Kabul muss Korruption den Kampf ansagen
2. Mai 2014Laut der aktuellen Tabelle ("Corruption Perceptions Index 2013") von Transparency International wird Afghanistan als das drittkorrupteste Land der Welt eingeschätzt, nach Nordkorea und Somalia. Sayed Massud von der Universität Kabul bestätigt die Allgegenwart der Korruption im Alltag seines Landes. Sie ist für ihn Ergebnis eines "kranken Gesellschaftsmodells", demzufolge die Entgegennahme beziehungsweise Zahlung von Schmiergeldern als etwas Normales betrachtet wird, damit die Arbeit zügig vorangeht oder um niedrige öffentliche Gehälter zu kompensieren.
Massud sagt gleichzeitig, dass Korruption dieses Ausmaßes keineswegs eine Konstante der afghanischen Geschichte sei. So gelte die Herrschaftszeit des letzten afghanischen Königs Mohammad Sahir (1933-73) als eine der am wenigsten von Korruption geplagten afghanischen Zeitalter. Bestätigt wird das von Ghasnib Gul, einem Bewohner Kabuls: "Unter König Mohammad Sahir gab es keine Korruption, die Annahme von Bestechungsgeldern stand nicht nur unter Strafe, sondern war gesellschaftlich geächtet." Jetzt zählten nur noch Dollars, mit einheimischer Währung könne man gar nichts ausrichten, berichtet Gul der Deutschen Welle. "Jeder ist korrupt, ob er von ganz unten oder von ganz oben kommt", konstatiert der 65-Jährige.
Justiz besonders korrupt
Wie es zu einer solchen Entwicklung von einer weitgehend integeren Verwaltung zum aktuellen Sumpf der Korruption kommen konnte, ist schwer zu erklären. Von der pro-kommunistischen Führung seit Ende der 70er Jahre über die Mudschahidin-Führer der Bürgerkriegszeit bis zu den Taliban seien wohl letztere am wenigsten korrupt gewesen, so Sayed Massud. Dies schon deshalb, weil sie die öffentliche Verwaltung weitgehend stillgelegt und damit einen Auslöser für Schmiergeldzahlungen beseitigt hätten. Im übrigen hätten die Taliban Bestechungsgelder als "Sünde" betrachtet.
Mit Blick auf die heutige Situation gilt das Justizwesen als der am stärksten von Korruption unterwanderte Bereich des öffentlichen Lebens in Afghanistan. "Jemand aus meiner Familie hatte mit jemandem eine handfeste Auseinandersetzung“, berichtet Ghasni Gul aus Kabul. "Die Justizbeamten wollten Geld von mir. Ich musste ablehnen, weil ich keins hatte. Also kam mein Verwandter für ein Jahr ins Gefängnis." Laut einem aktuellen Bericht der UN-Behörde für Drogen und Verbrechensbekämpfung (UNODC) und der Kabuler Behörde für Korruptionsbekämpfung hat die Hälfte aller Bürger 2012 Bestechungsgelder an Behördenmitarbeiter gezahlt, insgesamt 3,9 Milliarden US-Dollar, was 20 Prozent der Wirtschaftsleistung entspricht. Am meisten sahnen die Mitarbeiter der Polizei, der Lokalverwaltungen, der Justiz, des Bildungs- und Gesundheitswesens sowie der Zollverwaltung ab.
Ungewollte Nebeneffekte der Entwicklungshilfe
Als einen Motor für die blühende Korruption sehen Experten unter anderem die ausländische Entwicklungshilfe. Rukshana Nanaykkara vom Asien-Büro von Transparency International bringt diese Einschätzung gegenüber der DW so auf den Punkt: "Wenn man Geld in Projekte pumpt, ohne deren Umsetzung kontrollieren zu können, wird unweigerlich der Korruption Vorschub geleistet." Tatsächlich seien viele der von internationalen Gebern finanzierten Projekte an Sub-Unternehmer übergeben worden, weil sie ihr eigenes Personal nicht in unsichere ländliche Gebiete schicken wollten, berichtet Mohammad Daud Naimi vom Ministerium für die Entwicklung des Agrarsektors. "Wenn ausländische Geberorganisationen halbfertige Projekte an Sub-Unternehmer vergeben, und die dann ihrerseits Sub-Unternehmen einsetzten, ist klar, dass der Korruption Vorschub geleistet wird." An diesen Vorgängen sei also die ausländische ebenso wie afghanische Seite beteiligt, betont der Ministerialbeamte.
Forderungen der internationalen Geber
Auf der internationalen Geberkonferenz in Tokio 2012 wurden weitere Milliardenzahlungen an Afghanistan bis 2015 zugesagt - unter der Bedingung, dass Kabul tatkräftig gegen die grassierende Korruption einschreitet. Der demnächst aus dem Amt scheidende Präsident Karsai rief in der Folge diverse Abteilungen zur Bekämpfung der Korruption ins Leben und räumte mehrfach ein, dass seine Regierung bei dieser Aufgabe noch mehr tun müsse. Kritiker Karsais bezweifeln jedoch, dass seine Regierung den politischen Willen zur Bekämpfung der Korruption habe.
In- und ausländische Beobachter befürchten, dass sich die internationale Gemeinschaft ohne Erfolge der Kabuler Regierung bei der Korruptionsbekämpfung ganz aus Afghanistan zurückziehen könnte. Dazu meint Rukshana Nanaykkara: "Das Vorhandensein von Korruption darf für die internationalen Geber kein Grund sein, sich aus dem Land zurückzuziehen.“ Vielmehr müssten sie sich darauf konzentrieren, korrupten Auswüchsen bei Entwicklungsprojekten vorzubauen", so die Expertin von Transparency International.
Hemmnis für einheimischen Wirtschaftsaufbau
Aber nicht nur ausländische Finanzhilfe steht durch das Übel der Korruption auf dem Spiel. Potentielle afghanische Investoren haben nach Aussage von Sayed Massud ihr Kapital ins Ausland transferiert. Auch Ausländer würden durch Korruption und fehlende Rechtssicherheit von Investitionen in Afghanistan abgeschreckt. Von dieser Situation profitiere eine "mafiaähnliche Gruppe, die die Märkte und Preise in Afghanistan kontrolliert", sagt Universitätsdozent Massud. Diese Gruppe sei daran interessiert, dass Afghanistan vor allem ein Markt der Konsumenten bleibt und keinen bedeutenden produzierenden Sektor entwickelt. Die weitverbreitete Korruption gefährde somit auch den Aufbau einer tragfähigen einheimischen Wirtschaft.