Kidnapper ohne politische Botschaft
9. März 2005Um die italienische Journalistin Giuliana Sgrena freizubekommen, soll Lösegeld an die irakischen Entführer geflossen sein - sechs bis acht Millionen Euro. Aber darüber kann die Öffentlichkeit, wie meistens in solchen Fällen, nur spekulieren. Denn selbst wenn Regierungen oder Unternehmen Geiseln freikaufen, wird das verschwiegen. "Das ist ein sehr heikler Punkt", sagt Dr. Margret Johannsen vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik.
Regierungen in der Zwickmühle
Eine Lösegeldzahlung ist nicht unproblematisch: "Aus menschlichen Gründen möchte man die Geiseln auslösen. Aber man unterstützt damit natürlich Strukturen, die man nicht will", erklärt Johannsen. "Das ist die Wahl zwischen Pest und Cholera."
Außerdem weiß man nicht einmal genau, wer denn die Entführer sind und was mit dem Geld passiert. "Die Geiselnahmen werden immer Al-Sarkawi angelastet, aber der ist auch nur eine Symbolfigur", sagt Alp Bahadir, Professor für gegenwartsbezogene Orientforschung an der Uni Erlangen-Nürnberg. "Das sind irgendwelche Ad-hoc-Gruppen, teilweise mit nur drei, vier Leuten. Offiziell sind das viele frühere Nationalgardisten oder Offiziere. Aber es können auch frühere Geheimdienstler sein oder Selfmade-Terroristen."
Über die Entführer weiß man wenig
Zwar würden Entführer festgenommen, berichtet Bahadir, "aber die verschwinden im Gefängnis auf Nimmerwiedersehen. Öffentliche Prozesse finden nicht statt." Johannsen erklärt, als die irakische Armee aufgelöst worden sei, hätten die Kämpfer ihre Waffen mitgenommen - und die würden unkontrolliert im Land kursieren. "Waffen werden im Irak auch gehandelt", bestätigt Bahadir.
Politisches Motiv nur vorgeschoben
Weil so viele kriminelle Gruppen ihr Unwesen treiben, ist unklar, was sie eigentlich wollen. Meistens bloß Reichtum, sagen die Irak-Experten. "Die politische Motivation ist oft nur noch ein Vorwand", erklärt Bahadir. "Im Fall der italienischen Journalistin gab es auch eine politische Forderung, aber nur, weil es nicht nach kriminellem Hintergrund aussehen sollte."
Johannsen berichtet, das Land sei seit dem Krieg mit dem Iran verarmt; die zentrale Staatsgewalt sei schon unter Saddam Hussein im Niedergang gewesen.
Auch Iraker werden entführt
Entführt wurden außer der Italienerin Sgrena bisher unter anderem US-Amerikaner, Jordanier, Schweden, Franzosen, Ägypter, Russen, Japaner, Indonesier und Chinesen. Die Opfer waren Soldaten, Geschäftsmänner und Mitarbeiter von Unternehmen, die beim Wiederaufbau helfen. Konfliktforscherin Johannsen folgert: "Letztlich ist es ein wahlloses Vorgehen." Entführt würden sowohl Ausländer als auch Iraker - Hauptsache, jemand zahlt. "Und ich gehe davon, dass die zahlen", sagt Johannsen, "wenn nicht die Regierung, dann die Unternehmen." Auch Bahadir ist sich sicher: "Lösegeld zahlen sie, aber es wird nach außen teilweise abgelehnt."
Italien und Frankreich seien jedenfalls bekannt dafür, Opfer notfalls freizukaufen, schreibt die italienische Zeitung "Il Messagero". Also seien Italiener und Franzosen "vorherbestimmte Opfer". Allerdings hat der italienische Außenminister Gianfranco Fini bestritten, dass die Regierung Giuliana Sgrena freigekauft habe. Die Regierung habe solche Zahlungen zu keinem Zeitpunkt gestattet, sagte er am 10. März. Im "Corriere della Sera" war jedoch zu lesen, dass eventuelle Zahlungen auch "getarnt worden" sein könnten - zum Beispiel als Belohnung für die Unterstützung der Regierung bei ihren Bemühungen.
Haus gegen Freiheit?
Johannsen glaubt allerdings, dass Staaten wie Israel, Japan oder die USA nicht nur behaupten, kein Lösegeld zu zahlen, sondern es auch tatsächlich nicht tun. Womöglich werde den Entführern mitunter auch kein Bargeld übergeben, sondern ein Haus gebaut oder ein Job beschafft. "Das habe ich noch nicht gehört", entgegnet Bahadir.
Dass die Geiselnahmen in nächster Zeit ein Ende haben könnten, glauben beide Wissenschaftler nicht. "Die Übergangsregierung wird keine harten Maßnahmen ergreifen", sagt Bahadir. "Die jetzige Situation wird mindestens ein Jahr so bleiben."