Katastrophale Dürre
20. Dezember 2012Wenn das Vieh nicht verdurstet, verhungert es. Denn seit Monaten wächst kaum noch etwas in Brasiliens Nordosten, dem "Sertão". Trockenheit herrscht in dem Gebiet - wie in der afrikanischen Savanne - die meiste Zeit des Jahres. Doch normalerweise bringt die dreimonatige Regenzeit irgendwann zwischen Januar und Juli genug Wasser, um Pflanzen und Tiere das ganze Jahr über am Leben zu halten. Diesmal aber blieb sie aus.
"Wenn man durch den Sertão fährt, sieht man hier und da noch ein paar Büsche oder kleinere Bäume, sonst gibt es nichts mehr, was die Tiere noch fressen könnten", berichtet Paulo Helder, Vizepräsident des Landwirtschaftsverbandes des Bundesstaates Ceará. Immerhin erhielten die Menschen finanzielle Hilfe aus verschiedenen Sozialtöpfen der brasilianischen Regierung.
Dennoch kostet die Dürre viele Menschen ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage: Schon jetzt sind 40 Prozent des Milchviehs im Bundesstaat Ceará verloren. "Selbst wenn es jetzt wieder regnet, wird es drei bis vier Jahre dauern, um die Herden wieder heranzuzüchten", erklärt Helder.
Da die staatlichen Hilfen kaum zum Leben genügen, wandern viele Menschen in andere Bundesstaaten ab oder ziehen zumindest in die nächste Stadt.
Versäumnisse der Vergangenheit
Dabei hätte es gar nicht so weit kommen müssen. Denn solche Trockenphasen sind im Nordosten Brasiliens keineswegs ein neues Phänomen. Seit der Ankunft der Portugiesen vor 500 Jahren ist es die 72. dokumentierte schwere Dürre.
So jedenfalls steht es in den Unterlagen der ASA (Arbeitsgemeinschaft der Semiariden Zone), einem Dachverband, der 750 zivile Organisationen vereint, die sich politisch für eine Lösung des immer wiederkehrenden Problems einsetzen.
"Bis in die 1980er-Jahre bestand die zentrale Entwicklungsstrategie für den Nordosten im Bau von Straßen, Stauseen und der Industrieförderung. Die Idee war es, Wohlstand zu schaffen, der den Menschen helfen sollte, die Dürreperiode zu überstehen", erklärt Cícero Péricles, Ökonom an der Bundesuniversität von Alagoas.
Ungerechte Verteilung
"Doch bisher ging die Rechnung nicht auf. Profitiert haben davon fast nur die Reichen", sagt Naidison Baptista, ASA-Koordinator für den Bundesstaat Bahia. Die großen Stauseen seien stets auf dem Land der Großgrundbesitzer gebaut worden. "Die Verteilung von Land und Wasser entspricht im Nordosten auch heute überhaupt nicht dem Bedarf." Bei den Armen kommt noch immer kaum Wasser an, es fehlt zum Beispiel an Wasserleitungen.
Betroffen seien immerhin rund 1,7 Millionen Familien, sagt der Ökonom Péricles. Er schätzt, dass schon 20 Prozent des Wassers, das in Stauseen und Zisternen gespeichert ist, den Bedarf decken würde.
Gestopptes Mammutprojekt
Das größte Regierungsprojekt in diesem Zusammenhang ist die Umleitung des Rio São Francisco. Der fast 3000 Kilometer lange Strom führt etwa so viel Wasser wie der Nil. Das entspricht rund 70 Prozent der Wasserressourcen der Region.
Der Regionalökonom Péricles meint, auch diese Maßnahme führe glatt am Kernproblem vorbei: "Unter den Trockenperioden leiden vor allem die Familien, die das Land in kleinem Stil bewirtschaften. Doch die Umleitung des São Francisco verbessert vor allem die Versorgung der industriellen Landwirtschaft und der Städte."
2007 begannen die Bauarbeiten, wurden aber wegen Schwierigkeiten mit den Bauunternehmen und wegen Protesten immer wieder gestoppt. Dennoch soll die Verlegung von mehreren Hundert Kilometern Flusslauf fortgesetzt und 2015 abgeschlossen werden.
Neue Maßnahmen
Im Juli 2011 stellte Brasiliens neue Präsidentin Dilma Rousseff ihr Regierungsprogramm "Wasser für alle" vor. Es soll die Versorgung von Menschen und Landwirtschaft garantieren.
Auf Betreiben der ASA hat die Regierung den Bau von Zisternen in die Entwicklungspolitik aufgenommen. 650.000 solcher kleinen Wasserspeicher existieren bereits und fassen genug Wasser für rund drei Millionen Menschen.
Péricles meint, die Politik gehe damit in die richtige Richtung. Er fordert einen Paradigmenwechsel: Man müsse davon abrücken, die Trockenheit im Großen zu bekämpfen, und stattdessen die Menschen im Kleinen in die Lage versetzen, mit ihr zu leben.
Viel Handlungsbedarf
Bisher reichen die Bemühungen jedenfalls noch lange nicht, wie die aktuelle Dürre-Katastrophe zeigt. Die Sozialprogramme können nur eine Übergangslösung sein, da sind sich beide Experten einig. Und auch darin, dass eine umfassende Landreform dringend notwendig sei, um den Kleinbauern eine angemessene Existenzgrundlage zu geben. Doch die steht bisher nicht auf der politischen Agenda.
"Wenn die Menschen ihr Einkommen dauerhaft selbst erwirtschaften sollen", fasst Baptista zusammen, "brauchen sie Nutzungsrechte an ausreichend großen Landflächen und Zugang zu Krediten für Maschinen - und Bildung."