Keine Stabilität in Bulgarien
27. März 2017Bulgarien hat vorzeitig gewählt. Warum es dazu kam, läßt sich auf dreierlei Weise erklären: Wird das Land endlich eine stabile Regierung bekommen? Bleibt das EU-Mitglied Bulgarien in der euroatlantischen Wertegemeinschaft oder driftet es in Richtung Russland ab? Und: Wird die neue Regierung eher links- oder eher rechtsgerichtet und welche Rolle spielen dabei die Populisten?
Nach den vorläufigen Wahlergebnissen wird der neue Ministerpräsident der alte sein: Boiko Borissov. Ihm wird es aber sehr schwer fallen, eine stabile Koalition zu bilden. Europäische Beobachter und Politiker haben sich mehrfach für eine große Koalition mit den Sozialisten stark gemacht. Aber die Chancen dafür stehen denkbar schlecht. Der Meinungsforscher Andrei Raitschev erinnert an die entsprechenden Aussagen der beiden Parteien: "Sie haben eine große Koalition kategorisch abgelehnt. Die Polarisierung ist zu stark, also halte ich eine solche Koalition für nicht möglich", so Raitschev.
Ganz anderer Meinung ist dagegen der Politologe Andrei Smilov: "Im Wahlkampf wollten beide Parteien ihre Konfrontation als todernst darstellen. Unter der Oberfläche allerdings ist sehr viel Raum für Zusammenarbeit. Eine Option wäre eine Art von Experten- oder Programmregierung vorzustellen, um ihre Wähler zu besänftigen und zu überzeugen, dass z. Bsp. die Sicherheit des Landes oder die Flüchtlingsgefahr so eine gemeinsame Regierung notwendig machen.“
Eine schwache und instabile Regierung
Während Borissov in der Wahlnacht die Tür für eine Zusammenarbeit mit BSP offen gelassen hat, blieb die Sozialisten-Chefin Kornelia Ninova bei ihrem strickten „Nein“. Wahrscheinlich wird Borissov also wieder eine Minderheitsregierung bilden und mit wechselnden Mehrheiten regieren müssen - so wie schon drei Mal in den letzten vier Jahren. Als Koalitionspartner kommen vor allem die so genannten „Vereinigten Patrioten“ in Frage - ein Wahlbündnis aus drei nationalistischen, teilweise sogar neofaschistischen Kleinparteien. Auch die populistische Partei „Wolja“ (Wille) des Geschäftsmannes Wesselin Mareschki, der sich selbst als "den bulgarischen Donald Trump“ darstellt, könnte mit am Regierungstisch sitzen - falls sie überhaupt ins Parlament kommt. Es wird auf jeden Fall eine schwache und instabile Regierung entstehen, die abermals die wichtigsten Baustellen in Bulgarien zwangsläufig meiden wird: die Korruptionsbekämpfung, die Ankurbelung der Wirtschaft, den Kampf gegen die Armut und die Reform des maroden Gesundheits- und Bildungswesen.
Neben den innenpolitischen Baustellen erwarteten viele Beobachter von dieser Wahl auch ein klares Signal für die künftige Ausrichtung der bulgarischen Außenpolitik. Der Politologe Ognian Mintschev ist sich sicher, dass bei diesen Wahlen "seit über 20 Jahren auch über die geopolitische Ausrichtung des Landes" mit entschieden wurde. Es ging um die Frage, ob Bulgarien weiterhin ein integraler Teil des euro-atlantischen Raumes bleibt, oder zu einem 'Niemandsland' zwischen West und Ost wird?"
Damit ist der gewachsene Einfluss Moskaus in Bulgarien gemeint, das historisch gesehen immer schon ein russland-freundliches Land war. Es geht einerseits um die EU-Sanktionen gegen Russland. Bulgarien als EU-Mitglied trägt sie mit, der vor gut zwei Monaten neu gewählte Präsident Rumen Radew und die ihn unterstützenden Sozialisten stellen sie aber in Frage.
Andererseits geht es um zwei große Energieprojekte. "Es ist auch der Hauptunterschied zwischen der Mitte-Rechts-Partei GERB und den Sozialisten der BSP: die Einstellung gegenüber dem geplanten Atomkraftwerk "Belene" und der Gaspipeline "South Stream". Die Sozialisten wollen diese zwei von Moskau dominierten Projekte auf jeden Fall durchführen und mit Staatsgeldern finanzieren, die GERB aber sieht das skeptisch", erklärt Daniel Smilow.
Angst von den Flüchtlingen
Geschichtlich und geographisch hat sich Bulgarien immer im Spannungsfeld zwischen Russland und der Türkei bewegt. So ist gerade die Türkei das andere wichtige außenpolitische Thema dieser Wahl gewesen. Der traditionell anti-türkisch ausgerichtete bulgarische Nationalismus wird in letzter Zeit durch die aggressive Politik Erdogans und durch die vermeintliche Flüchtlingsgefahr beflügelt. Vor allem dank dieser Themen sind die "Vereinigten Patrioten" mit rund neun Prozent der Stimmen zur drittstärksten Kraft im neuen Parlament aufgestiegen. Dicht hinter ihnen mit etwa acht Prozent bleibt die Partei der türkischen Minderheit in Bulgarien DPS. Der Meinungsforscher Andrei Raichev glaubt, die aggressive Einmischung von Ankara in den bulgarischen Wahlkampf zugunsten der zweiten Partei der türkischen Minderheit DOST, sowie die Angst, dass Erdogan "die Schleusen öffnen" und Bulgarien mit Flüchtlingen überfluten könnte, haben bei dieser Wahl eine Schlüsselrolle gespielt.
Direkt damit verbunden ist auch die klar pro-europäische Einstellung der Mehrheit in Bulgarien. Die EU unterstützt das Land bei der Absicherung der Grenze zur Türkei und die Milliarden, die aus den EU-Fonds nach Bulgarien fließen, sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für das Land. Das wissen die meisten Wähler und unterstützen entsprechend eine pro-europäische Politik. Sie halten fast alle Parteien für notwendig, trotz manchen Seitenhiebs auf die "Brüsseler Bürokraten", den sich während des Wahlkampfes vor allem die Sozialistin Ninowa leistete.
Aber selbst Bulgariens Nationalisten sind im europäischen Vergleich eher EU-freundlich. Die Wähler erwarten von der Union einen wichtigen Beitrag in der Bekämpfung der Korruption und vertrauen in dieser Sache eher dem Machtzentrum in Brüssel als den eigenen Politikern. Um die nationalen Probleme zu lösen, hofft die pro-europäische Mehrheit in Bulgarien weiterhin vor allem auf die EU als Rettungsanker.