Klima: Hat die Koalition es "vermurkst"?
21. September 2019Ob die Teilnehmer der rekordverdächtigen Marathon-Sitzung zum Klimapaket im Kanzleramt an diesem Samstag ausschlafen konnten? Ob sie dann vielleicht im Laufe des Tages das machen, was früher an einem Samstag üblich war: Den Rasen mähen, die Kinder baden, das Auto waschen ... Auto? Doch nicht etwa ein SU ... . Nein, vielmehr ist anzunehmen, dass die Spitzenpolitiker nach 19 Stunden Reden übers Klima auch an diesem Samstag ein strammes Programm absolvieren und sich dabei über die kritischen Schlagzeilen beugen, die das Maßnahmenpaket zum Klimaschutz hervorgerufen hat. Von einer "Jahrhundertaufgabe" hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gesprochen. Viele Reaktionen lassen darauf schließen, dass die Politiker daran noch ein wenig zu arbeiten haben.
Da ja in den letzten Tagen oft vorgeschlagen wurde, den Wissenschaftlern zuzuhören, sind aus dieser Ecke spannende Reaktionen zu erwarten. Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) hat sie zusammengetragen. Vorweg: Führende Umwelt- und Wirtschaftsforscher kritisierten die Beschlüsse des Regierungsbündnisses aus CDU/CSU und SPD als unzureichend. Zu kleinteilig! Eingeschränkte Wirkung! Es gibt allerdings auch Lob dafür, dass sich die Parteien auf einen Mechanismus geeinigt haben, mit dem geprüft werden soll, ob die Maßnahmen wirken.
"Viel zu zaghaft"
"Das ist halt alles, was eine Drei-Parteien-Koalition hinbekommt", sagte der Wissenschaftliche Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig, Professor Georg Teutsch, der Tageszeitung "Die Welt". Es seien "viele Einzelmaßnahmen, von denen heute kein Mensch sagen kann, wie sie in der Summe wirken werden". Die zentrale Maßnahme - die Festlegung eines Preises für den Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) - sei viel zu zaghaft, um schnell Wirkung zu erzeugen.
Zur Erinnerung: Starten soll die "Bepreisung" von Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas 2021 mit einem Festpreis für Verschmutzungsrechte von 10 Euro pro Tonne CO2. Bis 2025 soll der Preis schrittweise auf 35 Euro steigen - was zum Beispiel Diesel beim Tanken um gut 9 Cent verteuern würde. Auch das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hält das für unzureichend. "Von dem Einstiegspreis von zehn Euro sind keine Verhaltensänderungen zu erwarten, hier stand offenbar der Verzicht auf harte Belastungen im Vordergrund", sagte IW-Geschäftsführer Hubertus Bardt dem "Handelsblatt". Der Ansatz, die Einführung des CO2-Preises für den Gebäude- und den Verkehrssektor mit Förderprogrammen zu verbinden, sei dagegen "sinnvoll, weil er die notwendigen Investitionen in den nächsten Jahren voranbringen kann". Insgesamt sei das Sammelsurium an Preissignalen aber ohne effiziente klimapolitische Steuerung. Fazit: nur ein kleines Lob, höchstens.
Umweltforscher Teutsch zeigte sich trotzdem "etwas optimistisch", weil die Maßnahmen von einem Monitoring begleitet werden sollen. "Wenn es bei Nichteinhaltung wirklich klare Konsequenzen mit entsprechender Nachsteuerung gibt - und das hängt entscheidend von dem noch zu formulierenden Kontroll- und Korrekturprozess ab - dann könnten wir die Klimaziele für 2030 und 2050 tatsächlich erreichen", sagte er. Der Druck auf die Politik müsse aufrechterhalten werden.
