Joschka Fischer - Vom Hausbesetzer zum Außenminister
27. Juni 2006Manche hielten den Grünen-Politiker, der seinen ersten Amtseid als Minister im Bundesland Hessen in Jeans und Turnschuhen ablegte, für einen Bürgerschreck. Andere sahen in ihm einen politischen Visionär. In seiner Partei, Bündnis 90/Die Grünen, hatte jedenfalls neben ihm, dem charismatischen und aufbrausenden Machtpolitiker, kaum einer Platz in der ersten Riege. Jetzt, da diese Partei die kleinste Oppositionspartei in Deutschland ist, verabschiedet sich Fischer aus der Politik.
Außenminister mit wilder Biografie
Schon lange bevor Fischer der erste grüne Bundesaußenminister wird, ist er eine wichtige Figur in der deutschen Polit-Landschaft - und von Beginn an wegen seiner Biografie ein umstrittene.
Schon nach der 10. Klasse verlässt er die Schule und engagiert sich in der 68er-Studenten-Bewegung. Er ist einer, der nicht nur flammende Reden hält, sondern auch buchstäblich Hand anlegt. So wird er Mitglied der militanten Gruppe "Revolutionärer Kampf", nimmt an Demonstrationen, Hausbesetzungen und Straßenschlachten teil. Später wird er diese Ausschreitungen so erklären: "Es war eine Zeit des Protestes gegen den Vietnamkrieg, es war die Zeit der Schüsse auf Rudi Dutschke, die Zeit der leerstehenden Häuser. Es war die Zeit, in der man meinte, aus der Gewalt, die man selbst erfahren hat, zu Gewalt greifen zu können. Und das genau war der Trugschluss."
Joschka Fischer wendet sich schließlich der Politik zu. Er tritt der neu gegründeten Partei "Die Grünen" bei. Eine Partei, die eine ökologische und soziale Wende im Land erreichen will. Schon bald gibt Fischer in der Partei den Ton an. Als erster Grüner wird er Minister und übernimmt in Hessen das Umweltministerium. In dieser Zeit muss er allerdings erkennen, was es heißt, Politik in der Praxis zu machen.
Die Grünen übernehmen Regierungsverantwortung
Nach der Bundestagswahl 1998 haben die Grünen ihre große Chance: Bundeskanzler Helmut Kohl wird nach 16 Jahren Regierungszeit abgewählt. Und die SPD ist bereit zur Koalition mit den Grünen. Fischer wird der erste grüne Vizekanzler und Bundesaußenminister. Bei seinem ersten Auftritt vor der UN-Vollversammlung trifft Fischer den Ton, weil er nicht deutsche Interessen - insbesondere einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat - in den Vordergrund stellt, sondern die Interessen der Vereinten Nationen.
Fischers Start ins Amt gelingt. Doch die erste große Bewährungsprobe steht bereits bevor. Auf dem Balkan spitzt sich der Kosovo-Konflikt zu. Die NATO beschließt eine Luftoffensive. Nach der Wiedervereinigung war es nur eine Frage der Zeit, bis sich auch die Bundeswehr an solchen Einsätzen beteiligen musste. Dass es gerade das rot-grüne Bündnis ist, das ihn beschließt, hat vielleicht eben diese Regierung am meisten überrascht. Dennoch gibt es für Fischer keine Alternative, auch gegen den Widerstand seiner grünen Parteifreunde.
Der Pazifist plädiert für den Krieg als letztes politisches Mittel
Aber Fischer bringt sie wieder einmal auf Kurs: "Was würde es denn heißen unter dem Gesichtspunkt 'Wahrung des Friedens', wenn die internationale Staatengemeinschaft den Druck nicht aufgebaut hätte?" fragt er. "Wir würden bestenfalls in eine Situation wie Bosnien hineinlaufen, bestenfalls. Schlimmstenfalls in einen großen Krieg. Das Problem ist doch nicht nur die humanitäre Katastrophe, so schlimm sie ist. Das Problem ist, dass von der Politik Milosevic - und ich sage nicht: des serbischen Volkes, sondern von der Politik Milosevic - eine dauerhafte Kriegsgefahr in Europa ausgeht. Und diese Kriegsgefahr können wir nicht akzeptieren."
Der einstige Pazifist erkennt an, dass Krieg manchmal das letzte politische Mittel ist. Zum Kriegstreiber wird er deshalb nicht, auch wenn er weitere Missionen wie die in Afghanistan unterstützen wird.
Fischers Thema: die Stärkung und Erweiterung der EU
Doch Fischers großes Thema in der Politik ist ohnehin nicht der Kampf gegen den Terror oder gegen Diktaturen. Er widmet sich vor allem der Einigung und Stärkung der Europäischen Union: "Alle wissen, dass es zur Osterweiterung keine Alternative gibt. Sie zu vertagen, zu verzögern, wird das ganz nur politisch wesentlich teurer und komplizierter machen", sagt er. "Man würde das Momentum, das jetzt durch die positive Einführung des Euros erreicht wurde, verlieren. Nach dem Ende des Kalten Krieges wissen alle, dass die EU kein west-europäisches Projekt bleiben kann und darf."
In Deutschland ist es kaum ein Geheimnis, dass er gern der erste EU-Außenbeauftragte geworden wäre. Aber den Posten bekommt ein anderer - Javier Solana. Fischer dagegen gerät zuhause in seine erste und schwerste Krise: Bilder des jungen Straßenkämpfers Joschka Fischer werden in der größten deutschen Boulevardzeitung veröffentlicht. Die Fakten sind nicht neu, dennoch ist die Aufregung groß. Fischer entschließt sich zur Flucht nach vorn, leugnet nichts, sondern sagt: "Meine Rolle als militanter Häuserbesetzer in den 70er Jahren und jemand, der einer revolutionären Bewegung angehörte, die diesen Staat und seine verfassungsmäßige Ordnung stürzen wollte, habe ich klargestellt. Das ist Teil meiner Biografie."
Sind die Grünen zu abhängig von Fischer?
Doch der Frontmann der Grünen wankt und mit ihm die ganze Partei. Die Frage, ob die Grünen vielleicht zu abhängig sind von ihrem Spitzenmann Joschka Fischer, muss jedoch nicht mehr beantwortet werden. Denn nach der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 sind die Grünen gerade einmal die kleinste Oppositionspartei in Deutschland.
Zeit für Joschka Fischer, neue Wege zu gehen: Er plant eine Karriere als Professor. Der einstige Straßenkämpfer, der kein Abitur gemacht und nie studiert hat, tritt im Herbst eine Gastprofessur an der amerikanischen Elite-Universität Princeton an.