Japan und USA: Neue Pfeiler für Dauerbund gesucht
14. April 2021Auf die erste Begegnung mit Joe Biden haben sich Japans Premier Yoshihide Suga und seine Entourage aus Beamten und Politikern gut vorbereitet. Alle Teilnehmer der Reise nach Washington erhielten rechtzeitig zwei Dosen des Biontech-Impfstoffes gespritzt, um das Ansteckungsrisiko beim ersten Besuch eines ausländischen Regierungschefs im Weißen Haus seit Bidens Amtsantritt zu minimieren. Der neue US-Präsident ist schon länger gegen Covid-19 geimpft.
Auch inhaltlich sieht der amerikanisch-japanische Gipfel am Freitag US-amerikanischer Zeit (16.4.) gut vorbereitet aus. Der Senat verabschiedet vor dem Treffen eine überparteiliche Resolution, um die Stärke der Sicherheitsallianz zwischen Japan und den Vereinigten Staaten zu unterstreichen. Gerüchten zufolge gibt die Washingtoner Regierung auch den neuen US-Botschafter für Japan bekannt. Der Posten in Tokio ist seit fast zwei Jahren vakant.
Versorgung mit Halbleitern
Zu den verabredeten Ergebnissen zählt ein Abkommen über die Versorgung mit kritischen Halbleiterkomponenten, nachdem ein globaler Chipmangel die Autoindustrie gebremst hat. Eine hochrangige Arbeitsgruppe beider Seiten soll einen Plan für eine dezentralere Fertigung erarbeiten, damit das Versorgungsrisiko durch die Produktion vieler Chips in geopolitisch riskanten Gebieten wie Taiwan und China sinkt. Auch in der Klimapolitik wollen beide Länder enger zusammenarbeiten. Japan will die USA unterstützen, indem es stärker auf erneuerbare Energien setzt und keine Kohlekraftwerke im Ausland mehr finanziert.
Ebenfalls auf der Agenda steht ein Rahmenwerk zur Förderung von hochqualitativer Infrastruktur im indopazifischen Raum. Auf diese Weise wollen die USA und Japan asiatischen Schwellenländern eine Alternative zu Chinas Seidenstraßeninitiative (Belt-and-Road-Initiative) anbieten. Dafür will man gemeinsame Richtlinien für Investitionen vereinbaren. Während man bisher projektweise vorgeht, soll der Vergabeprozess für staatlich begünstigte Kredite künftig standardisiert werden. Zu den Schwerpunkten der Investitionen könnten 5G-Funknetze und die klimafreundliche Energieerzeugung gehören.
Keine Rückkehr zu TPP
Die japanische Seite hofft darauf, bei dem Gipfel das Vertrauen wiederherzustellen, das unter den aggressiven Taktiken von Bidens Vorgänger Donald Trump gelitten hatte. Die USA sind seit 61 Jahren Japans einziger Sicherheitspartner. Trump hatte Japan wegen der hohen Autoimporte unter Druck gesetzt und einen bilateralen Handelspakt durchgesetzt. Zwar rechnet Suga nicht mehr damit, dass die USA zum von Trump aufgegebenen TPP-Handelsvertrag der Pazifikanrainer zurückkehren. Aber der neue US-Präsident wird sicher nicht mehr mit Strafzöllen gegen seinen engsten Verbündeten in Asien drohen. Einen größeren Teil des Schadens konnte Biden schon dadurch reparieren, dass er den Japaner als ersten ausländischen Staatsgast ins Weiße Haus eingeladen hat.
Der eigentliche Knackpunkt der Gespräche liegt im künftigen Umgang der Allianz mit China. Biden hat bislang die harte Linie seines Vorgängers fortgesetzt. Aber statt dem "maximalen Druck" von Trump setzt er auch auf verstärkten Wettbewerb. Zugleich passt die ursprünglich japanische Idee eines "freien und offenen Indopazifik" in Bidens außenpolitisches Konzept, gemeinsam mit Partnern dem Machtanspruch von China in Asien entgegenzutreten.
Bei ihren "2+2-Gesprächen" Mitte März in Tokio kritisierten die Außen- und Verteidigungsminister beider Länder Chinas Territorialansprüche im Ostchinesischen Meer ungewöhnlich scharf. Auf diese Weise konnte die Biden-Administration die japanischen Zweifel an der US-Bündnistreue beenden. Konkret wünschte sich Japan die Zusicherung, dass die USA einen bewaffneten Konflikt mit China riskieren würden, falls Peking die von Japan kontrollierten Senkaku-Inseln im Ostchinesischen Meer, Diaoyu-Inseln auf Chinesisch, besetzt.
Lackmustest Taiwan
Doch der auf Abwehr und Wettbewerb mit China ausgerichteter US-Politikansatz setzt Japan unter ungewohnten Handlungsdruck. "Bidens tendenziell weniger konfrontative Haltung gegenüber China ist zunächst kein Vorteil für Japan", meint der Historiker Torsten Weber vom Deutschen Institut für Japanstudien in Tokio. Das japanische Dilemma zeigt sich im Wunsch der USA, die Unterstützung von Taiwan in die Abschlusserklärung des Gipfels aufzunehmen. Für Japan würde dieser Lackmustest seiner Loyalität zu den USA eine politische Kehrtwende bedeuten. Seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen 1972 mit China hat Tokio das "Ein-China-Prinzip" beachtet. Außerdem könnte ein solches Statement zur Folge haben, dass Japan die USA bei einem Konflikt um Taiwan militärisch unterstützen müsste. Womöglich erlaubt Japans pazifistische Verfassung dies jedoch nicht.
Im Vorfeld des Gipfels hat China bereits Druck auf Japan ausgeübt, den Schulterschluss mit den USA nicht zu übertreiben. Japan sollte sicherstellen, dass seine bilateralen Beziehungen zu China "nicht in die sogenannte Konfrontation zwischen großen Ländern" hineingeraten, warnte Chinas Außenminister Wang Yi seinen japanischen Amtskollegen Toshimitsu Motegi bei einem Telefonat. Der scharfe Ton überraschte, weil Tokio bislang eine Konfrontation mit Peking vermieden hat. Zum Beispiel hat Japan als einziges G7-Land keine Sanktionen wegen der Uiguren-Umerziehung in der Provinz Xinjiang verhängt. Doch Historiker Weber hält Chinas Einschüchterungsstrategie für riskant: "Je aggressiver China in der Region und global auftritt, umso mehr treibt es die USA in die Arme Japans - und umgekehrt."
In der Folge müsste Japan seine außenpolitische Maxime, dass Diplomatie vor allem dem Handel dienen sollte, aufweichen. Diese Haltung führte bisher dazu, dass Tokio sein Licht auf der globalen Bühne lieber unter den Scheffel stellte. In diesem Kontext betont der deutsche Historiker die politischen Chancen, die sich aus Japans Wertepartnerschaft mit den USA und auch Deutschland ergeben. "Wenn Japan, die USA und andere Länder ihre gemeinsame chinakritische Position mit Freiheit, Demokratie und Menschenrechten begründen, dann könnte Japan ein wichtiger Partner der Weltpolitik werden", meint Weber. Allerdings hätte diese Neuorientierung ihren Preis: "Dann müsste Tokio auch den Geschichtsrevisionismus in Bezug auf Zwangsprostituierte, Zwangsarbeit und Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg zurückfahren, weil diese Aktivitäten das japanische Bekenntnis zu Freiheit und Menschenrechten in Frage stellen."