"Eine Genugtuung für die Opfer"
24. März 2016DW: Radovan Karadzic wurde zu 40 Jahren Haft verurteilt. Finden Sie das Strafmaß angemessen?
Christian Schwarz-Schilling: Ich habe mit so einem Strafmaß gerechnet. Das Gericht hätte es so formulieren können, dass er auf Lebenszeit im Gefängnis bleibt. Aber für all die Opfer ist es eine Genugtuung.
Karadzic ist für den Völkermord in Srebrenica, aber nicht für den Völkermord in sieben Kommunen Ostbosniens verurteilt worden. Die Überlebenden sind sehr enttäuscht. Sie haben als internationaler Streitschlichter in allen diesen Kommunen direkt nach dem Krieg Verhandlungen geführt. Gab es nicht genügend Beweise, um den Völkermord in diesen Städten nachzuweisen?
Das ist eine Frage der Effizienz des Gerichtes. Inhaltlich und durch die Äußerungen seitens Militärs, auch von Ratko Mladic, war der Völkermord in Srebrenica einfacher zu beweisen. Aber ich kann verstehen, dass die Menschen aus diesen Städten, enttäuscht sind. Man kann aber nicht für alle Gerechtigkeit erwarten. Es kam darauf an, ihn in einem Gerichtsverfahren zu bestrafen. Die Begründungen sind lückenhaft und nicht vollständig, aber sie waren in entsprechender Weise stark genug, um dieses Strafmaß aussprechen zu können.
Karadzic hat während des Prozesses behauptet, dass er in Srebrenica nur den militärischen Einsatz gegen islamistische Kämpfer angeordnet hat und dass er von einem Völkermord in Srebrenica nichts wusste. Das Gericht hat das Gegenteil bewiesen. Inwieweit kann das Urteil zur Versöhnung in Bosnien-Herzegowina beitragen?
Wenn man der Wahrheit nicht nachkommen will, dann kann es keine Versöhnung geben. Das Strafmaß gegenüber Karadzic kann das unendliche Leid in keiner Weise erleichtern. Hier geht es nur darum, dass derjenige, der hauptverantwortlich für diese Katastrophe gewesen ist, seinem Urteil entgegentritt. Wenn die historische Wahrheit nicht anerkannt wird, kann Versöhnung praktisch nicht stattfinden.
Karadzic hat mal im Haager Tribunal gesagt, dass er statt einer Anklage eine "Auszeichnung" verdient habe. Präsident der Republika Srpska, Milorad Dodik, hat Karadzic vor Kurzem in der Tat ausgezeichnet. Er hat ein Studentenwohnheim in Pale nach ihm benannt und bezeichnete Karadzic als Ideal der Freiheit. Muss nach diesem Gerichtsurteil diese Benennung des Wohnheims zurückgezogen werden?
Wenn man es sich rechtlich anschaut und damit die wahre Geschichte anerkennt, dann wäre es sehr stark anzuraten, diesen Namen zurückzuziehen, nachdem er nun ganz offiziell als der schlimmste Verbrecher in Fragen der Menschenrechte anerkannt ist. Einen solchen Namen kann man Studenten eigentlich nicht zumuten. Denn sie sind die Zukunft und sie können nicht in einem Studentenwohnheim wohnen, das an schlimmste Verbrechen durch den Namen erinnert wird. Je schneller man dieses ändert, umso größer wäre die Chance auf Versöhnung.
Was Bedeutet dieses Urteil für Bosnien-Herzegowina und die ganze Region Westbalkans?
Das bedeutet, dass die Anstrengungen zu einer Versöhnung zu kommen, doppelt und dreifach stark unternommen werden müssen. Denn wenn die eine Seite eine Schuld nachweist und die andere Seite durch eine historische Lüge die Schuld abstreitet, dann entsteht ein fast nicht mehr zu lösender Konflikt zwischen beiden Seiten.
Es muss der Wahrheit entsprechend aufgeklärt werden und dabei muss die internationale Gemeinschaft vorangehen. Aber sie muss auch sagen, dass die Republika Srpska, sofern sie sich demokratisch und freiheitlich entwickelt und ein Teil Bosnien-Herzegowinas wird, die Chance hat, den Weg nach Europa vernünftig zu gehen. Wer das blockiert, der versündigt sich an der Zukunft von ganz Bosnien und Herzegowina.
Christian Schwarz-Schilling ist ein deutscher Politiker (CDU) und Unternehmer. Zwischen 2006 und 2007 war er 17 Monate lang der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina und damit verantwortlich für die Überwachung des Friedensabkommens von Dayton.