Kanadas schmutziges Öl
23. Juli 2013"Das Wasser ist so verschmutzt, dass wir aus den Bächen und Brunnen gar nicht mehr trinken können", erzählt Violet Cheecham Clarke. Die 85-Jährige gehört zu den Stammesältesten der Ureinwohner von Fort McMurray mit der Stammesnummer 468 im kanadischen Alberta. "Wir können es inzwischen nicht mal mehr den Tieren zum Trinken geben", sagt sie.
Die rüstige alte Dame mit den dunkelgrauen Haaren ist schon viel in der Welt herumgekommen, auch in Deutschland hat sie mehrere Jahre gelebt. Sie kämpft dafür, dass die Ölförderung das Wasser nicht verschmutzt - oft vergeblich, wie sie sagt: "Ich war schon bei vielen Treffen, bei denen es um Wasser ging, aber irgendwie kommen wir nie voran." Das Trinkwasser müssen sie seit vielen Jahren kaufen, es wird ein oder zweimal in der Woche geliefert.
Es bedrücke sie, erzählt Violet Cheecham Clarke, wie die Ureinwohner behandelt werden: "eingezäunt wie Tiere, gerade mit dem nötigsten versorgt, glücklich mit ein paar Flaschen Bier". 195 Mitglieder zählt der Stamm, sagt Violet, und viele leben in Wohnwagen. Denn nicht alle Mitglieder der fünf Ureinwohner-Stämme in Alberta profitieren von den Ölsanden, die das nur eine halbe Autostunde entfernte Fort McMurray reich gemacht haben. Korruption sei allgegenwärtig, heißt es, und einige Ureinwohner lassen sich die Zusammenarbeit mit den Ölfirmen gut bezahlen.
Enormer Wasserverbrauch
Der Ölsandabbau in Alberta begann 1967. Der Boden im Nordwesten Kanadas ist getränkt mit dem schwarzen Gold. Es dauerte allerdings mehrere Jahrzehnte, bis man eine Technik entwickelte, das Öl profitabel vom Boden zu trennen. Denn die Ausbeute ist gering, der Ölanteil beträgt nur rund zehn Prozent. Meist wird das Öl durch die Einleitung von Dampf durch unterirdische Rohre erhitzt und verflüssigt, oder aber die Erde wird wie im Tagebergbau mit riesigen Schaufelbaggern abgetragen und dann gewaschen. Zu beidem braucht man vor allem eins: viel Wasser. Es kommt hier in Alberta aus dem Athabasca River. 2011 waren es nach Angaben der Ölindustrie 112 Millionen Kubikmeter.
Doch während das Abwasser aus Haushalten aufgefangen, gereinigt und wiederverwertet wird, ist das mit dem für die Ölförderung benutzten Wasser so nicht möglich. Nachdem das Öl gewonnen wurde, bleibt ein Gemisch aus Wasser, Sand, Lehm und einem Rest an Bitumen. Es wird derzeit in großen Bergeteichen (Tailings Ponds) gelagert. Die Gegend nördlich von Fort McMurray ist also nicht nur geprägt von riesigen Abbauhalden, sondern auch von diesen großen Flächen giftigen Wassers.
Leckende Auffangbecken?
"Wir sorgen dafür, dass die Tailings Ponds sicher sind und die Industrie ist sehr bemüht, den Wasserverbrauch zu reduzieren und das Wasser schneller wieder aus dem Schlamm herauszufiltern", erklärt Greg Stringham vom CAPP [Canadian Association of Petroleum Producers], der Kanadischen Vereinigung der Petroleum Produzenten. Alles Wasser in den Auffangbecken würde wiederverwertet, nichts in die natürliche Umgebung entlassen, versichert er. Eine Schlammschicht würde den Boden des Beckens versiegeln, und Messungen hätten keine Änderung des Flusswassers ergeben.
Tony Boschmann glaubt das nicht. Er hält nicht nur die offiziellen Wasserverbrauchswerte - 2,7 Barrel Frischwasser für ein Barrel Öl - für zu gering. Er hat auch an einer Stelle des Athabasca River eine Besonderheit im Grundwasser festgestellt: "Die chemische Zusammensetzung des Wassers, das in den Flussboden eindrang, war komplett anders als das Wasser, das sich im Fluss befand." Die Schlussfolgerung liege nahe, sagt er, dass es sich um kontaminiertes Wasser gehandelt habe. Und die mutmaßliche Ursache sei in Sichtweite gewesen: "Am anliegenden Ufer befanden sich auf 30 bis 40 Kilometer Länge Tailings Ponds."
