Jüdische Namen wieder auf Buchstabiertafel
4. Dezember 2020Wer kennt es nicht: Bei einem Telefonat versteht der Gesprächspartner am anderen Ende ein Wort partout falsch, zum Beispiel "meins" statt "deins". Oder Frau Mayer will sichergehen, dass der Telefonkontakt sie nicht zu Frau Meier macht. Um solche Missverständnisse aufzulösen oder gar nicht erst entstehen zu lassen, gibt es die sogenannte Buchstabiertafel, die auch als Telefon-, Funk- oder Fliegeralphabet bezeichnet wird: Für jeden Buchstaben steht ein Name oder Begriff, der verdeutlicht, welcher Buchstabe und in der Summe schließlich auch welches Wort gemeint ist.
Solche Tafeln sind international üblich, die deutsche Fassung geht auf das Berliner Telefonbuch aus dem Jahr 1890 zurück, in dem jedem Buchstaben eine Zahl zugeordnet war. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Zahlen durch Namen ersetzt. Seitdem ist viel passiert, historisch wie sprachlich. Doch die Buchstabiertafel aus dem Kaiserreich von 1905 wurde trotzdem selten geändert. In der Weimarer Republik gab es lediglich fünf Korrekturen: So wurde "P wie Paul" 1926 etwa "P wie Paula", aus "I wie Isidor" wurde " I wie Ida".
Nazis tilgten hebräische Namen
Basierend auf antisemitischer Ideologie nahmen die Nationalsozialisten dann kurz nach ihrer Machtergreifung einschneidende Veränderungen vor: Sie tilgten gleich 14 Begriffe aus der Buchstabiertafel, darunter deutsch-hebräische Vornamen wie David, Jacob, Nathan, Samuel und Zacharias.
Neben alternativen Namen für "Anton" (für "Albert") und "Dora" (für "David") waren zwei neue Begriffe besonders zynisch, die "Nathan" und "Ypsilon" ersetzten: "Nordpol" und "Ypern". "Nordpol" steht in der NS-Ideologie für die angebliche Herrschaftsrasse der Arier, in der belgischen Stadt Ypern testeten deutsche Truppen im Ersten Weltkrieg erstmals den Einsatz von Senfgas. Während "Ypern" nach dem Ende des Dritten Reichs wieder durch "Ypsilon" ersetzt wurde, ist "Nordpol" bis heute gebräuchlich.
Der Antisemitismus-Beauftragte von Baden-Württemberg, Michael Blume, stieß bei Recherchen für sein 2019 erschienenes Buch "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" zufällig auf den nationalsozialistischen Hintergrund vieler heute noch offiziell gültiger Begriffe auf der Buchstabiertafel. Vor einem Jahr schrieb er einen Brief an das zuständige Deutsche Institut für Normung (DIN), eine unabhängige Plattform, die seit mehr als 100 Jahren Normen erarbeitet, verfasst und veröffentlicht. Blume wies in seinem Schreiben auf die Historie hin und regte eine Rückkehr zur Tafel aus der Weimarer Republik an.
Weimarer Buchstabiertafel tritt in Kraft - symbolisch
Der Aufwand wäre überschaubar, denn "Zacharias" und "Samuel" kehrten bereits 1948 auf die Tafel zurück, die während der Weimarer Republik ebenfalls geltenden und von den Nazis gestrichenen Vornamen "Theodor", "Heinrich" und "Friedrich" folgten 1950. Zudem gehen nicht alle Änderungen oder aktuellen Begriffe auf die Nazis zurück: "Marie" war erst 1950, also deutlich nach dem Ende des Dritten Reichs, durch "Martha" ersetzt worden. Auch das aktuell gültige Wort "Übermut" war keine Wahl der Nazis, die den Buchstaben Ü mit "Übel" diktieren ließen und damit "Überfluss" strichen.
Im DW-Interview berichtet Michael Blume von zahlreichen Anfeindungen von Menschen, die argumentieren, die heute gültigen Begriffe seit der Kindheit zu kennen und zu verwenden. Tatsächlich lässt sich objektiv diskutieren, ob eher veraltete Namen wie "Albert" und "Nathan" den Zweck erfüllen, das Buchstabieren zu erleichtern. Doch stramme Traditionalisten können sich beruhigen: Das Deutsche Institut für Normung hatte ohnehin bereits eine Reform der Buchstabiertafel in Arbeit.
Deren Entwurf soll im Herbst 2021 vorliegen und aus Städtenamen bestehen. In der Zwischenzeit wird temporär die Buchstabiertafel der Weimarer Republik gültig - nicht offiziell, sondern symbolisch und parallel zur aktuell noch geltenden Norm. Die endgültige Reform der für die Buchstabiertafel seit 1983 gültigen Norm DIN 5009 tritt im dritten Kalendervierteljahr 2022 in Kraft.