Glück haben Renzi dazu getrieben, das Äußerste zu wagen." Dabei, so "La Stampa" weiter, habe er offenbar die im Land herrschende Stimmungslage verkannt: "Gegen die Reform haben vor allem die Teile der Gesellschaft gestimmt, die am meisten unter Druck stehen: Die Wähler aus dem Süden des Landes, die jungen Italiener, die am stärksten Benachteiligten. Ganz offensichtlich handelt es sich um die Mehrheitsgesellschaft. Um ein Italien, das leidet." Eben darum, so "Il Quotidiano" weiter, komme es nun vor allem auf eines an: "Man muss sich um das Unbehagen kümmern, das durch die Ablehnung der Reform zum Ausdruck gebracht wird."
Ankunft im Jahr Null
Renzi, schreibt das Nachrichtenmagazin "L´Espresso", habe seine Landsleute offenbar nicht erreichen können: "Sie haben sich Schritt für Schritt von ihm entfernt. Sie hatten den Eindruck, sie würden nicht gehört. Sie waren nicht empfänglich für die Ankündigungen, die Versprechen der Regierung - ja nicht einmal für das, was sie erreicht hat." Diese Entfremdung, so "L´Espresso" weiter, sei Renzi schließlich zum Verhängnis geworden. "Sein Plan war es wohl, der neuen, der Dritten Republik zum Durchbruch zu verhelfen. Stattdessen ist er im Jahr Null angekommen."