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Koreanische Lebensläufe in Deutschland

Esther Felden18. April 2013

Rund 18.000 südkoreanische Gastarbeiter kamen zwischen 1963 und 1977 nach Deutschland. Eigentlich sollten sie nur ein paar Jahre bleiben, doch viele sind noch immer hier. Eine Fotoausstellung erzählt ihre Geschichten.

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Porträt einer Krankenschwester (Foto: Kim Sperling)
Bild: Kim Sperling

Jin-bok Kim strahlt über das ganze Gesicht, wenn er berichtet, wie er sich seinen Lebenstraum erfüllt hat: den Traum, sich als Taxifahrer selbstständig zu machen. Nachdem er es geschafft hatte, arbeitete er 30 Jahre in diesem Beruf. "In der Zeit habe ich 200.000 Fahrgäste befördert und zwei Millionen Kilometer auf Berliner Straßen zurückgelegt", erzählt er stolz. Kim hat einen weiten Weg hinter sich, nicht nur geografisch. Denn sein Werdegang verlief über Umwege.

Als Jin-bok Kim 1970 nach Deutschland kam, war er Mitte Zwanzig. "Eines Tages habe ich in der Zeitung gelesen, dass die Bundesrepublik Deutschland Bergarbeiter sucht. Das war für mich die Gelegenheit, ins Ausland zu gehen." Kim war nicht der Einzige und auch nicht der Erste, der so nach Deutschland gelangte. Insgesamt etwa 8000 südkoreanische Männer reisten in die Bundesrepublik ein - als Botschafter ihres Landes und im Rahmen des "Programms zur vorübergehenden Beschäftigung von koreanischen Bergarbeitern im westdeutschen Steinkohlebergbau". Am 16. Dezember 1963 hatten beide Länder ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet. Ausgestattet mit einem Dreijahres-Vertrag sollten die Südkoreaner an der Seite der deutschen Kumpels arbeiten. Danach sollte es zurück in die Heimat gehen.

Erwünscht - aber nur auf Zeit

"Die Männer waren im wahrsten Sinne des Wortes Gastarbeiter. Eine Integration war nie das Ziel", erklärt Rhan Gunderlach. Die Inhaberin der Agentur g+h communication ist selbst Tochter koreanischer Eltern und hat die Fotoausstellung organisiert, die am Freitag (12.04.2013) in der Galerie des koreanischen Kulturzentrums in Berlin eröffnet wurde und danach durch mehrere deutsche Städte und nach Südkorea wandern wird. Die Ausstellung soll aufmerksam machen auf das Schicksal und die Lebensläufe dieser Bergleute - die oft durch Umschulung, Studium oder Heirat versuchten, nach Ablauf ihres Vertrags in Deutschland zu bleiben. So wie der ursprünglich in der koreanischen Bauernbewegung aktive Jin-bok Kim. Um nicht zurückgehen zu müssen, absolvierte er eine Ausbildung zum Krankenpfleger, war danach mehrere Jahre in diesem Job tätig. "Ich war ja nie ein waschechter Bergmann", sagt er lächelnd. Genauso wenig wie viele seiner Kollegen. "Tatsächlich handelte es sich in den meisten Fällen um Angestellte", sagt Rhan Gunderlach. Viele hätten Abitur oder sogar einen Hochschulabschluss. "Hier in Deutschland stießen sie plötzlich auf ein Umfeld, in dem sie überhaupt keine Erfahrung hatten. Viele taten sich auch mit der harten körperlichen Arbeit unter Tage sehr schwer."

Porträt der Familie von Kim Jin-Bok (Foto: Herlinde Koelb)
Kim Jin-Bok arbeitete drei Jahre in einer Zeche in Castrop-RauxelBild: Herlinde Koelbl

Zeitgleich mit den Bergarbeitern kamen auch rund 10.000 südkoreanische Frauen in die Bundesrepublik. Auch sie waren als Arbeitskräfte hoch willkommen: Deutschland brauchte dringend gut ausgebildete Krankenschwestern. Und junge südkoreanische Frauen sahen eine Chance, der Armut und Perspektivlosigkeit in ihrer noch durch die japanische Kolonialzeit und den Koreakrieg gebeutelten Heimat zu entfliehen. "Südkorea war damals unglaublich arm, das Bruttoinlandsprodukt lag unter dem von Mosambik, Kongo oder Senegal", erklärt Rhan Gunderlach. Genau aus diesem Grund zog es auch Joung-sook Autenrieth in die Ferne. Mit 18 Jahren wanderte sie 1972 aus. "Ich hatte gerade mein Examen als Krankenschwester in der Tasche und wollte unbedingt weiter lernen und studieren", erinnert sie sich. In ihrer Heimat wäre das finanziell nicht möglich gewesen. Nach dem Tod des Vaters war die Mutter Alleinverdienerin und musste neben der Tochter auch noch drei Söhne unterstützen. "Als sich die Chance bot, habe ich sie deshalb sofort ergriffen."

