Kein Mittel gegen "Hardcore-Szene des Dschihad-Terrorismus" in Sicht
29. November 2005Das Thema islamistischer Terrorismus hat in diesen Tagen wieder einmal Hochkonjunktur: So verständigten sich die Teilnehmer des EU-Nahost-Gipfels in Barcelona am Montag (28.11.2005) auf einen Verhaltenskodex im Kampf gegen den Terrorismus. Ebenfalls am Montag begann die 4. Berliner Sicherheitskonferenz. Die französische Nationalversammlung stimmt am Dienstag über ein Anti-Terror-Gesetz ab, das eine Verschärfung der Videoüberwachung vorsieht. Und Außenminister Frank-Walter Steinmeier erhofft von seiner USA-Reise "Aufklärung" über CIA-Geheimflüge zum Transport Terrorverdächtiger in Europa.
"Massive Vergeltungsschläge"
Doch eine solche "Aufklärung" könnte selbst neue Terrorakte auslösen: "Sollten die Länder identifiziert werden, in denen CIA-Verhöre stattfanden, dann sind diese Länder hochgradig gefährdet", warnt der Essener Terrorismus-Experte Rolf Tophoven im Gespräch mit DW-WORLD. "Man muss mit massiven Vergeltungsschlägen von El-Kaida oder mit ihr vernetzten islamistischen Gruppen rechnen."
Vorausgesetzt, die Berichte über angebliche CIA-Gefängnisse bewahrheiten sich, muss diese Praxis als symptomatisch für den US-amerikanischen Kampf gegen den Terrorismus gelten. "Die USA sind in der Terrorismusbekämpfung bisher gescheitert und tun deshalb alles, um wieder auf die Erfolgsspur zu kommen", betont der Direktor des Instituts für Terrorismusforschung & Sicherheitspolitik Tophoven. Sie setzten dabei fälschlicherweise auf die Überzeugungskraft von Waffen statt auf Kommunikation und Psychologie wie die Europäer.
Die Kraft des Geldes im Kampf gegen Terror
Doch auch auf Seiten der EU kann Tophoven derzeit keine überzeugende Anti-Terrorismus-Strategie erkennen: "Diese aufgeblähten Gipfelveranstaltungen wie Barcelona bringen doch nichts." Tatsächlich konnten sich die Teilnehmer des EU-Nahost-Gipfels nicht auf eine "gemeinsame Vision" verständigen. Die EU wollte ihre Finanzhilfe an die Region künftig von Fortschritten bei politischen Reformen in den einzelnen Ländern abhängig machen.
Dabei erscheinen finanzielle Mittel im Kampf gegen den Terrorismus durchaus als probates Mittel, denn: " 'Headhunter' des religiösen Fundamentalismus haben vor allem bei armen Jugendlichen Erfolg, die eine Karriere als Gotteskrieger einem völlig unspektakulären Leben an der sozialen Peripherie vorziehen", sagt Berndt Georg Thamm, Autor eines Buches über El-Kaida.
"Hardcore-Szene" unbeeindruckt
Dennoch gilt es, der Wunschvorstellung, man könne durch Armutsbekämpfung dem Terrorismus den Garaus machen, adieu zu sagen. Schließlich gäbe es eine "Hardcore-Szene des Dschihad-Terrorismus", die weder durch wohlwollenden Dialog noch durch wirtschaftliche Beihilfen von ihrem Ziel abzubringen sei, betont Terrorismus-Experte Thamm.
Videoüberwachung als Allheilmittel?
Der "realen Bedrohung" durch diese "völlig unberechenbaren islamistischen Netzwerke" will Frankreichs Innenminister Nicolas Sarkozy mit einer Verschärfung der Videoüberwachung nicht nur auf öffentlichen Plätzen, sondern auch in Moscheen und Kaufhäusern begegnen. Thamm warnt aber davor, allzu große Hoffnungen in die Videoüberwachung zu setzen: "Das sind keine Wunderwaffen."
Sein Essener Kollege Tophoven sieht in der Videoüberwachung hingegen eine effiziente Maßnahme zum Identifizieren von Straftätern. Tatsächlich war es der Londoner Polizei nach den Anschlägen im Juli 2005 nur mit Hilfe des engen Kameranetzes gelungen, die Täter rasch zu fassen.
Neue Bedrohung durch Konvertierte
Nach Ansicht der Experten bleiben die Nachrichtendienste eines der effizientesten Mittel zur Verhütung von Terrorakten. Denn man weiß immer noch zu wenig über die radikalisierten Islamisten. Hier ist vor allem eine verstärkte Zusammenarbeit der Nachrichtendienste gefragt: "Es geht primär um Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung! Das gilt nicht nur national, sondern besonders auch international", appelliert Tophoven an die Völkergemeinschaft und insbesondere an die USA.
Die Nachrichtendienste könnten auch helfen, Licht in das Dunkel der "Konvertierten" zu bringen: Warum treten Europäer und US-Amerikaner zum Islam über und kämpfen in Kaschmir oder Tschetschenien für ihren neuen Glauben? "Diese Gruppe kann nicht quantifiziert werden. Wir wissen praktisch überhaupt nichts über sie", bedauert Thamm. Der Berliner Terrorismus-Experte hält die Gefahr, die von diesen Konvertierten ausgehe, für unterschätzt: "Vielleicht werden wir schon bald auch hierzulande mit dem Phänomen des 'dead man walking' konfrontiert: potenzielle Selbstmordattentäter in den Städten."