Kambodschaner fliehen aus Thailand
24. Juni 2014Vor sieben Jahren verließ Chan Thea seine Heimat Kambodscha. Er verkaufte seine Habseligkeiten, lieh sich einen Geldbetrag in Höhe einiger Jahreseinkommen und bezahlte einen Mittelsmann, der seine Familie nach Thailand schmuggelte. Der damals 37-Jährige hoffte im Nachbarland auf höhere Löhne, um seine siebenköpfige Familie besser ernähren und kleiden zu können. Theas neues Leben als Erntehelfer auf einer Maniok-Plantage ging vor zwei Wochen abrupt zu Ende, als Polizisten auf der Plantage erschienen, auf der Suche nach illegalen ausländischen Arbeitskräften.
"Wir versteckten uns auf einer Baustelle in der Nähe", erzählte Thea der Deutschen Welle. "Die Polizei erklärte unserem Chef, dass er für jeden illegalen Arbeiter, den sie erwischen, eine Strafe von 10.000 Baht (300 US-Dollar) zahlen müsse. Alle Festgenommenen würden ins Gefängnis gesteckt." Thea und die anderen kambodschanischen Arbeiter brauchten nicht lange zu überlegen, was sie tun sollten: Sie rafften ihre Siebensachen zusammen und machten sich in einem Kleinlaster auf den Weg zur Grenze.
Chaos direkt hinter der Grenze
Über 220.000 überwiegend illegale kambodschanische Arbeitskräfte haben in den vergangenen Wochen laut Human Rights Watch panikartig die Flucht aus Thailand ergriffen. Auf der thailändischen Seite der Grenze will niemand die vergitterten Minibussen der Polizei zur Kenntnis nehmen oder gar kommentieren, in denen Kambodschaner dichtgepackt zum Grenzübergang gefahren werden. Auf kambodschanischer Seite herrscht das Chaos eines überfüllten Notaufnahme-Lagers. Soldaten in Zivilkleidung holen die Rückkehrer, Erwachsene und Kinder, und ihre in Reissäcken verstauten Habseligkeiten hektisch aus den Minibussen heraus. Dann müssen die Menschen selber sehen, wo sie ihren Platz in der stetig anschwellenden Flüchtlingsmasse finden.
"Die Leute gaben ihren letzten Cent aus, um zur Grenze zu gelangen", weiß Joe Lowry von der Internationalen Migrationsorganisation (IOM) zu berichten. Kambodschas Regierung und NGOs haben die Versorgung der Flüchtlinge mit Nahrungsmitteln und Medizin organisiert und auch ihren kostenlosen Weitertransport nach ihren Heimatprovinzen. Dennoch stecken viele Rückkehrer, so auch Thea, in dem Lager an der Grenze fest. "Ich habe kein Zuhause. Ich kann nicht zurück in mein Dorf, meine Schulden sind zu groß", erzählt Thea, während er seinen Kinder eine Schlafstätte auf einer Unterlage aus Pappe bereitet. "Ich weiß nicht wo ich hin soll, ich will nur eine Arbeit finden."
Korruption und Erpressung
Andere Rückkehrer, die hinter der Grenze auf verlorengegangenes Gepäck oder auf Verwandte warten, sind erleichtert, dass sie nicht länger mit Verfolgung oder Gefängnis wie in Thailand rechnen müssen. Khaing Phana war mit weiteren 300 Arbeitskollegen zu Fuß auf dem Weg von ihrer Baustelle zur Grenze, als sie von thailändischer Polizei gestoppt wurden. "Wir mussten jeder 300 Baht zahlen, oder die Nacht im Gefängnis verbringen", erzählt die Kambodschanerin. Es gibt eine Preisliste: 200 Baht für Nudeln, 300 Baht für einen Platz, liegend, auf dem Boden eines Minibusses, 3000 Baht für eine sichere Fahrt zur Grenze.
Thailands neue Militärregierung weist die Verantwortung für den Massenexodus der kambodschanischen Arbeitskräfte und für ihre Erpressung von sich. Vielmehr würden Menschenhändler und korrupte Beamte bewusst die Ängste der Menschen schüren, um daraus Kapital zu schlagen, ließ sich General Prayut Cha-ocha unlängst vernehmen. Die Militärregierung hatte kurz nach ihrem Amtsantritt Ende Mai die Absicht verkündet, "Ordnung" in die Aufenthalts- und Beschäftigungsverhältnisse der ausländischen Arbeitskräfte des Landes bringen, offenbar auch als Reaktion auf Vorwürfe, dass es massive Missstände in dem Bereich gebe. Anfang Juni gab die Militärregierung die Warnung an die illegalen Arbeitskräfte aus, dass ihnen Verhaftung und Ausweisung drohe.
Kambodschaner als "Sündenböcke"
Unter den geschätzten drei Millionen ausländischen Arbeitskräften in Thailand ist die Gruppe der Birmanen die größte, anders als die Gruppe der Kambodschaner ist sie bislang weitgehend unbehelligt. Gea Wijers von der Universität Amsterdam sieht dahinter eine Art "Farb-Code", demzufolge die Laoten und Birmanen als unschuldig und nicht-bedrohlich gelten, die Kambodschaner hingegen als böse. Es gebe in Thailand eine Art Paranoia, wonach die Kambodschaner als eine Bedrohung der Sicherheit betrachtet würden. Diese Vorurteile seien in jüngster Zeit noch angeheizt worden, indem behauptet wurde, Kambodschaner hätten sich bei den jüngsten Krawallen als Provokateure betätigt. Wijers sieht die Kambodschaner in der Funktion von Sündenböcken, auf die die Regierung in den derzeit auch wirtschaftlichen schwierigen Zeiten zeigen könne, um die eigene Position zu stärken.