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Ukraine Wirtschaft

Roman Gontscharenko/20. März 2015

Die Ukraine versucht ihre schwer angeschlagene Wirtschaft mit Sparen und neuen Krediten zu retten. Doch grassierende Inflation und höhere Preise für Strom und Gas stürzen immer mehr Menschen ins Elend.

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Symbolbild Armut und Obdach in der Ukraine Slowjansk
Bild: picture-alliance/RIA Novosti/Andrey Stenin

Die Ukraine erinnert an einen Patienten auf der Intensivstation: Das Herz schlägt noch, doch aus offenen Wunden fließt Blut. Seit über einem Jahr kämpft das Land an zwei Fronten gleichzeitig: militärisch gegen die prorussischen Separatisten und wirtschaftlich gegen den Staatsbankrott.

Vor allem an der Wirtschaftsfront ist Kiew auf westliche Hilfe angewiesen. Bis zu 40 Milliarden US-Dollar will die Regierung in den kommenden Jahren aus dem Ausland erhalten. Fast die Hälfte dieser Summe soll der Internationale Währungsfonds (IWF) beisteuern.

Als der IWF Anfang März eine Ausweitung seiner Hilfskredite beschloss, war die Freude in Kiew deshalb groß. Bis 2018 soll die Ukraine 17, 5 Milliarden erhalten. Ein Löwenanteil dieser Summe – zehn Milliarden – ist noch für dieses Jahr eingeplant.

Gaspipeline Russland-Ukraine (Foto: SERGEI SUPINSKY/AFP/Getty Images)
Gas soll in der Ukraine um 280 Prozent teurer werdenBild: AFP/Getty Images/S. Supinsky

Hoffnung auf gnädige Gläubiger

Einen Großteil des Geldes braucht die Ukraine, um frühere Kredite zu tilgen. Allein Russland wartet bis Ende des Jahres auf drei Milliarden US-Dollar. Kiew will nun mit Moskau über eine Verschiebung der Rückzahlung verhandeln - die Erfolgsaussichten sind alles andere als positiv.

Erst Mitte März reiste die ukrainische Finanzministerin Natalia Jaresko in die USA, um erste Gespräche mit Gläubigern zu führen. Auch in London sind Verhandlungen geplant. Kiew will seine Schulden später zurückzahlen und westliche Milliarden lieber für Investitionen in die eigene Wirtschaft nutzen.

Als Voraussetzung für seine finanzielle Hilfe fordert der IWF jedoch radikale Reformen, darunter schmerhafte Energiepreiserhöhungen für Privathaushalte. Im Winter konnte Kiew aus Rücksicht auf die ohnehin negative Stimmung in der Bevölkerung die Tarife nicht erhöhen.

Energiepreise explodieren

Der Strom ist bereits seit dem 1. März um 40 Prozent teurer geworden. Nun sollen auch die Heizkosten bald um 60 Prozent steigen. Besonders stark wird der Gaspreis angehoben. Die Vorsitzende der Ukrainischen Nationalbank, Valeria Hontarewa, kündigte an, die Tarife für Gas würden um 280 Prozent angehoben.

Die ukrainische Bevölkerung verfolgt die Nachrichten über bevorstehende Preissteigerungen mit Sorge. "Soll ich vielleicht aufhören zu essen?" Der Kiewer Rentner Valeri versucht zu lächeln, doch seine Stimme klingt bitter. Seine Rente beträgt umgerechnet knapp 40 Euro.

Für dieses Geld kann er sich aufgrund der wachsenden Inflation immer weniger leisten. Bisher ging die Regierung in Kiew von einer jährlichen Inflationsrate von rund 13 Prozent aus. Nun hat sie ihre Prognose korrigiert und erwartet eine doppelt so hohe Rate. Das Parlament hat das Haushaltgesetz bereits an die neue Prognose angepasst.

Nationalwährung Hrywnja im Sinkflug

Seit Ende 2013 balanciert die Ukraine am Rande des Staatsbankrotts. Damals gab die Regierung des prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch zu, die Staatskasse sei leer. Nach dem Machtwechsel in Kiew und dem Ausbruch eines bewaffneten Konflikts in der Ostukraine verschlechterte sich die Lage dramatisch.

"Wegen des Krieges kommen in die Ukraine keine Investoren", stellt Robert Kirchner von der Deutschen Beratergruppe bei der ukrainischen Regierung im DW-Gespräch fest. Auch die Staatswährung Hrywnja verliere schnell an Wert.

Kiews größte Markthalle
Bis Ende 2015 soll die Inflation auf 25 Prozent steigenBild: DW/A. Köhler

Doch damit nicht genug. Während auf der einen Seite die Preise steigen, will die Regierung auf der anderen Seite soziale Ausgaben kürzen. So soll die Mindestrente erst im Dezember 2015 angehoben werden.

"Nach der Parlamentsabstimmung über den neuen Haushalt werden die Ukrainer den Gürtel noch enger schnallen müssen", sagte der Kiewer Wirtschaftsexperte Andrij Nowak im DW-Gespräch. "Ein Großteil der Bevölkerung wird jenseits der Armutsgrenze leben."

Nicht nur Rentner und Menschen mit niedrigen Einkommen fürchten den Absturz in die Armut. Auch Besserverdiener sind betroffen - wie der Kleinunternehmer Ihor Sawtschuk. "Wir überlegen uns, ob wir einen Biomasse-Heizkessel installieren, doch der ist sehr teuer", sagt Ihor, der mit seiner Familie in einem eigenen Haus lebt. "Oder wir reduzieren unseren Gaskonsum auf ein Minimum".

Kiews größte Markthalle
In Kiews Markthalle ist das Angebot groß, aber längst nicht alle können sich Obst und Fleisch leistenBild: DW/A. Köhler

Krieg als unkalkulierbares Risiko

Beobachter in Kiew fragen sich, wann die Stimmung im Land kippt. Ein Drittel der Bevölkerung sei bereit, noch ein Jahr auszuhalten - vorausgesetzt, es werde positive Veränderungen geben. Das fand das Rasumkow-Zentrum, ein Thinktank in Kiew, in einer Umfrage heraus. Doch fast genauso viele Ukrainer - 29 Prozent - wollen keine weiteren Rückschläge hinnehmen. Sie meinen, ihre Lage sei bereits unerträglich.

Der Krieg hat sich zu einem unkalkulierbarem Risiko entwickelt. "Wenn sich der Konflikt in die Länge zieht, wird die Regierung ihre Militärausgaben und Zahlungen an ausländische Gläubiger neu berechnen müssen", sagt Andrij Nowak. Auch Robert Kirchner sieht das ähnlich: "Nur wenn der Krieg aufhört, wird das Geld ausreichen."

Bisher jedoch scheint die Aussicht auf einen dauerhaften Frieden in der Ostukraine allerdings unwahrscheinlich. Viele Beobachter gehen von neuen Kämpfen zwischen prorussischen Separatisten und der ukrainischen Armee aus.