Der 53-jährige Boschmann ist Experte im Jagen von Umweltsündern. Doch die Regierung, so erzählt er frustriert, habe selten etwas unternommen. Auch in diesem konkreten Fall nicht. "Wir haben die Behörden informiert und hatten gehofft, dass sie eine umfassende Untersuchung vornehmen", sagt er. Doch nichts sei geschehen. Es gebe wohl kein Interesse daran, die Ölsande mit etwas Negativem in Zusammenhang zu bringen, so sein Vorwurf.
Besorgniserregende Krebsfälle
Sorgen macht sich auch John O'Connor. Der Arzt kümmert sich seit 15 Jahren um die Menschen in Fort McKay, einer Siedlung nördlich von Fort McMurray. Und er kennt auch die Menschen in Fort Chipewyan - einer anderen Siedlung, die nur per Boot, Flugzeug oder im Winter über das Eis zu erreichen ist. Dort hat er von 2003 bis 2005 erhöhte Raten von Krebserkrankungen mit Tumoren im Gallengang festgestellt. Normal seien, so sagt er, ein Fall unter 100.000 Menschen. Fort Chipewyan hatte weniger als 1200 Einwohner - vor allem Ureinwohner - und drei Fälle. "Niemand behauptet, dass diese Rate mit den Teersanden zu tun hat," sagt der 56-jährige Arzt, "aber wenn man sich die einzelnen Krebsarten ansieht, ihre Anzahl und die Gifte, die durch den Ölabbau in die Umwelt und die Nahrungsmittelkette gelangen, dann können viele diese Gifte mit den Krebsarten in Verbindung gebracht werden." Die Behörden aber seien weit und breit nicht zu sehen: "Ich bin angewidert von dem Nichthandeln und dem Desinteresse."
Denn Alberta im Allgemeinen und die Gegend um Fort McMurray im Besonderen haben von den Ölsanden profitiert, daran besteht kein Zweifel, und darauf weist auch O'Connor hin: Der Bildungsstandard sei höher als früher, die Lebenserwartung sei gestiegen, und auch der Lebensstandard allgemein.
Schmutziges Öl
Die mutmaßliche Wasserverunreinigung ist aber nicht das einzige Problem der Ölsande. Greg Stringham von CAPP gibt zu: "Wir produzieren durchschnittlich ungefähr sechs bis neun Prozent mehr Treibhausgase pro Barrel Öl bei der Ölsandförderung als bei der herkömmlichen Förderung." Mike Hudema von Greenpeace Kanada sagt: "Die Teersande sind die größte und am schnellsten wachsende Einzelquelle für Emissionen in Kanada, und der primäre Grund, warum die kanadische Regierung ihre Zusagen zum Kyoto-Protokoll nicht einhalten kann, und warum wir internationalen Fortschritt für zukünftige Klimazusagen blockieren."
Die Ökonomin Graciela Chichilnisky, die am Kyoto-Protokoll mitgearbeitet hat, hält das Bestreben Kanadas, mehr Ölsande abzubauen, um sie nach China und Europa zu exportieren, für den falschen Weg: "Ich glaube, Kanada ist ein großartiges Land mit intelligenten Leuten und hervorragender Technik, und es sollte Erfindungen [im Bereich von sauberer Energie] vorantreiben", sagt sie. Chichilnisky hat mit ihrer Firma Global Thermostat und der deutschen BASF eine Anlage entwickelt, die Kohlendioxid aus der Luft zieht. Niemand brauche eine Technik, die durch Pipelinelecks Umweltkatastrophen hervorrufen könne und das Wasser verunreinige, wie erst am 1. Juni im Norden Albertas geschehen, sagt sie.
Doch der Abbau von Kanadas Ölsanden soll weiter gehen. Auf einer Fläche von 760 Quadratkilometern werde derzeit Ölabbau betrieben, erklärt Ölfirmen-Sprecher Greg Stringham, 1,8 Millionen Barrel täglich. Das sind etwas mehr als die Hälfte der gesamten kanadischen Ölförderung. 4,800 Quadratkilometer groß sei die Fläche, auf der Öl zu finden ist. Bis 2030 soll die Fördermenge daher auf 6,7 Millionen Barrel am Tag erhöht werden. Der neue Absatzmarkt: die Raffinerien und Häfen am Golf von Mexiko. Voraussetzung dafür ist allerdings der Bau der umstrittenen Keystone XL Pipeline, über die US-Präsident Obama entscheiden muss.