Tiere ohne Lobby
2. Oktober 2014Die Bilder sind schockierend. Eine Woche vor Beginn der Konferenz zum Abkommen über die Biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity/CBD) im südkoreanischen Pyongchang zeigen Video-Aufnahmen einen nahezu ausgetrockneten Aralsee. Die dokumentarischen Bilder der US-Raumfahrtbehörde NASA belegen, dass der See nur noch rund zehn Prozent seiner ursprünglichen Fläche einnimmt. Umweltschützer sehen in dieser Veränderung eine der größten Naturkatastrophen weltweit.
Fast zeitgleich legt die Umweltorganisation WWF an anderer Stelle ihren Bericht über den weltweiten Bestand an Wirbeltieren vor. Demzufolge hat sich die Anzahl an Säugetieren, Vögeln, Reptilien, Amphibien und Fischen seit 40 Jahren halbiert - genau um 52 Prozent. Dazu zählen Elefanten, Haie, Schildkröten, Bienen, Albatrosse. Sie werden Opfer von Jagd, Überfischung und Überdüngung oder werden durch die Nutzung von Landflächen ihres Lebensraums beraubt. Für die Erhebung ließ der WWF 3200 Wirbeltier-Arten von 1970 bis 2010 zählen. Mit 83 Prozent besonders dramatisch ist der Rückgang in Lateinamerika.
30.000 Elefanten getötet
Mit ähnlich schockierenden Zahlen wartet Thomas Silberhorn auf: "30.000 Elefanten und 1000 Nashörner wurden vergangenes Jahr von Wilderern in Afrika getötet", gibt der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu Protokoll. In China floriert der Handel mit Stoßzähnen der afrikanischen Tiere. Elfenbein gilt als Investitionsobjekt.
Die Bundesregierung unterstützt den weltweiten Naturschutz jährlich mit 500.000 Euro. "Es muss auch gewährleistet werden, dass die Ranger und Wildhüter gut bezahlt werden, damit sie sich nicht auf Geschäfte mit korrupten Wilderern einlassen", fordert Konstantin Kreiser vom Naturschutzbund Deutschland (NABU).
Artensterben in Deutschland
Und auch in Deutschland nimmt die Biodiversität ab. Ein Manko: der Förderalismus. Die einzelnen Bundesländer sind verantwortlich für die Umsetzung der EU-Naturschutzrichtlinien. Sie müssen Schutzgebiete ausweisen und auch finanzieren. Und sind angehalten, das Einhalten der Regeln zu kontrollieren.
In Deutschland sind besonders Arten betroffen, die die Agrarlandschaft prägen - Vögel wie der Kiebitz, die Uferschnepfe oder die Feldlerche. Ihr Bestand hat in den letzten zwei Jahrzehnten um 75 Prozent abgenommen. Aber auch Amphibien wie der Laubfrosch und Insekten erleiden besonders im ländlichen Raum massive Verluste. Viele dieser Tiere werden eigentlcih als "tierische Dienstleiter" gebraucht - Bienen zur Bestäubung, Vögel zum Vertilgen von Schädlingen. Aber sie verschwinden, weil Wiesen aus Gründen der Rentabilität in Äcker umgewandelt werden. Hecken werden entfernt, Feuchtgebiete trocken gelegt, natürliche Flussläufe als Lebensräume begradigt.
Hoffnung auf konkrete Ziele
Elf Tage dauert die wichtigste Konferenz zum Naturschutz (6.-17.10.2014). Ihr Ziel: eine Zwischenbilanz ziehen. Doch die fällt nach einhelliger Meinung düster aus. Denn bereits seit 1992 bemühen sich 194 Vertragsstaaten, Flora, Fauna und Ökosysteme zu retten. Teilweise mit strategischen Vorgaben, denn der Verlust der Artenvielfalt beeinflusst Klima und Trinkwasser.
NABU-Sprecher Konstantin Kreiser hofft daher, "dass in Pyongchang weniger Neues verhandelt wird, sondern die Teilnehmer konkrete Beschlüsse zur Umsetzung bereits verabschiedeter Ziele fassen." Kreiser, Referent für Internationale Biodiversitätspolitik beim NABU, verweist auf die Studie, die zu Beginn der Konferenz vorgestellt wird. "Der Global Biodiversity Outlook wird sehr ernüchternd ausfallen. Da müssen die Regierungen noch große Anstrengungen unternehmen, das Artensterben zu stoppen."
Auch Rita Schwarzelühr-Sutter, Staatssekretärin im Umweltministerium, bekennt: "Die meisten Ziele werden wir nur dann erreichen, wenn wir das Engagement steigern."
Naturschutz ohne Lobby
Die Staatengemeinschaft hatte sich längst vertraglich verpflichet, bis 2020 den Artenschwund zu beenden, Naturschutzgebiete auszuweisen und die Fischerei nachhaltiger zu gestalten. Doch der politische Wille zur Durchsetzung fehlte bislang. Außerdem stehen Regierungen unter dem Einfluss von Lobbys aus der Industrie und den Agrarbereichen, beklagen Umweltorganisationen.
Noch immer sähen viele Politiker den Naturschutz als Luxusproblem, meint auch Kreiser: "Viele wollen nicht wahrhaben, dass wir die Natur direkt vor unserer Haustür brauchen. Aber wir Umweltorganisationen werden bei dieser Bilanzkonferenz sehr genau auf die Regierungen der einzelnen Länder schauen. Und im Zweifelsfall werden wir Druck ausüben", erklärt Kreiser gegenüber der Deutschen Welle.