Das Retortenbaby
13. April 2012Gewicht: 4.150 Gramm, Name: Oliver. Geboren am 16. April 1982 – das erste Retortenbaby in Deutschland. Per Kaiserschnitt kam der Junge vor 30 Jahren im Universitätsklinikum Erlangen zur Welt. Es war ein Ereignis, das für Aufregung sorgte, das heftige Reaktionen in der Bevölkerung und der Fachwelt hervorrief und zu hitzigen Diskussionen zwischen Befürwortern und Gegnern der In-vitro-Fertilisation (IVF), der künstlichen Befruchtung, führte. In vitro, das heißt außerhalb des Körpers.
Die einen hießen die damals revolutionäre Methode und den so gezeugten neuen Erdenbürger willkommen, andere fanden es skandalös, Leben im Reagenzglas entstehen zu lassen. Auch in Fachkreisen war der im April 2005 verstorbene Arzt Prof. Siegfried Trotnow, der "Vater" des ersten deutschen Retortenbabys mit seiner Forschung und dem Ergebnis auf erheblichen Widerstand gestoßen.
Alles längst Routine
Heute ist In-vitro längst Routine. Weltweit sollen mehr als drei Millionen Kinder durch künstliche Befruchtung entstanden sein, in Deutschland etwa 150.000. In mehr als 120 Zentren können ungewollt kinderlose Paare in Deutschland Hilfe bekommen und dann meist auch den lange ersehnten Nachwuchs. Die Aussichten, mithilfe einer künstlichen Befruchtung schwanger zu werden, sind recht gut. Dabei hängt die Erfolgsquote sehr stark vom Alter der Frauen ab. Bei jungen Frauen unter 30 liegen die Chancen bei etwa 40 Prozent, eine 45-Jährige hat dagegen nur noch eine fünfprozentige Aussicht, schwanger zu werden.
Als die IVF noch in den Kinderschuhen steckte, war die Gewinnung von Eizellen nur mittels einer Bauchspiegelung möglich. So entstand auch das erste deutsche Retortenbaby. Nur zwei Jahre später gab es ein neues Verfahren. "Man konnte durch den einfachen Zugangsweg, durch die Scheide, die Eizellen wesentlich einfacher gewinnen als vorher", erläutert Professor Thomas Katzorke im Gespräch mit der Deutschen Welle. Er ist Leiter des Zentrums für Reproduktionsmedizin in Essen. Diese einfache Möglichkeit der Eizellgewinnung habe zu einem wahren Siegeszug der Reproduktionsmedizin geführt, so Katzorke. Weltweit wurden bisher rund vier Millionen Retortenbabys geboren.
Was seitdem geschah
Noch immer wird die Samenzelle mithilfe einer Mikropipette in die Eizelle eingebracht. "Erstaunlicherweise hat sich die Methode der klassischen IVF, bei der viele Spermien außerhalb des Körpers zu einer Eizelle dazugegeben werden, nicht geändert", so Prof. Ralf Dittrich vom Universitätsklinikum Erlangen. Aber es sei mittlerweile möglich, eine eingeschränkte Zeugungsfähigkeit beim Mann zu behandeln. Wenn zu wenige Spermien vorhanden sind, um die klassische IVF durchzuführen, könne auch nur ein einziges Spermium in die Eizelle eingebracht werden.
Gleichbehandlung für Embryonen
"Wenn eine Erbkrankheit bekannt ist, kann man eine zusätzlich Behandlung durchführen, und zwar die sogenannte Präimplantationsdiagnostik", so Ralf Dittrich. Seit einer Gesetzesänderung im Juli 2011 ist die PID auch in Deutschland zumindest in bestimmten Ausnahmefällen zulässig. Bei der routinemäßigen In-vitro-Fertilisation werde dagegen nicht untersucht, ob der Embryo Träger einer Erbkrankheit ist.
Hilfe für krebskranke Patientinnen
Von der modernen Reproduktionsmedizin profitieren auch viele Krebspatientinnen. Für sie war es oft nicht möglich, nach erfolgreicher Krebstherapie ein Kind zu bekommen. Denn oft werden die Eierstöcke durch Medikamente dauerhaft geschädigt. Heutzutage aber kann man Ovarialgewebe - also Gewebe aus den Eierstöcken einer Frau – entnehmen und einfrieren. Ist die Krebserkrankung überstanden, so Dittrich, könne man der Frau das Stückchen Ovarialgewebe wieder einsetzen. "Daraus entwickeln sich normale Eizellen, und die Frau kann auf natürlichem Wege schwanger werden." In Erlangen ist das Gewebe von rund 250 Frauen eingefroren. Bei sieben Frauen wurde bisher ein Transfer durchgeführt. Eine Patientin wurde schwanger, ihr Baby hat sie in Dresden zur Welt gebracht. Und: Mutter und Kind sind wohlauf.