Keine Panik - Experten sehen hohen Ölpreis noch gelassen
21. Juli 2006Mitte Juli hatte der Ölpreis mit 78,40 Dollar pro Fass ein neues Allzeithoch erreicht. Doch im Gegensatz zu 1973, als der erste Ölpreisschock viele Länder in eine Rezession abgleiten ließ, gehen die meisten Experten diesmal davon aus, dass der hohe Ölpreis momentan noch keine Gefahr für die Konjunktur und das Wachstum darstellt.
"Es ist natürlich schon eine gesamtwirtschaftliche Belastung für eine Volkswirtschaft wie die deutsche, sich an einen so hohen Ölpreis anzupassen", sagt beispielsweise Michael Heise, Chefvolkswirt bei der Allianz-Gruppe. "Aber ich glaube, diese Anpassung haben wir nach den sehr kräftigen Steigerungen im Jahr 2005 und dann auch noch in diesem Jahr weitgehend hinter uns. Es kommt aus konjunktureller Sicht vor allem auf die Änderung des Ölpreises an. Wenn er sich bei 75 Dollar stabilisieren sollte, dann ist das kein Element, das die Konjunkturdynamik sehr stark vermindern wird."
Wirtschaftsprognosen müssen nicht korrigiert werden
Auch die führenden deutschen Wirtschaftsinstitute sehen derzeit noch keinen Anlass, ihre im Frühjahr erstellten Wirtschaftsprognosen für das laufende Jahr 2006 wegen der hohen Ölpreise nach unten zu revidieren. Schon damals gingen sie sicherheitshalber von einem Ölpreis von 65 Dollar pro Barrel (159 Liter) aus. "Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hält an seiner vergleichsweise optimistischen Prognose von zwei Prozent Wirtschaftswachstum für 2006 fest. Der hohe Ölpreis war ja schon Anfang des Jahres erkennbar und ist daher Bestandteil unserer Prognose", sagt Axel Nitschke, Chefvolkswirt des DIHK.
Die meisten Institute hatten schon damals einen steigenden Ölpreis unterstellt - wegen des enormen Energiehungers der schnell wachsenden Volkswirtschaften in Ostasien. Nun kommt jedoch ein neuer Preisaufschlag hinzu: Die Risikoprämie für die prekäre Situation im Nahen Osten macht das Öl momentan so teuer, dass einige Politiker in Deutschland schon vorgeschlagen haben, die stategische Ölreserve freizugeben.
Ölreserven noch nicht freigeben
Eine Maßnahme, von der einige Experten überhaupt nichts halten: "Ich würde es nicht befürworten, das zum jetzigen Zeitpunkt zu machen. Diese Reserven sind dann einzusetzen, wenn tatsächlich Angebotsengpässe auftreten. Im Moment ist aber kein Angebotsengpass zu sehen, die Reserven sind sogar relativ hoch", sagt Heise von der Allianz.
Auch Nitschke vom DIHK lehnt eine Freigabe der Ölreserven ab: "Eine solche Forderung halte ich für verfehlt und auch völlig verfrüht. Das Problem zurzeit ist kein Lieferengpass, sondern die Befürchtung der Märkte, dass es zu Lieferengpässen kommen könnte. Die Ölreserven in einer solchen Situation bereits preiszugeben, wäre viel zu früh."
Dass die meisten Volkswirtschaften Ölpreisschocks besser wegstecken als früher, hat mehrere Gründe. Zum einen die florierende Weltwirtschaft: Die Unternehmen müssen zwar höhere Energiepreise bezahlen, haben aber dank einer starken Nachfrage nach ihren Produkten auch höhere Einnahmen. Zum anderen "spielt auch eine Rolle, dass es ein sehr starkes Produktangebot aus Ländern wie China und Asien insgesamt gibt, die Produkte zu sehr günstigen Preisen anbieten, sodass es bislang für eine Inflationsentwicklung nach oben überhaupt keinen Raum gibt", sagt Nitschke vom DIHK. "Das ist ein ganz wesentlicher Grund dafür, dass die Weltwirtschaft insgesamt die Ölpreise relativ gut weggesteckt hat."
Deutsche Wirtschaft profitiert vom hohen Ölpreis
Allianz-Chefvolkswirt Heise ergänzt: "Es gab daneben aber auch andere Faktoren wie die niedrigen Zinsen und die im ganzen sehr mäßigen Lohnsteigerungen, die auch dazu beigetragen haben, dass der Ölpreisanstieg der letzten Jahre die Konjunktur nicht völlig abgewürgt hat." Speziell die deutsche Wirtschaft kann mit hohen Ölpreisen inzwischen sehr gut umgehen. Denn die Unternehmen haben gelernt, "viel weniger energieintensiv zu produzieren als noch in den 1970er Jahren", sagt Nitschke vom DIHK.
Genau genommen profitieren deutsche Unternehmen sogar von hohen Ölpreisen, sagt Heise: "Es ist ein Sekundäreffekt, dass der hohe Ölpreis die Einnahmen der Erdöl produzierenden Länder massiv erhöht hat und viele Länder eine hohe Nachfrage nach deutschen Produkten entwickeln, sodass wir über den Weg des Exportmarktes teilweise auch wieder von diesem hohen Ölpreis profitieren." Das gilt vor allem für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau. Er profitiert vom so genannten "Petrodollar-Recycling". Insgesamt legten die deutschen Ausfuhren nach Russland - einem wichtigen Öl- und Gaslieferanten - im vergangenen Jahr um 15 Prozent und die Exporte in die OPEC-Länder sogar um 18 Prozent zu.