"Es wird ein harter Kampf"
21. Dezember 2012DW: Herr Schewtschuk, im vergangenen Jahr sind Sie mehrmals auf Kundgebungen der Opposition aufgetreten. Dabei hatten Sie eine Wiederholung der von Fälschungsvorwürfen überschatteten Parlamentswahl vom Dezember 2011 gefordert. Sind Sie enttäuscht, dass es nicht dazu gekommen ist?
Juri Schewtschuk: Nein, weil ich damit gerechnet hatte. Im vergangenen Jahr war die Staatsmacht wegen der Proteste zunächst ein wenig sprachlos und erschrocken. Aber dann stellte sie schnell ihre Reihen neu auf und zersplitterte die Opposition. Natürlich ist es schade, dass die erste heftige Protestwelle nachgelassen hat. Das ist aber nicht so schlimm. Jetzt hat man Zeit, die Reihen der Opposition umzubauen und darüber nachzudenken, was geschehen ist. Um auf festen Füßen stehen zu können, muss man die Vergangenheit verstehen. Ich verstehe sie so: 1991 gab es eine bürgerlich-demokratische Revolution. Dem Volk wurden Eigentum und Bürgerrechte versprochen. Aber die Mächtigen teilten das Eigentum unter sich auf und die bürgerlichen Freiheiten vergaßen sie einfach. Das Volk erhielt weder Eigentum noch bürgerliche Institutionen und Freiheiten. Meiner Meinung nach herrschte bei uns noch keine einzige Sekunde Demokratie. Wir müssen noch viel und lange daran arbeiten. Meine großartige Band und ich als Künstler sprechen mit den Menschen darüber. Ich versuche, bei den Menschen wieder Vertrauen in Demokratie herzustellen.
Ist die Protestbewegung gescheitert?
Nichts ist gescheitert. Es gab kein Armageddon. Gott sei Dank wird es auch keinen Weltuntergang geben. Wir haben eine gute Zukunft vor uns. Wir brauchen keine Angst vor ihr zu haben. Wir müssen nur arbeiten und in vollen Zügen leben.
Sie haben gerade eine Tournee durch Russland beendet. Was bewegt die Menschen?
In allen Städten haben mich junge Menschen gefragt: "Juri, wann kommt die Revolution?" Ich versuche dann zu philosophieren und zu hinterfragen, was eine Revolution und was eine Rebellion ist, und wo der Unterschied lieg. Eine Revolution kann geistiger Natur sein, sie gibt es in der Kunst, aber es gibt auch soziale Revolutionen. Diese Gedanken beschäftigen mich, aber auch die Jugend.
Und was will die Jugend?
Gerechtigkeit. Warum wohl schließen sich russische Jugendliche freiwillig Wohltätigkeitsorganisationen an? In diesem Jahr haben wir eine Menge Benefizkonzerte gegeben und überall kamen viele junge Menschen. Ich baue auf die russische Jugend, weil ihr nichts gleichgültig ist. Sie betrachtet nicht Geld als den wichtigsten Sinn im Leben. Sie setzt auf anderes, auf mehr Menschlichkeit, was sehr wichtig ist.
Was ist das Wichtigste, das sich in Russland im vergangenen Jahr verändert hat?
Die Jugend. Sie ist mutig und aktiv. Sie will eine helle Zukunft für Russland. Es gibt nicht viele solcher jungen Menschen, aber es gibt sie heute.
Die Duma verabschiedete im Jahr 2012 Gesetze, die in Russland und im Ausland kritisiert werden. Die Versammlungsfreiheit wurde eingeschränkt. Nichtregierungsorganisationen werden als "ausländische Agenten" gebrandmarkt, wenn sie aus dem Ausland finanziell unterstützt werden. Manche sprechen schon von Repressionen wie unter Stalin.
Das ist übertrieben. Mein Großvater und Urgroßvater wurden 1937 erschossen. Erschießungen gibt es noch nicht. Solche Vergleiche würde ich nicht ziehen. Aber heute werden die Schrauben enger angezogen, denn man fürchtet sich vor der Zivilgesellschaft. Weil man Angst hat, werden die Menschen vom Fernsehen, Radio und all den zur Macht gehörenden Politikern und Parteien zu Zombies gemacht. In Russland tobt ein Kampf zwischen dem Alten und Neuen. Das gab es auch früher schon und ist nicht ungewöhnlich. Wer gewinnen wird, weiß ich nicht.
Vor einigen Jahren haben sie sich mit dem damaligen Premier Wladimir Putin getroffen. Hätten sie heute dazu eine Gelegenheit, was würden sie dem Präsidenten Putin sagen?
Ich weiß nicht. Mir ist auch so alles klar. Damals war mir einiges unklar und ich hatte Fragen. Diese könnte man mit einer Zeile aus einem unserer Lieder zusammenfassen: "Was wird aus unserer Heimat und aus uns?" Heute verstehe ich die Lage.
Und wovon gehen Sie aus?
Es wird ein harter Kampf.
Das Gespräch führte Roman Goncharenko
Juri Schewtschuk ist der Begründer der Rockband DDT. Sie gehörte in den 1980er-Jahren zu den bekanntesten Bands des sowjetischen Undergrounds und ist bis heute sehr populär. Der 55-jährige Musiker ist auch als Dichter, Komponist, Produzent und Schauspieler in Russland bekannt. Er gilt als engagierter Kritiker Wladimir Putins. Schewtschuk unterstützte mit Auftritten die Kundgebungen der Protestbewegung, die im Winter 2011 nach der von Fälschungsvorwürfen überschatteten Parlamentswahl entstand.