Neues Sozialwort
18. Juni 2014"Mit dem Sozialpapier wenden wir uns gegen einen ungezügelten Kapitalismus", sagt Gerhard Wegner, einer der Autoren der Sozialinitiative. Er leitet das Sozialwissenschaftliche Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Der Theologe kritisiert ein gnadenloses Profitstreben, bei dem es ausschließlich um das Erzielen des maximalen Gewinns geht. "Wir wollen wieder eine verantwortliche Wirtschaft in Deutschland haben, die sich den Menschen verpflichtet weiß."
Gemeinsam mit der katholischen Deutschen Bischofskonferenz (DBK) hat die EKD zehn Thesen formuliert. Am 28. wurde sie unter dem Titel "Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft" vorgestellt. Von den Staatsfinanzen über die ökologische Nachhaltigkeit bis zur europäischen Solidaritätsgemeinschaft sprechen die Verfasser - ökumenischen Ökonomen und Theologen - fast alle sozialpolitischen und wirtschaftsethischen Problemfelder an. So gehen sie beispielsweise auch auf das Thema Steuerhinterziehung ein und monieren eine laxe Steuermoral. In dem Text heißt es: "Steuerpflicht ist nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine moralische Bürgerpflicht. Wer versucht, sich dieser Pflicht zu entziehen, macht sich an seinen Mitbürgern und am Gemeinwohl schuldig."
Keine pointierte Kritik
Allerdings sind die Aussagen meist wenig konkret. So auch bei der kirchlichen Kritik am Neoliberalismus. "Auch in einer wettbewerbsorientierten globalen Wirtschaft muss der Primat der Politik gewährleistet bleiben. Nicht nur auf den Finanzmärkten, auf allen Märkten brauchen wir eine ordnungspolitische Neuerung der Verantwortungskultur ", ist da formuliert. Fünf Jahre nach dem Höhepunkt der Finanzkrise ist das eher ein Allgemeinplatz als eine pointierte Kritik. Die Sozialinitiative fordert zwar eine stärkere Kontrolle des Finanzsektors, doch dort, wo es spannend hätte werden können, schweigen die kirchlichen Autoren.
Der Jesuitenpater Friedhelm Hengsbach gilt als streitbarer Vertreter der katholischen Soziallehre. Er wurde nicht zu Rate gezogen, als die Kirchenvertreter das Papier verfassten. Der emeritierte Professor für Wirtschaftsethik ist unzufrieden mit den unverbindlichen Statements; er hatte auf konkrete Forderungen gehofft, wie etwa die nach einer Transaktionssteuer. "Alle Finanzgeschäfte müssen gering besteuert werden. Das führt dazu, dass die öffentliche Hand Einnahmen bekommt." Das bedeute zusätzlich, dass diejenigen, die die Krise verursacht haben, auch an den Folgen finanziell beteiligt würden, und dass die Börsengeschäfte auf diese Weise etwas ausgebremst würden. Doch die Forderung nach einer Transaktionssteuer taucht in der ökumenischen Sozialinitiative nicht auf, bestätigt Gerhard Wegner. In diesem Punkt habe man keinen Konsens mit der katholischen Seite erzielen können. Das Papier beschreibe letztlich nur einen Basiskonsens zwischen katholischer und evangelischer Kirche. "Evangelischerseits fordern wir zwar die Finanztransaktionssteuer, aber das war nicht durchsetzbar."
Mindestlohn nicht konsensfähig
Ähnlich unentschieden sieht es auch mit Blick auf die Forderung nach einem allgemein verbindlichen Mindestlohn aus. "Auch den fordern wir", sagt der Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD. "Aber es gab keine Einigkeit. Deshalb steht in dem Papier nur die Forderung nach branchenbezogenen Mindestlöhnen."
Einer Meinung sind beide Seiten jedoch bei der wohlfeilen Kritik an diversen gesellschaftlichen Missständen. So ist in der Sozialinitiative zu lesen: "Frauen wird weiterhin noch zu oft der Zugang zu beruflichen Führungspositionen verwehrt." Die Chance, sich selbst an verschiedenen Stellen den Spiegel vorzuhalten, ergreifen die Kirchen aber nicht.
Kirchlicher Segen für die Große Koalition
Egal, ob es um die fehlende Chancengleichheit geht, um die Verschwendung von Kirchenfinanzen wie in Limburg, um Lohndumping in der Diakonie oder die Pleite des katholischen Unternehmens "Weltbild" – kein Wort der selbstkritischen Auseinandersetzung. Den Sozialethiker Friedhelm Hengsbach überrascht das nicht, da es ein Text der Kirchenleitungen sei. Einem solchen Text müsse aber eine "breite Diskussion unter den evangelischen und katholischen Christen vorausgehen", auch in Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Kräften wie Attac oder Greenpeace, so der prominente Jesuitenpater. Das sei aber nicht geschehen. Hengsbachs Fazit: "Das ist wieder eine ganz traditionelle Kommissionsarbeit."
Bei aller Kritik – für den Protestanten Gerhard Wegner ist der Text nicht nur ökumenischer Minimalkonsens. "Er ist schon ein bisschen mehr. Es ist die gemeinsame Verständigung auf ein Modell eines verantwortlichen Kapitalismus. Die beiden großen Kirchen verständigen sich jetzt wieder darauf, dies deutlich anzumahnen und das allen ins Stammbuch zu schreiben. Das ist der Sinn dieses Papiers."