Koreanische Krankenschwestern bei ihrer Ankunft 1966 in Köln/Bonn (Foto: Verein der nach Deutschland entsandten Bergleute und Krankenschwestern und Professor Kwon)
Koreanische Krankenschwestern bei ihrer Ankunft 1966 in Köln/BonnBild: Verein der nach Deutschland entsandten Bergleute und Krankenschwestern und Professor Kwon

Mit Fotos Geschichten erzählen

Wie ist es Joung-sook Autenrieth und Jin-bok Kim ergangen, seit sie vor über 40 Jahren nach Deutschland kamen? Welche Erfahrungen haben sie gemacht? Wie leben sie heute? Diesen Fragen wollten die beiden Fotografen Herlinde Koelbl und Kim Sperling auf den Grund gehen. Insgesamt sieben Familien und 15 Einzelpersonen werden in der Ausstellung vorgestellt. "Das Thema koreanische Gastarbeiter ist hierzulande kaum im Bewusstsein, deshalb fand ich es spannend, es tiefer zu erforschen", sagt die renommierte Fotografin Herlinde Koelbl. Sie machte Porträtfotos der Familien im heimischen Wohnzimmer. Doch das allein reichte ihr nicht. "Ich wollte mehr erzählen. Mit allen Familien habe ich dann jeweils ihre Fotoalben und Unterlagen durchgesehen, habe Bilder ausgesucht aus ihrer Heimat, aus ihrer Jugend, von ihrer Ankunft hier in Deutschland - oder auch Dokumente aus ihrem Leben. Zum Beispiel Arbeitsverträge, Reisepässe oder Belege über Deutschkurse." Diese Dokumente und Privatfotos ordnete Koelbl dann um das aktuelle Familienbild herum an, anstelle eines Bilderrahmens. "So bilden sie sozusagen einen 'Lebensrahmen'."

Am Krankenbett, bei der landwirtschaftlichen Arbeit auf dem eigenen Feld oder mit Tablett vor einem Restaurant - der zweite Fotograf Kim Sperling hat einen Moment aus dem typischen Lebensumfeld der Protagonisten im Bild festgehalten. Kim Sperling wurde selbst in Südkorea geboren und als kleines Kind nach Deutschland adoptiert. Nicht zuletzt deshalb hatte er einen ganz persönlichen Bezug zu dem Projekt. Es sei für ihn interessant gewesen zu sehen, "dass viele Koreaner auch nach Jahrzehnten nicht so gut deutsch sprechen und in einem weitgehend koreanischen Umfeld leben, gerade in einer Großstadt wie Berlin oder im Ruhrgebiet, wo es richtige koreanische Gemeinden gibt."

Deutsch mit koreanischen Wurzeln

Auch Jin-bok Kim erinnert sich, dass er anfangs wenig mit seinen neuen deutschen Mitbürgern zu tun hatte. "Als Bergmann habe ich in einem Heim gelebt und hatte kaum Kontakte", berichtet er. Deutsch gelernt habe er dann vor allem auf der Straße, im Laufe der Zeit. Ganz ähnlich ging es Joung-sook Autenrieth, die nach ihrer Ausreise aus Korea zunächst für drei Jahre als Schwester in einem Krankenhaus im westfälischen Bad Oeynhausen arbeitete. "Ich kam damals mit sechs anderen Koreanerinnen an. Wir waren im Schwesternwohnheim untergebracht, und nach der Arbeit haben wir gemeinsam koreanisch gekocht oder zusammen gesungen." Deutsch habe sie in der ersten Zeit kaum gelernt, erst nach ungefähr einem Jahr sei sie in der Lage gewesen, sich einigermaßen zu verständigen. "Aber unsere Arbeit bestand zu einem Großteil aus Tätigkeiten, die man ohne Sprache verrichten konnte. Beispielsweise Spritzen geben."

