Wohin mit dem Müll?
4. September 2008Für John McCain ist es die Lösung für den Energiehunger der USA: 45 neue Atomkraftwerke will er bis zum Jahr 2030 bauen. Atomkraft sei "sicher, effizient und günstig", meint der republikanische Präsidentschaftskandidat. Barak Obama ist dagegen: Er sieht das Problem nicht so sehr in der Beherrschbarkeit der Technologie, sondern in der Lagerung der nuklearen Abfälle.
Vor mehr als 50 Jahren ging in Obinsk bei Moskau das erste Atomkraftwerk in Betrieb. Seitdem steht die Welt vor einem stetig wachsenden Problem: Immer mehr Atommüll. Allein das hochradioaktive Material wird auf bis zu 300.000 Tonnen geschätzt, genaueres weiß nicht einmal die Internationale Energiebehörde IAEA in Wien. Klar ist aber, dass oft genug haarsträubend mit dem strahlenden Erbe umgegangen wird. Das einsturzgefährdete, geflutete Bergwerk im niedersächsischen Asse ist beileibe kein Einzellfall: IAEA-Generaldirektor Mohammed el-Baradei meint, dass über 50 Länder ihren Atomabfall völlig unzureichend deponieren.
Tonnenweise Strahlung
Ein Endlager gibt es auch nach vier Jahrzehnten Atomkraft nirgends auf der Welt, doch ständig kommt neuer hochradioaktiver Atommüll hinzu. Jedes der etwa 450 Atomkraftwerke produziert bis zu 30 Tonnen hochradioaktiven Abfall jährlich. Allein in Deutschland fallen bis zur Abschaltung des letzten Kraftwerks noch rund 4600 Tonnen an. Eine Verlängerung der Laufzeiten um zehn Jahre würde diese Menge auf etwa 9000 Tonnen verdoppeln, meint Wolfram König, der Chef des Bundesamtes für Strahlenschutz.
"Wir haben von der Energieform profitiert, wir sind die Generation, die jetzt die Verantwortung hat, diesen Müll auch zu entsorgen", meint Peter Hocke vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse in Karlsruhe. Nur wie? Auf diese Frage fehlt bisher eine gute Antwort. Dabei klingt die Idee hinter einem Endlager eigentlich ganz einfach: Man steckt den Müll in einen versiegelten Container und lagert diesen bis das radioaktive Material nicht mehr strahlt. Das Problem ist, dass dies erst nach einer Million Jahren der Fall ist - so lange müssen die hochradioaktiven Abfälle von der Umwelt isoliert werden.
Aus technischer Perspektive existiert ein Konsens, dass unterirdische Lagerung noch die beste Möglichkeit ist, den Müll zu entsorgen. "Tiefenlagerung ist der eindeutig beste Weg", sagt auch Hocke. Die Anforderungen an Geologie, Sicherheit und Politik sind aber hochkomplex: Die Lager sollten in dünnbesiedeltem Gebiet liegen und dürfen nicht erdbebengefährdet sein. Eventuell eindringendes Wasser darf auf keinen Fall abfließen können, die geologischen Strukturen müssen über hunderttausende Jahre stabil sein.
Das ständige Provisorium
Weil es all das bisher nicht gibt, wird dauerhaft provisorisch zwischengelagert: In Abklingbecken nahe bei Atomkraftwerken, Fabrikhallen, Containern und Bergwerken. Die Sicherheitsprobleme sind evident. Schließlich ist es schwierig, hunderte ziviler Anlagen gegen Unglücke, Terrorismus und Diebstahl zu schützen.
2004 machte Russland das Angebot, den Atommüll der Welt zu sich zu nehmen, gegen Bezahlung selbstverständlich. Der berüchtigte Umgang Moskaus mit Nuklearmaterial in den letzten fünf Jahrzehnten ließ die internationale Gemeinschaft zurückschrecken. Die Suche geht weiter.
Von Finnland bis Gobi
Am weitesten fortgeschritten sind die Pläne für ein Endlager Olkiluoto in Finnland. China will die Zahl seiner Meiler auf etwa vierzig vervierfachen, der Strahlenmüll soll in der Wüste Gobi abgeladen werden. Japan sucht bisher vergeblich Standorte. Großbritannien hat immerhin beschlossen, ein Lager zu suchen - Gordon Brown will mindestens zwanzig neuen Reaktoren bauen. In Deutschland ist lange Zeit der Salzstock in Gorleben auf seine Eignung geprüft worden. Bis 2010 ruht das Verfahren wegen eines Moratoriums.
Auch die Franzosen suchen seit zwei Jahrzehnten Endlager. Bis 2015 soll eine Entscheidung fallen. Ein Versuchslabor befindet sich nahe dem lothringischen Bure - als Vorbereitung für ein Endlager für hochradioaktiven Müll. Das Parlament hat sich aber die Option offen gelassen, die oberirdischen Zwischenlager noch für 100 bis 300 Jahre zu betreiben - in der Hoffnung, dass es dann Verfahren gibt, mit denen die Strahlung abgebaut werden könne.
Endlager mit Erdbeben
In den USA schließlich genehmigte Präsident George W. Bush das seit 1978 geplante Endlager in Yucca Mountain, 160 Kilometer westlich von Las Vegas in der Wüste Nevadas. Ab 2020 sollen 70.000 Tonnen Brennstäbe eingelagert werden. Fachleute wie Umweltschützer sind geschockt: Das potenzielle Lager besteht aus offenporigem Tuffstein, liegt nur wenige hundert Meter tief und in einem erdbebengefährdeten Gebiet, wo es zudem noch vulkanische Aktivitäten gibt.
Ein Gericht in Nevada schloss sich den Bedenken an. Das Lager sei nicht für die geforderten 1.000.000 Jahre, sondern nur für 10.000 sicher. Das Endlager Yucca Mountain könnte nun doch wieder kippen.
Der Preis
Kostengünstig im Sinne Sinne McCains wird es aber auf keinen Fall. Die Endlagerung in den USA wird nach einer Schätzung des Washingtoner Energieministeriums 96,2 Milliarden Dollar (61,7 Milliarden Euro) kosten - falls keine neuen Reaktoren gebaut werden. Wie viel die Umsetzung der McCain-Pläne kosten würde, sei nicht bekannt, sagte der Atommüllexperte des Ministeriums, Ward Sproat. Würden all die geplanten Kraftwerke gebaut, stünden die USA schnell erneut vor dem Problem, wo der Atommüll zu vergraben wäre - Yucca Mountain würde nicht ausreichen.