Karl May Museum gibt Skalp zurück
13. April 2021Bereits 2014 hatte der Sault Ste. Marie Tribe of Chippewa Indians aus dem US-Bundesstaat Michigan einen Beschwerdebrief an das Karl May Museum im sächsischen Radebeul geschickt. Ein US-Besucher des Museums hatte den Stamm auf einen dort ausgestellten Gegenstand aufmerksam gemacht: einen menschlichen Skalp.
Das Museum, das den Werken des legendären deutschen "Wildwest"-Schriftstellers Karl May gewidmet ist, verweigerte die Rückgabe zunächst mit der Begründung, die Mitarbeiter könnten die Herkunft des Exponats nicht feststellen. "Dieses Stück wurde ohne Befugnis entnommen und in ein Museum gebracht, um wie ein Bild an der Wand gezeigt zu werden", hieß es hingegen in einem Bericht des Stammes aus dem Jahr 2015, der eine Reihe von Veränderungen in Gang setzte: eine eigens in Auftrag gegebene Studie, ein ethnografischer Spezialist, der ans Museum berufen wurde, und die Vermittlung durch das US-Außenministerium, das im Auftrag der Chippewa-Indianer die menschlichen Überreste verwahrt.
Am Montag (12. April 2021) übergab das Museum den Skalp an Ken Toko, den Generalkonsul der Vereinigten Staaten in Leipzig, und David Mees, den Kulturattaché der US-Botschaft. "Wir begrüßen die Entscheidung des Kuratoriums der Karl-May-Stiftung, der Rückgabe eines für den Sault Ste. Marie Tribe of Chippewa Indians heiligen Objekts zuzustimmen. Dies ist ein wichtiger Schritt für das Karl May Museum in Radebeul und wir freuen uns auf die zukünftige Zusammenarbeit", sagte Toko bei der Zeremonie.
"Ganz im Sinne Mays"
"In den vergangenen sechs Jahren wurden umfangreiche Untersuchungen durchgeführt, um die Herkunft der menschlichen Überreste festzustellen", sagte der Vorstandsvorsitzende der Karl-May-Stiftung Radebeul, Volkmar Kunze. Dabei hätten sich keine Hinweise auf ein Fehlverhalten oder eine koloniale Herkunft bestätigt. Die Stiftung habe sich "im Interesse der Völkerverständigung und der guten Zusammenarbeit mit den amerikanischen Ureinwohnern aus freien Stücken zu dieser Übergabe entschlossen".
Sachsens Staatsministerin für Kultur und Tourismus, Barbara Klepsch, fügte hinzu, dass die Landesregierung die einvernehmliche Lösung im Sinne der Menschlichkeit und des Respekts vor anderen Kulturen immer unterstützt habe, "ganz im Sinne Mays".
Exzentrische Herkunftsgeschichte
Auf der Website des Museums stand viele Jahre lang eine eigene Geschichte über die Herkunft des Skalps: Danach soll er 1926, kurz vor der Eröffnung des Museums, von Ernst Tobis gestiftet worden sein - einem exzentrischen österreichischen Weltreisenden, der sich Patty Frank nannte und behauptete, den Skalp im Austausch gegen zwei Flaschen Whiskey, eine Flasche Aprikosenschnaps und 100 Dollar erworben zu haben. Der Karl-May-Liebhaber hatte seine Sammlung indianischer Artefakte dem Museum vermacht.
Nachdem die Chippewa die Rückgabe gefordert hatten, musste das Museum jedoch einräumen, dass der Wahrheitsgehalt der Patty-Frank-Geschichte sich nicht überprüfen ließ. Untersuchungen des Museums und des Stammes konnten nicht mit Sicherheit feststellen, zu welchem indianischen Volk der Skalp gehörte. Lediglich die am Skalp befestigten Federn und Amulette, die der Tradition der Sioux entsprachen, legten den Schluss nahe, dass es sich um die Überreste einer "im Kampf getöteten Ojibwe-Person" (aus dem Stamm der Chippewa, Anmerk. de Red.) handeln könnte.
Sechs Jahre später gab das Museum schließlich der Bitte des Stammes nach "zusammenzukommen, um den gebrochenen Geist unseres Vorfahren zu heilen".
In der Sammlung des Museums befinden sich noch eine Reihe weiterer Skalps - einige von Weißen -, deren Herkunft noch nicht geklärt ist. In einem früheren Interview mit der DW sagte Museumsdirektor Robin Leipold, dass man von Fall zu Fall entscheiden werde, wie man mit diesen Überresten umgehe.
200 Millionen verkaufte Bücher
Karl May schrieb 70 Bücher, die sich weltweit mehr als 200 Millionen Mal verkauften. Seine Geschichten nahmen Generationen inbesondere junger Deutscher mit auf fantastische Reisen in ferne Welten. Zu seinen bekanntesten Figuren gehören Old Shatterhand, ein deutscher Ingenieur, und sein "Blutsbruder" Winnetou, der "weise Häuptling der Apachen", die gemeinsam gegen Ungerechtigkeit und Verbrechen kämpften.
Mit dem wachsenden Bewusstsein für die problematische Darstellung der Ureinwohner wird auch Mays Vermächtnis kritisch aufgearbeitet. Die Interpretation des Wilden Westens durch den Autor war reine Fantasie: Als die Geschichte 1875 geschrieben wurde, hatte er Deutschland noch nie verlassen.
Adaption ins Deutsche: Torsten Landsberg