Italiens Giorgia Meloni: Weniger radikal als gedacht?
25. September 2023"Privatleben? Welches Privatleben?" antwortete Giorgia Meloni mit ironischem Lächeln auf eine entsprechende Frage des Starjournalisten Bruno Vespa nach ihrer Freizeit in der Talkshow "Porta a Porta" vor zwei Wochen. Seit sie vor einem Jahr (25.09.) die Wahlen in Italien gewann und einen Monat später (22.10.) als erste Premierministerin vereidigt wurde, habe sie nur noch für die privaten Dinge Zeit, "die unbedingt getan werden müssen", verriet Meloni.
Das Amt als Chefin einer Regierung aus drei stramm rechten Parteien scheint anstrengend zu sein. Aber es habe sie nicht verändert, meint die aus dem Post-Faschismus stammende Vorsitzende der rechtsradikalen "Fratelli d'Italia". "Es vergeht kein Tag, an dem ich mich nicht frage, ob ich noch dieselbe Person bin wie vorher", vertraute Meloni dem Talkshow-Publikum im regierungsnahen öffentlich-rechtlichen Sender RAI an. "Ich hatte immer Angst davor, mir nicht treu zu bleiben, aber ich bin ich geblieben."
Meloni überlässt die radikalen Töne nun anderen
Die radikalen Parolen aus dem Wahlkampf hat sie nach ihrem Wahlsieg vor einem Jahr nicht mehr wiederholt. In Italien selbst versucht sie, die Gesellschaftspolitik nach einem streng konservativen Familienbild zu formen. Die erfolgreiche Wirtschaftspolitik ihres Vorgängers Mario Draghi setzt sie mehr oder weniger fort.
In Europa gibt sie sich fast schon moderat. Ätzende Kritik an der EU ist nicht mehr zu hören. Im Rest der Welt sucht sie Freunde und Verbündete. Radikale Töne überlässt sie ihren Koalitionspartnern: Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega und ihrem christdemokratischen Außenminister Antonio Tajani, der in die Fußstapfen des verstorbenen Forza Italia-Chefs Silvio Berlusconi tritt.
"Ich habe eine politische Geschichte hinter mir, passe mich an eine sich verändernde Realität an", sagt die 46 Jahre alte Giorgia Meloni über sich selbst. Heute sei zum Beispiel der Umgang mit der künstlichen Intelligenz durchaus ein rechtes Thema. Dass sie einer Partei vorsteht, die die ewige Flamme vom Grab des faschistischen Diktators Benito Mussolini im Wappen trägt, sei für sie keine Belastung bei der täglichen Regierungsarbeit, sagt sie.
Meloni sucht den Ausgleich mit der EU
Ihre Gesprächspartner in Europa sehen darüber offenbar auch hinweg. Von EU-Beamten in Brüssel heißt es, man sei überrascht wie "milde" oder "weichgespült" die italienische Regierungschefin inzwischen auftrete. Beim Amtsantritt hatte sie noch gesagt, sie werde in Brüssel einiges ändern und italienische Interessen offensiv vertreten.
Inzwischen hat Meloni wohl verstanden, dass das mit leisen Tönen hinter den Kulissen besser funktioniert. Beim Treffen mit dem Sozialdemokraten und deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz in Rom sagte Meloni vor der Presse, man stimme in allen wesentlichen Politikfeldern überein und suche eine pragmatische Zusammenarbeit. Scholz widersprach nicht. Mit Ursula von der Leyen, der christdemokratischen EU-Kommissionspräsidentin, versteht sich Giorgia Meloni inzwischen ganz gut.
Ihren Frieden mit Europa hat Meloni wohl auch deshalb gemacht, weil das Geld aus Brüssel weiter überwiesen wird. Italien ist einer der größten Nutznießer des Corona-Aufbaufonds und erhält 190 Milliarden Euro an Zuschüssen und Krediten. Als im Juli Schwierigkeiten bei der Auszahlung einer weiteren Rate auftraten, versprach von der Leyen Abhilfe.
Italien und die EU: Schwerpunkt Migration
Die Kommissionspräsidentin und die italienische Regierungschefin demonstrierten bei einem Besuch auf Lampedusa kürzlich, dass sie in der Migrationspolitik an einem Strang ziehen: Grenzen kontrollieren, weniger Ankünfte, mehr Zusammenarbeit mit Transitstaaten. Nur Melonis Anregung, doch die Marine die Küsten Nordafrikas blockieren zu lassen, trägt von der Leyen nicht mit.
Zusammen waren Meloni und von der Leyen zweimal nach Tunis gereist, um dem tunesischen Präsidenten ein Abkommen über das Zurückhalten von Flüchtlingen abzuringen. Meloni sieht das als Teil ihrer Strategie, sich mehr als bisherige Regierungschefs mehr auf Nordafrika zu konzentrieren, um die Migration zu stoppen. "Da müssen wir jetzt ernsthaft ran. Der Westen hat Afrika zu lange ignoriert", sagte Meloni am Rande der UN-Vollversammlung in New York.