Bergarbeiter vor einem Bergwerk in Südkorea (Foto: Verein der nach Deutschland entsandten Bergleute und Krankenschwestern und Professor Kwon)
1963 kamen die ersten südkoreanischen Bergarbeiter nach DeutschlandBild: Verein der nach Deutschland entsandten Bergleute und Krankenschwestern und Professor Kwon

Koreanische Krankenschwestern hatten hierzulande einen guten Ruf. Sie galten als fachlich kompetent, freundlich und bescheiden. Und deshalb sollten sie die Möglichkeit erhalten, zu bleiben. Auch wenn den südkoreanischen Arbeitern von Seiten der deutschen Regierung erst Jahre später ein unbefristetes Aufenthaltsrecht zugesprochen wurde, hatte Joung-sook Autenrieth nach Ablauf des Dreijahresvertrags keine Probleme, in Berlin eine neue Stelle zu finden. Neben der Arbeit holte sie ihr Abitur nach und finanzierte sich dann selbst ein Medizinstudium. Im Krankenhaus lernte sie Mitte der 70er Jahre ihren Mann kennen, einen Deutschen. Gemeinsam haben sie eine Tochter, auch sie studiert Medizin. Durch die Familie sei sie seit Jahrzehnten fast ausschließlich mit Deutschen zusammen, sagt die heute 59-jährige Allgemeinmedizinerin Autenrieth - ohne Bedauern in der Stimme. "Ich habe zwei Drittel meines Lebens in Deutschland verbracht und fühle mich mittlerweile eher deutsch. Deutsch mit koreanischen Wurzeln. Korea ist mir eher als kleine Sehnsucht geblieben. Mein Lebensmittelpunkt ist hier." Natürlich habe es anfangs Momente gegeben, in denen sie geweint und sich gefragt habe, was sie hier eigentlich mache, aber das sei vorbei. "Ich bin längst angekommen." Auch ihr Zuhause ist komplett deutsch eingerichtet. Allerdings: Autenrieth liest gern koreanische Romane, hört in ihrer Freizeit koreanische Musik und besucht gern ihre Verwandtschaft in der Heimat.

Familie Byun (Foto: Herlinde Koelbl)
Viele südkoreanische Familien leben seit Jahrzehnten in DeutschlandBild: Herlinde Koelbl

Im Herzen immer Koreaner

Auch Jin-bok Kim reist regelmäßig nach Südkorea. Aber auch er kann sich nicht vorstellen, dorthin zurückzukehren, obwohl er manchmal Heimweh hat. "Ja, ich vermisse Korea schon", gibt er zu. Anders als Joung-sook Autenrieth hat er auch eine Koreanerin geheiratet: eine Krankenschwester. Drei Kinder hat Kim, der älteste Sohn arbeitet als Ingenieur, die anderen beiden studieren noch. Damit sind sie keine Ausnahme. Im Gegenteil. Bildung spielt für die in Deutschland lebenden Südkoreaner eine wichtige Rolle. Etwa die Hälfte der ehemaligen Gastarbeiter entschied sich, dauerhaft in der Bundesrepublik zu bleiben - und mehr als 70 Prozent ihrer mittlerweile erwachsenen Kinder haben mindestens das Abitur. Wohl nicht zuletzt aufgrund des hohen Bildungsstandards werden Südkoreaner immer wieder als Musterschüler in Sachen Integration genannt.

Als Musterschüler bezeichnet Jin-bok Kim sich selbst nicht. Der ehemalige Bergarbeiter, Krankenpfleger und Taxifahrer wirkt eher wie ein vor Tatendrang und Optimismus sprühender Lebenskünstler. Mittlerweile in Rente, kümmert er sich mit Hingabe um seinen 900 Quadratmeter großen Garten, in dem er koreanische Bäume gepflanzt hat. Er selbst nennt sich einfach Weltbürger. Andere haben dagegen mehr Schwierigkeiten, ihn einzuordnen, erzählt er. "Koreaner sagen immer zu mir, ich sei sehr deutsch geworden. Und Deutsche bezeichnen mich als typischen Koreaner." Jin-bok Kim lacht laut. "Am Ende haben beide Recht."

Die Wanderausstellung "50 Jahre koreanische Bergarbeiter und Krankenschwestern in Deutschland" wird bis zum 4. Mai in der Galerie des Koreanischen Kulturzentrums. Weitere Stationen in Deutschland sind Bochum, Dortmund, Goslar, Duisburg und Frankfurt.