Schokolade ohne Kinderarbeit? Schwierig.
13. November 2020"Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit guten Vorsätzen", lautet ein Sprichwort. Und tatsächlich mangelt es nicht an guten Vorsätzen, Kinderarbeit im Kakaoanbau auszulöschen. Doch die Erfolge lassen auf sich warten, wie eine neue Studie des Forschungsinstituts NORC an der University of Chicago zeigt.
Demnach sind in den beiden größten Anbauländern Elfenbeinküste (Côte d'Ivoire) und Ghana, die rund zwei Drittel der weltweiten Ernte von Kakaobohnen erzeugen, rund 1,6 Millionen Kinder im Kakaoanbau tätig.
Auf fast jeder zweiten Kakaofarm in diesen beiden Ländern müssen Kinder mit anpacken, anstatt zur Schule zu gehen, weil sich die Eltern keine bezahlten Helfer leisten können. Selbst für gefährliche Arbeiten, etwa mit Macheten, werden Kinder eingesetzt.
Versprechen seit 20 Jahren
Dabei hatten große Schokoladenhersteller wie Mars und Nestlé schon vor rund 20 Jahren versprochen, die schlimmsten Formen von Kinderarbeit zu beenden, und dieses Ziel im Harkin-Engel-Protokoll von 2001 festgeschrieben.
Nachdem das Ziel bis 2005 nicht erreicht werden konnte, wurde es immer wieder verschoben und angepasst. "2005 wurde die Frist auf 2008 verlängert, 2008 dann auf 2010", sagt Johannes Schorling von Inkota, einem entwicklungspolitischen Netzwerk mit Sitz in Berlin.
Ab 2010 lautete das revidierte Ziel dann: Reduzierung der Kinderarbeit bis zum Jahr 2020 - und zwar um 70 Prozent.
"Auch das ist nicht passiert, sondern im Gegenteil: Kinderarbeit hat in den letzten zehn Jahren sogar zugenommen", so Schorling zur DW. Die NORC-Studie registriert einen Anstieg der Kinderarbeit um 14 Prozentpunkte auf jetzt 45 Prozent.
Völliges Scheitern
Angesichts des Ziels, die Kinderarbeit um 70 Prozent zu reduzieren, könnte man also von einem völligen Scheitern sprechen.
So deutlich will es Industrievertreter Richard Scobey nicht ausdrücken: "Die Studie zeigt, dass Kinderarbeit ein anhaltendes Problem ist - und dass wir unsere Ziele von 2010 nicht ganz erreicht haben", so Scobey im DW-Gespräch.
Er ist Präsident der World Cocoa Foundation (WCF), einer Organisation von rund 100 Unternehmen der Kakaoindustrie, darunter Kakaoverarbeiter wie Barry Callebaut (Schweiz), Olam International (Singapur) und Cargill (USA), Schokoladenhersteller wie Nestlé (Schweiz), Mars und Hershey (beide USA) sowie Einzelhändler wie Starbucks (USA).
Dass das Ziel verfehlt wurde, liegt laut Scobey aber nicht am mangelnden Engagement der Industrie, sondern am Ziel selbst. Es sei einfach viel zu ambitioniert gewesen.
"Die Studie zeigt, dass das Ziel nicht realistisch war", so Scobey. "Als wir uns damals das Ziel gesetzt haben, fehlte uns das Verständnis, wie groß und komplex die Herausforderung ist. Es geht dabei um Armut, um traditionelle Werte und Bräuche, um Schwächen des Arbeitsmarkts sowie um schwache Infrastruktur."
Außerdem weist er darauf hin, dass die Kakao-Produktion in den beiden Ländern innerhalb eines Jahrzehnts um 60 Prozent gewachsen ist, die Kinderarbeit aber nur um 14 Prozent.
Nicht produktiv genug?
Dank einiger wissenschaftlicher Studien wie der aktuellen von NORC (deren Kosten von rund 3,5 Millionen Dollar das US-Arbeitsministerium finanziert hat), wisse man nun mehr darüber, wie Kinderarbeit gestoppt werden könne, so Scobey. Die Industrie finanziere bereits zahlreiche Programme, um das Problem in den Griff zu bekommen.
Das stimme zwar, sagt Johannes Schöring vom Inkota-Netzwerk. "Aber vor dem Hintergrund, dass es schon vor 19 Jahren das Versprechen gab, dieses Problem zu lösen, passiert da aus unserer Sicht einfach viel zu wenig."