Auf Lampedusa gab es auch Kritik an Meloni. Eine Einwohnerin, die nicht genannt werden will, sagte der DW auf der Insel, Meloni rede auch nur und erreiche praktisch nichts. Die Zahl der Ankommenden ist doppelt so hoch wie vor einem Jahr. Die frustrierte Frau hat seit 2013 bereits vier italienische Ministerpräsidenten und zwei weitere EU-Kommissionspräsidenten erlebt, die die Insel immer dann besuchen, wenn wieder einmal
Hohe Zustimmung für Italiens Regierungschefin
Insgesamt fährt Giorgia Meloni bei den Zustimmungsraten Spitzenwerte ein. 53 Prozent der Italienerinnen und Italienern waren im August mit der Arbeit der Ministerpräsidentin zufrieden. Zum Vergleich: In Deutschland kommt Bundeskanzler Scholz nur auf 31 Prozent Zustimmung. Für Diskussionen und vereinzelte Proteste sorgt ihr erzkonservativer Kurs in der Familienpolitik.
Meloni hängt wie ihr "guter Freund", der ungarische Premier Viktor Orban, der Auffassung an, dass eine Familie aus Vater, Mutter und Kindern besteht. Wichtig sei eine möglichst hohe Geburtenrate, um die Nation zu retten, sagte sie beim "Demographischen Gipfeltreffen" konservativer Parteien in Budapest Mitte September.
Meloni setzt konservative Familienpolitik um
Gleichgeschlechtliche Eltern, Leihmutterschaft oder Abtreibungen haben in diesem Weltbild keinen Platz. Sie stehe zu ihrem Leitsatz: "Ich bin eine Frau, eine Italienerin, eine Mutter, eine Christin." Diese Werte würden in unserer heutigen Kultur ständig angegriffen, beschwerte sich Giorgia Meloni vor einem begeisterten Publikum in Budapest. "Das ist gefährlich für unsere Identität als Familie und als Nation. Ohne Identität sind wir nur Werkzeuge, Nummern ohne Bewusstsein. Die Menschheit verteidigen heißt die Identität verteidigen."
Diese Familien-Ideologie schlägt sich in Italien mit höheren Sozialleistungen für junge Familien und Kinder nieder. Die Elternrechte von homosexuellen Paaren werden hingegen beschnitten. Gegen Jugendkriminalität, Schulschwänzer und Eltern, die sich nicht um ihre Kinder kümmern, will die rechte Regierung härter vorgehen.
"Melodi" auf dem internationalen Parkett
Erleichtert waren die Chefs und Chefinnen der EU und G7-Staaten, dass Giorgia Meloni die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland bedingungslos unterstützt. Anders etwa als ihr Busenfreund Orban. Der amerikanische Präsident Joe Biden lobte Melonis Haltung, dass in der Ukraine auch die Freiheit Europas verteidigt werde.
"Ich hoffe, sie behandeln mich gut", scherzte Biden, als Meloni ihn im Weißen Haus in Washington besuchte. Meloni lachte vielsagend, denn Joe Biden hatte Melonis Wahlsieg vor einem Jahr noch als "Gefahr für die Demokratie" gebrandmarkt. "Wir sind jetzt Freunde", ließ Meloni nach dem Vier-Augen-Gespräch in Washington wissen.
Freunde hat Meloni, die völlig unerfahren auf dem außenpolitischen Parkett war, auch bei internationalen Gipfeltreffen, zum Beispiel der G20 in Neu Delhi, gefunden. Die öffentliche Zuneigung, die die Rechtsextreme und der nationalistische indische Regierungschefin Narendra Modi demonstrierten, führte in sozialen Medien in Indien zu aufgeregten Kommentaren. Meloni und Modi schmolz zum neuen Etikett "Melodi" zusammen. "Sie sind verliebt", hieß in vielen Beiträgen auf Instragram oder Facebook.
"Ein Jahr Meloni: hohe Lebenshaltungskosten, Migration außer Kontrolle"
Das erste Jahr hat sie gut gemeistert, findet Giorgia Meloni. In einem Interview-Buch, das gerade erschienen ist, ließ sie wissen, dass ihre Regierung auch Fehler mache, die aber "in gutem Glauben, mit Liebe und Demut ihr Bestes" gebe. Sie gedenke, noch lange Ministerpräsidentin zu bleiben. Anders als die meisten ihrer Vorgänger will sie nicht vorzeitig wegen Regierungskrisen abtreten, sondern volle fünf Jahre regieren.
Oppositionsführer Giuseppe Conte von den linkspopulistischen "Fünf Sternen" hat für diese Selbsteinschätzung nur Hohn über. "Sie blufft", meint der frühere Ministerpräsident. "Meloni? Das ist nach einem Jahr explodierende Benzinpreise, hohe Lebenshaltungskosten und eine Migration außer Kontrolle."