Karlsruhe stoppt EU-Haftbefehl in Deutschland
18. Juli 2005Das Bundesverfassungsgericht hat das deutsche Gesetz zum Europäischen Haftbefehl am Montag (18.7.2005) für nichtig erklärt. Das Gesetz greife unverhältnismäßig in das Grundrecht auf Auslieferungsfreiheit ein, entschied der Zweite Senat des Gerichts. Deutschland habe die EU-Vorgabe zu eng und damit grundrechtswidrig umgesetzt. Solange in Deutschland kein neues deutsches Gesetz zum EU-Haftbefehl verabschiedet werde, dürfe daher kein Deutscher ausgeliefert werden. (Az.: 2 BvR 2236/04)
Der Kläger muss freigelassen werden
Damit gaben die Karlsruher Richter der Verfassungsbeschwerde des unter Terrorverdacht stehenden Deutsch-Syrers Mamoun Darkazanli statt, der nach Spanien ausgeliefert werden sollte. Er gilt als zentrale Figur im europäischen El-Kaida-Netz. Darkazanli wurde am Montagnachmittag aus der Haft entlassen. Nach dem Urteil habe die Hamburger Justizbehörde keine Grundlage mehr für den Haftbefehl gegen Darkazanli, sagte deren Sprecher Henning Clasen. Nach Angaben der Bundesregierung waren bisher 19 Deutsche von Auslieferungsverfahren betroffen.
Grundrechte unzureichend geschützt
Deutschland hatte mit dem vereinfachten Auslieferungsverfahren im August 2004 erstmals die Auslieferung eigener Staatsangehöriger an EU-Staaten erlaubt. Nach dem Urteil des Zweiten Senats hat der Gesetzgeber jedoch zu wenige Vorkehrungen für den Schutz der Grundrechte deutscher Tatverdächtiger getroffen. Artikel 16 des Grundgesetzes verbiete prinzipiell die Auslieferung eines Deutschen, wenn er eine Straftat auf deutschem Boden begangen hat und dafür - etwa weil das Opfer Ausländer war - von einem anderen EU-Staat verfolgt wird. Der EU-Rahmenbeschluss lasse für diesen Schutz genügend Spielraum. Den Rahmenbeschluss aus dem Jahr 2002, auf den das Gesetz zurückgeht, ließ der Senat unbeanstandet.
Auslieferung nur unter bestimmten Bedingungen
Damit ist die Auslieferung Deutscher nicht mehr möglich, solange der Bundestag kein neues Gesetz erlässt. Für die Überstellung an internationale Strafgerichtshöfe gilt allerdings eine Sonderregelung. Bei Taten mit "maßgeblichem Auslandsbezug" könnten - ein neues Gesetz vorausgesetzt - auch Verdächtige mit deutschem Pass an die Justizbehörden anderer Länder überstellt werden. Wer in einer anderen Rechtsordnung handle, müsse damit rechnen, dort zur Verantwortung gezogen zu werden, erklärten die Richter. Das gelte beispielsweise auch für den internationalen Terrorismus oder den organisierten Drogen- oder Menschenhandel.
Neuer Entwurf in vier bis sechs Wochen
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) kündigte einen neuen Gesetzentwurf in vier bis sechs Wochen an. Das Urteil sei "ein weiterer Rückschlag für die Bundesregierung bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus", sagte Ministerin Zypries in Karlsruhe. Die EU-Kommission mahnte Deutschland, rasch die Mängel des Gesetzes zu beseitigen.
Selbstkritik von Abgeordneten
Nach den Worten des SPD-Innenexperten Dieter Wiefelspütz muss der Bundestag sich vorhalten lassen, unkritisch europäische Vorgaben übernommen zu haben. Nach Ansicht des CDU-Politikers Wolfgang Bosbach muss der Bundestag seine "Kontroll- und Gesetzgebungsaufgabe bei der Umsetzung europäischen Rechts künftig selbstbewusster wahrnehmen". Die FDP sieht sich dagegen in anfänglichen Bedenken gegen den EU-Haftbefehl bestätigt.
Verfahren beschleunigt
Der Europäische Haftbefehl sollte der leichteren Auslieferung von Straftätern innerhalb der Europäischen Union dienen. Das Verfahren war wesentlich schneller und unbürokratischer als das bis dahin übliche komplizierte Rechtshilfeverfahren. Der Rahmenbeschluss enthält eine Liste von 32 Deliktgruppen: Fällt die Tat, für die eine Auslieferung beantragt wird, in eine dieser Gruppen, dann prüft die zuständige Justizbehörde nicht mehr, ob eine Strafbarkeit in beiden Ländern gegeben ist. (stu)