Joe Biden: Der Mann der Mitte hört auf
21. Juli 2024Am Ende war es dann doch das Alter: Am Sonntag verkündete Präsident Joe Biden, dass er sich im November nicht zur Wiederwahl stellen werde. Die Demokraten werden nun bei ihrem nationalen Parteitag im August einen neuen Präsidentschaftskandidaten oder Präsidentschaftskandidatin wählen.
Aus den eigenen Reihen kamen zuletzt immer mehr Forderungen danach, dass Biden seine Kandidatur zurückziehen solle. Besonders laut waren diese Rufe geworden, nachdem Biden Ende Juni eine katastrophale Figur bei einer Debatte gegen Donald Trump abgegeben hatte. Sein gebrechliches Auftreten und konfuse Antworten bei dem TV-Duell bestätigten für viele Zuschauer, dass er mit 81 Jahren zu alt für den Job sei.
Ältester US-Präsident bei Amtseinführung
Obwohl er in den Wochen nach dem Auftritt ein Ende seiner Kandidatur zunächst vehement ausgeschlossen hatte, gab er den Forderungen, jemand jüngeren gegen Donald Trump antreten zu lassen, schließlich nach.
Das bedeutet das Ende einer illustren politischen Karriere, die begann, als Joseph Robinette Biden Jr. mit 30 Jahren einer der jüngsten Senatoren in der Geschichte der USA wurde. Als er 2021 mit 78 Jahren ins Weiße Haus einzog, war er der älteste US-Präsident, der jemals ins Amt eingeführt wurde.
Begonnen hat seine Karriere mit 1972 im Alter von 29 Jahren, als Biden sich von den Demokraten in Delaware für die US-Senatswahl aufstellen ließ. Viele hielten ihn für verrückt, aber er schaffte es, den langjährigen republikanischen Amtsinhaber zu schlagen.
Amtseid im Krankenhaus
Nur Wochen nach seinem Senatswahlsieg traf Bidens Familie ein Schicksalsschlag: Seine Frau, Neilia, und die einjährige Tochter Naomi starben bei einem Autounfall, die Söhne Beau und Hunter überlebten schwer verletzt.
Biden wollte seinen Senatssitz aufgeben, aber seine Kollegen überredeten ihn, das Amt anzutreten. Seinen Amtseid leistete er am 3. Januar 1973 in dem Krankenhaus, in dem seine Söhne behandelt wurden.
Um den nunmehr alleinerziehenden Vater zu unterstützen, zog Bidens Schwester ein und kümmerte sich um die Jungen, während der junge Senator zwischen Wilmington und Washington pendelte. Sie blieb bis Biden 1977 Jill Jacobs heiratete, mit der er eine Tochter, Ashley, bekam.
Biden und Obama, ein gutes Team
Während seiner sechs Amtszeiten als Senator von Delaware hatte Biden oft die Zusammenarbeit mit republikanischen Kollegen gesucht; ihn verband eine langjährige Freundschaft mit dem republikanischen Senator und ehemaligen Präsidentschaftskandidaten John McCain.
Biden wollte mehrfach Präsidentschaftskandidat für die Demokratische Partei werden. 1988 beendete er seinen Wahlkampf nach Vorwürfen, er habe in einer Rede einen britischen Politiker zitiert, ohne dies anzugeben. 2008 ging er im Rennen gegen Hillary Clinton und den späteren Wahlsieger Barack Obama unter.
Aber er wurde Obamas Vizepräsident und half ihm, die flächendeckende Krankenversicherung "Affordable Care Act" im Gesetz zu verankern, die vielen als größtes Vermächtnis der Obama-Regierung gilt.
Während Biden eine Grundgesundheitsversorgung für die unteren Einkommensschichten erkämpfte, erlag sein ältester Sohn Beau 2015 einem Hirntumor, dem auch die besten Ärzte nichts entgegenzusetzen hatten.
Einige Tage vor dem Ende der gemeinsamen zweiten Amtszeit, zeichnete Obama seinen "Bruder" Biden mit der Freiheitsmedaille der USA aus. In seiner Rede sagte er: "Joe Biden zu kennen bedeutet, Liebe ohne Heuchelei zu erleben, Dienst ohne Eigennutz und jemanden zu kennen, der das Leben voll auskostet."
"Darum kandidiere ich"
Biden wurde nicht müde zu betonen, wie sehr ihn seine Wurzeln geprägt hätten. Auch seine Bewerbung für die Präsidentschaftskandidatur im November 2020 begründete er damit.
"Im Gegensatz zu meinem Vater können die Menschen der Mittelschicht ihren Kindern heutzutage nicht mehr in die Augen sehen und voll ehrlicher Hoffnung sagen: Es wird alles gut", sagte Biden bei einer Wahlkampfrede in seinem Geburtsort Scranton 2019 und fügte hinzu: "Darum kandidiere ich."
Viele Beobachter räumten ihm gute Chancen bei den Präsidentschaftswahlen gegen Donald Trump ein. Er galt als Mann der Mitte. Das Vertrauen Barack Obamas machten ihn zudem attraktiv für die schwarze Wählerschaft und half beim Wahlsieg.
Biden selbst betonte immer wieder, wie wichtig es ihm ist, dass auch Menschen mit verschiedenen Ansichten zusammenhalten, zum Beispiel in einem Statement, das während seiner Wiederwahlkampagne 2024 veröffentlicht wurde.
