Klare Mehrheit für Rebellen-Amnestie in Algerien
30. September 2005Nur 2,64 Prozent der Teilnehmer am Referendum hätten die "Charta für Frieden und nationale Versöhnung" von Präsident Abdelaziz Bouteflika abgelehnt, teilte Innenminister Yazid Zerhouni am Freitag (30.9.2005) in Algier mit. Zu dem Referendum waren rund 18,3 Millionen Stimmberechtigte aufgerufen. Die Wahlbeteiligung lag bei durchschnittlich 79,76 Prozent.
Keine staatliche Haftung für Gräueltaten
Die von Bouteflika zur Abstimmung vorgelegte Charta soll das Ende der politischen Gewalt während des Bürgerkrieges besiegeln, der seit 1992 offiziellen Schätzungen zufolge etwa 150.000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Sie sieht eine Amnestie für Islamisten vor, zugleich wird darin die Haftung des Staates für mögliche Gräueltaten ausgeschlossen.
Das Ergebnis gilt als Triumph für Präsident Bouteflika. Innenminister Zerhouni sagte, das Ergebnis reflektiere "den Wunsch der Algerier, in Frieden zu leben und das tragische Kapitel abzuschließen, das unser Land in den vergangenen 15 Jahren durchlebt hat". In einigen Regionen lag die Wahlbeteiligung seinen Angaben zufolge sogar über 90 Prozent.
Wahlboykott in der Kabylei
Dagegen folgten in der überwiegend von Berbern bewohnten Kabylei zahlreiche Wahlberechtigte einem Boykottaufruf, in den beiden größten Orten dort - Tizi-Ouzou und Bejaia - erreichte die Beteiligung nur rund zehn Prozent. Kritiker des Versöhnungsplans sehen in der weit reichenden Amnestie den Versuch, eine Aufarbeitung des über zehn Jahre währenden Konflikt zu verhindern. Nach dem Plan soll die strafrechtliche Verfolgung zahlreicher militanter Islamisten eingestellt werden. Auch die Vorwürfe gegen die Streitkräfte, die Hinterbliebene für das Verschwinden mehrerer tausend Zivilisten verantwortlich machen, werden damit nicht mehr untersucht.
Der Bürgerkrieg in Algerien begann nach dem von Regierungsseite verfügten Abbruch der ersten Mehrparteienwahl im Januar 1992. Radikale Anhänger der inzwischen verbotenen Islamischen Heilsfront (FIS), die aus der Abstimmung wohl als Sieger hervorgegangen wäre, zettelten daraufhin einen blutigen Aufstand an.
"Neues Opfer im Interesse des Volkes"
Bouteflika hatte wochenlang für sein Vorhaben geworben und erklärt, wer während der Übergriffe Gewalt erlitten habe, müsse jetzt "im Interesse des Volkes" ein neues Opfer bringen. Für die Familien der Verschwundenen sieht sein Versöhnungsplan Schmerzensgeldzahlungen vor.
Für viele Hinterbliebene ist die Amnestie dennoch schwer erträglich - zum Beispiel für die Bewohner von Sidi Rais, einer Ortschaft 20 Kilometer südlich von Algier. Am 27. Mai 1997 wurde hier eines der schwersten Massaker des Bürgerkriegs verübt, 300 Einwohner wurden getötet. In Sidi Rais dürften nur wenige für den Versöhnungsplan gestimmt haben, meinte der örtliche Wahlleiter Abdelaziz Bensmail: "Menschen, die so schwer verletzt worden sind, fällt es schwer zu verzeihen."
"Wir wollen Frieden"
Die Mehrheit der Algerier dachte aber offenbar so wie Keltoume Hamideche, Leiterin einer Schule in Algier. Die Schule diente als Wahllokal. Auf die Frage, wie sie es finde, Gewalttätern zu vergeben, erwiderte sie: "Selbst wenn es mich aufregt - wir wollen Frieden."
Dritte Amtszeit für Bouteklika?
Bouteflika wird nachgesagt, als der Mann in die Geschichte eingehen zu wollen, der Algerien den Frieden zurückgegeben hat. In dem Land herrscht noch immer der Ausnahmezustand. Vor sechs Jahren ins Amt gekommen, hatte Bouteflika sofort die Rolle des Aussöhners übernommen. In Algier spricht die Opposition von einer beschleunigten "Bénalisation": Der 68-Jährige richte sich mehr und mehr an seinem tunesischen Kollegen Ben Ali aus. Wie dieser habe er eine Verfassungsänderung im Auge, um 2009 für ein drittes Mandat antreten zu können. (kap)