Italiens Wirtschaft leidet unter COVID-19
23. Juni 2020Maria Vittoria Falchetti kennt mehrere Facetten der Krise. Sie weiß, wie es ist, deswegen einen geliebten Menschen zu verlieren. Ihr Vater Umberto starb im März an COVID-19. Und sie weiß auch, wie es sich anfühlt, wenn ein Familienunternehmen von einem Tag auf den anderen nicht mehr produzieren darf, 1200 Arbeitsplätze weltweit in Gefahr sind.
Falchetti ist Marketing-Chefin und Mitbesitzerin von MTA, einem Automobilzulieferer in Codogono. Das Städtchen in der norditalienischen Region Lombardei erlangte zweifelhafte Berühmtheit, weil dort Ende Februar der erste Patient in Italien positiv auf COVID-19 getestet wurde. Die Stadt wurde daraufhin abgeriegelt, niemand durfte mehr rein, niemand raus. MTA musste - wie viele andere Unternehmen auch - die Produktion vorübergehend einstellen.
"Wir waren besorgt, dass wir nicht mehr an Autofirmen in Italien, in ganz Europa liefern können", sagt Falchetti. MTA durfte nach kurzer Pause im Werk in Codogno weitermachen - am Anfang mit 60 statt 600 Mitarbeitern. Der große Knall blieb aus, aber die kurze Pause, die Unsicherheit, das Warten, zeigten deutlich, wie fatal es sein kann, wenn Lieferketten unterbrochen werden.
"Die Lieferkette muss perfekt funktionieren. Tag für Tag, Stunde für Stunde", sagt Falchetti, als sie an diesem Juninachmittag durch die Fabrik führt. "Unsere Kunden können das Produkt, das wir ihnen liefern, von keinem anderen Hersteller beziehen."
Und tatsächlich ist MTA einer dieser "Hidden Champions", deren Namen kaum jemand kennt, die aber elektronische und elektromechanische Teile herstellen, ohne die kein Auto fahren kann. Sicherungskästen des Unternehmens sind zum Beispiel in deutschen BMWs und indischen Tatas verbaut.
Italiens Wirtschaft ging es schon vor Corona nicht gut
MTA ist nur eine von vielen Firmen, die dafür sorgen, dass in Italiens Norden, vor allem in der Region Lombardei rund um die Metropole Mailand, das wirtschaftliche Herz des Landes schlägt. Gerade dort hat das Virus besonders hart zugeschlagen.
Nach drei Monaten auf Pause hat Italien den strikten Lockdown inzwischen gelockert. Die Mund-Nasen-Masken, die bei MTA alle tragen müssen, zeugen von der Gefahr, die immer noch lauert. Auch wenn fast alle Mitarbeiter wieder zurück seien in der Fabrik, die Maschinen wieder auf Hochtouren liefen, sei der Umsatz im Vergleich zu vorher um 50 Prozent eingebrochen, sagt Falchetti.
Italiens Wirtschaft hatte schon geschwächelt, bevor die Coronaviruskrise das Land als erstes in Europa traf - und so hart wie kaum ein anderes. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone ist mit 135 Prozent des eigenen Bruttoinlandsprodukts (BIP) verschuldet.
Aufgrund der Einschränkungen rechnen Experten des Nationalen Statistikinstituts (Istat) damit, dass die italienische Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um mindestens acht Prozent einbrechen wird.
Manche sehen in der aktuellen Krise aber auch eine Chance für Italien. Ja, COVID-19 habe den Druck auf die italienische Wirtschaft immens erhöht. Vor allem für die Tourismusbranche, sagt Anna Gervasoni, Generaldirektorin des Private-Equity-Verbands AIFI. Aber: "Wir haben viele Unternehmer, die jetzt neue Produkte, neue Märkte und neue Geschäftsmodelle ausprobieren."
Das perfekte Sofa im Lockdown
Einer von ihnen ist Filippo Berto. Im Showroom seines Unternehmens Berto erzählt er, dass er und seine Mitarbeiter geschockt waren, als sie alle Läden in Italien schließen mussten.
Aber Berto hatte Glück - und war gut vorbereitet. Da seine Firma schon seit zwei Jahrzehnten Sofas und andere Möbelstücke online vermarktet, fiel es dem Unternehmen leichter, sich an die neuen Umstände anzupassen.
Während des Lockdowns erweiterte Berto sein Portfolio, fing etwa an, Kunden, die sich ihr Zuhause neu einrichten wollten, mit Videoanrufen online zu beraten. Es sei eine harte Prüfung gewesen, sagt Filippo Berto. "Wir hatten die Chance, unseren Kunden zu zeigen, dass wir in der Lage sind zu reagieren auf diese sehr, sehr schwierige Situation für alle in diesem Land."
Berto befindet sich in Meda, seit jeher ein Zentrum für Italiens Möbelhersteller. Die Materialen für die hochwertigen Sofas bezieht die Firma ausschließlich aus der Region. Kunden müssen dafür entsprechend tief in die Tasche greifen, das Konzept hat aber einen entscheidenden Vorteil: Das Unternehmen ist nicht abhängig von globalen Lieferketten.
Sollten die Infektionszahlen in Italien wieder ansteigen, wäre Filippo Berto auf einen möglichen zweiten Lockdown besser vorbereitet als andere Unternehmen.
Maria Vittoria Falchetti vom Autozulieferer MTA sagt, ihre Firma habe aus der Krise gelernt und sei gewappnet. Für viele andere Unternehmen in Italien sähe es allerdings um einiges düsterer aus.