"Ich weiß, dass Demokraten, Republikaner und Unabhängige in vielen Fragen unterschiedlicher Meinung sind und starke Überzeugungen haben", sagte Biden. "Das ist gut. Das ist es, wofür Amerika steht. Aber ich weiß auch eines: Was Demokraten, Republikaner und Unabhängige eint, ist die Liebe zu Amerika."
COVID: Strenge Lockdown-Regeln
Während seiner Wahlkampagne 2020 hatte Biden versprochen, mehr auf medizinische Experten zu hören, als es der damalige Präsident Donald Trump getan hatte. Kritiker bezeichneten Bidens Lockdown-Regeln jedoch als zu streng und sagten, sie schadeten den US-Unternehmen.
Er verlängerte Lockdowns und leitete eine breite Verteilung von Impfstoffen und ein wirtschaftliches Hilfspaket in Höhe von 1,9 Billionen Dollar (1,6 Billionen Euro im Jahr 2021) ein.
Als seine Regierung im Mai 2023 den Gesundheitsnotstand COVID-19 für beendet erklärte, waren bereits mehr als 1,1 Millionen Amerikaner an der Krankheit gestorben. Die meisten davon nach Bidens Amtsantritt (das Coronavirus begann sich Anfang 2020 weltweit auszubreiten).
Unter Bidens Präsidentschaft sank die Zahl der Amerikaner ohne Krankenversicherung um fast sechs Millionen im Vergleich zur Zeit vor der Coronavirus-Pandemie. Zu den Maßnahmen Bidens, die seine Unterstützer besonders schätzten, gehörten die Senkung der Preise für verschreibungspflichtige Medikamente und die Verabschiedung eines überparteilichen Infrastrukturgesetzes, mit dem viele der maroden Straßen und Brücken in den USA wiederaufgebaut wurden.
Viele Jobs, viel Inflation
Wirtschaftlich erlebten die USA unter Biden ein Beschäftigungswachstum, wie es das zuletzt in den 1960er Jahren gegeben hatte. Gegen Ende seiner Amtszeit gab es in der Wirtschaft 3,2 Millionen mehr Arbeitsplätze als auf dem Höhepunkt vor der Pandemie.
Dieser Erfolg wurde jedoch von einem anderen wirtschaftlichen Problem überschattet, das Bidens Präsidentschaft prägte: der Inflation. Im Sommer 2022 verzeichneten die USA eine Inflation von 9,1 Prozent, ein Höchststand seit vier Jahrzehnten.
Die Lebenshaltungskosten, einschließlich der Preise für Benzin und Lebensmittel, stiegen exponentiell an und trafen vor allem Familien mit niedrigem Einkommen. Während einige Faktoren außerhalb Bidens Kontrolle lagen, wie der Krieg in der Ukraine, der zu Lieferkettenproblemen führte, sagten Kritiker, dass die erhöhten Bundesausgaben unter Biden, einschließlich 750 Millionen Dollar für Klimaschutz und Steuererleichterungen, das Problem verschlimmerten.
Umstrittene Geschäfte von Hunter Biden
Die Kontroverse um die Karriere seines Sohnes Hunter begleitete Biden während seiner gesamten Präsidentschaft. Hunter Biden hatte im Vorstand eines ukrainischen Energieunternehmens gearbeitet, während sein Vater als Vizepräsident in der Regierung von Barack Obama diente - einige warfen Hunter und auch Joe Biden Fehlverhalten vor.
Im Jahr 2023 leitete das Repräsentantenhaus ein Amtsenthebungsverfahren ein, um zu prüfen, ob Joe Biden im Zusammenhang mit den umstrittenen Geschäften seines Sohnes jemals korrupt gehandelt hatte. Im Frühjahr 2024 war das Verfahren im Sande verlaufen.
Biden und die US-Demokraten bezeichneten das Verfahren als unbegründet. Hunter Biden wurde 2023 wegen Steuerhinterziehung angeklagt, und 2024 verurteilt, weil er auf einem Formular beim Kauf einer Waffe über seinen Drogenkonsum gelogen hatte. Sonst aber hatte er jegliches Fehlverhalten abgestritten.
Das Israel-Problem
Einer der größten Kritikpunkte der Progressiven während Bidens Amtszeit war die Unterstützung Israels durch die USA im Konflikt nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023.
Als das israelische Militär mit Luftangriffen auf den Gazastreifen begann, um die militant-islamistische Hamas zu vernichten, betonte Biden die starke Verbundenheit seines Landes mit Israel und schickte militärische Hilfe. Historisch gesehen waren die USA immer ein Partner Israels.
Als jedoch immer mehr Zivilisten in Gaza bei israelischen Luftangriffen getötet wurden und die humanitäre Lage sich katastrophal verschlechterte, waren viele Menschen vom liberalen Spektrum der USA, insbesondere junge Wähler, entsetzt darüber, dass ihre Steuergelder zur Finanzierung von Israels Krieg verwendet wurden.
Sie wollten, dass der Präsident einen dauerhaften Waffenstillstand im Gazastreifen fordert und alle Hilfen für Israel einstellt. Nach einer Reihe israelischer Luftangriffe, bei denen im Frühjahr 2024 mehrere Mitarbeitende von Hilfsorganisationen getötet wurden, stellte Biden ein Ultimatum.
Er erklärte, die USA würden ihre Politik ändern, wenn Israel sich nicht um das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza und die Sicherheit der Mitarbeitenden von Hilfsorganisationen kümmere. Unmittelbar danach kündigte Israel mehrere Schritte an, um den Zustrom von Hilfsgütern nach Gaza zu erhöhen.