Einigkeit besteht zumindest darüber, dass der niedrige Weltmarktpreis für die Bauern ein Problem ist. Er lag in den letzten Jahren bei etwas über 2000 Dollar pro Tonne Kakaobohnen, während er in den 1970er-Jahren doppelt so hoch war.
Die Bauern müssen deshalb produktiver werden, sagt WCF-Präsident Scobey. "In den vergangenen Jahre hat die Industrie viel Geld investiert, um die Erträge der Bauern zu erhöhen und den Anbau profitabler zu machen", sagt WCF-Präsident Scobey. Außerdem wurden nachhaltige Anbaumethoden mit Bonuszahlungen belohnt.
All das habe aber "wenig geändert an den Zahlen zu Kinderarbeit und Einkommen", sagt Schorling von Inkota. "Wir müssen deshalb über faire Preise reden."
Was ist ein fairer Preis?
Und hier wird es dann kompliziert. Der Markt ist offenbar nicht in der Lage, für existenzsichernde Preise zu sorgen - was auch daran liegt, dass es Jahre dauert, bis Kakaobäume gute Erträge bringen, Bauern also nicht einfach etwas anderes anbauen können, wenn die Preise sinken.
Auch sind die Bauern das schwächste Glied in der weltweiten Wertschöpfungskette. Vom Preis einer Tafel Schokolade erhalten sie nur einen sehr geringen Teil, das meiste Geld bleibt dort hängen, wo die großen Produzenten und Handelsketten sitzen: in Europa, den USA, und inzwischen auch in Asien.
Im vergangenen Jahr haben Ghana und die Elfenbeinküste daher eine Art Opec für Kakao gegründet: Seit diesem Oktober verlangen ihre staatlichen Zwischenhändler einen "Aufschlag zur Existenzsicherung" von 400 Dollar pro Tonne auf den Weltmarktpreis.
Die Industrie, die sich vorher immer gegen höhere Preise sperrte, unterstützt den Aufschlag. "Das bringt den Bauern ein zusätzliches Einkommen von geschätzten 1,2 Milliarden Dollar im Jahr", sagt Scobey.
"Damit haben diese beiden Regierungen mehr für die Preisdebatte geleistet als die Unternehmen in den vergangenen Jahren", sagt Schorling von Inkota.
Wie sich der Aufschlag auf die Einkommen auswirken wird, muss aber erst noch untersucht werden. Vor seiner Einführung verdienten Kakaobauern in der Elfenbeinküste laut einer Fairtrade-Studie nur 0,78 Dollar am Tag, während ein existenzsicherndes Einkommen bei 2,51 Dollar liegt.
Doch selbst der Mindestpreis, den Fairtrade den Bauern garantiert, die nach den Vorgaben des Siegels arbeiten, reicht zur Existenzsicherung nicht aus.
Hilft ein Lieferkettengesetz?
Nachdem die Kakaoindustrie ihre eigenen Ziele zur Verringerung von Kinderarbeit immer wieder verfehlt hat, nennt sie inzwischen keine konkreten Zahlen mehr.
Doch sie setzt weiter auf Ertragssteigerungen. Große Firmen wollen in den kommenden fünf Jahren sämtliche Bauern in ihren Lieferketten darin schulen, produktiver zu werden.
Außerdem will die Industrie Programme ausweiten, bei denen Kakaobauern Kinderarbeit in ihren Dörfern selbst überwachen und Aufklärungsarbeit leisten. Bis 2025 sollen diese Programme 100 Prozent der Lieferketten in Ghana und der Elfenbeinküste abdecken, bisher sind es nur 20 Prozent.
Ob diese Ziele erreicht werden - und vor allem: ob sie wirksam sind im Kampf gegen Kinderarbeit, müssen dann weitere Studien zeigen.
Inkota und andere Entwicklungsorganisationen sind skeptisch, dass Selbstverpflichtungen ausreichen. Sie fordern zusätzlich ein Lieferkettengesetz. Das würde Unternehmen haftbar machen für das, was in ihren Lieferketten passiert.
In Deutschland gibt es ein solches Gesetz noch immer nicht - dafür aber eine lange Liste von Absichtserklärungen und guten Vorsätzen. Man könnte damit eine ganze Straße pflastern.