Windenergie-Branche sieht sich in Gefahr
Für die Deutsche Energie-Agentur (dena) hingegen ist das Vereinbarte "sehr wahrscheinlich noch nicht genug", um die Klimaziele 2030 zu erreichen, wie Geschäftsführer Andreas Kuhlmann erklärte. Bundestag und Bundesrat müssten das Konzept nun weiterentwickeln. Auch er lobte aber den Prüfmechanismus. Der Bundesverband Windenergie hingegen sieht nun die gesamte Branche in Gefahr. Die Regierung habe es "vermurkst", sagte Verbandspräsident Hermann Albers. Dass - auf Wunsch von Teilen der Union - pauschale Regelungen für den Abstand von Windkraftanlagen und Wohnhäusern Teil des Kompromisses seien, sei "unverständlich und grob fahrlässig". Auch hier zur Erinnerung: Deutschland steigt bis 2022 aus der Atomkraft und voraussichtlich bis spätestens 2038 aus der Stromproduktion aus Kohle aus. Bis 2030 soll der Ökostrom-Anteil etwa aus Wind und Sonne von knapp 40 auf 65 Prozent steigen. Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie beklagte ebenfalls, dass schlüssige Konzepte zum Ausbau der Erneuerbaren Energien fehlten.
Auf die SPD ist Verlass: schnell wieder interne Kritik
Auch unter dem massiven Druck erneuter Klima-Proteste und angesichts der Wahlerfolge der Grünen hatten sich die Spitzen der großen Koalition am Freitag auf ihr milliardenschweres Paket geeinigt. Förderungen klimaschonender Neuanschaffungen sollen anfangs besonders attraktiv sein und später abschmelzen. In den nächsten Jahren sei "die große Gelegenheit" zum Umstieg in klimafreundliche Optionen beim Autokauf oder Heizungstausch, heißt es in einem 22-seitigen Eckpunktepapier. Die Koalition will zudem Bahnfahren billiger und Flüge teurer machen. Die nötigen Gesetzesänderungen will das Bundeskabinett noch in diesem Jahr beschließen. Die Kanzlerin sprach von einem "Paradigmenwechsel".
"Wieder nur pillepalle"
Von der Opposition kam, nicht sehr überraschend, ebenfalls eine Mängelrüge. Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck erklärte: "Mich entsetzt die Kaltherzigkeit, mit der die Bundesregierung eine klimapolitische Wende verweigert. " In der "Rheinischen Post" kritisierte Habeck weiter, dass die Koalition sich mit ihren Beschlüssen von den Pariser Klimazielen abwende und damit die Hoffnung der Menschen zerstöre, die seit Monaten für mehr Klimaschutz kämpften. Der von der Regierung geplante CO2-Preis sei "kein Preissignal, sondern wieder nur pillepalle", fügte Habeck hinzu.
Und: Wenn auf etwas Verlass ist, dann darauf, dass innerhalb des Koalitionspartners SPD sehr schnell Kritik laut wird an den Dingen, die die SPD doch selbst mitbeschlossen hat. Da darf nicht vergessen werden, dass die Sozialdemokraten - einmal mehr - um die Macht in den eigenen Reihen ringen. So äußerten sich gleich mehrere Anwärter auf den SPD-Vorsitz unzufrieden.
Was an wem scheitert
Einer von ihnen, Karl Lauterbach, sagte auf einer SPD-Regionalkonferenz in Neubrandenburg, es sei ein CO2-Preis beschlossen worden, mit dem Autofahrer durch die höhere Pendlerpauschale am Ende mehr im Portemonnaie hätten. Sein Mitbewerber, Nordrhein-Westfalens Ex-Finanzminister Norbert Walter-Borjans sagte der "Welt": "Auch wenn die SPD sich in wichtigen Punkten gut durchsetzen konnte, so zeigt sich, dass sozial gerechter Klimaschutz an CDU und CSU scheitert." Pflichtschuldigst verteidigten Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) - auch er will bekanntlich an die Spitze seiner Partei - und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) den Kompromiss. "Was wir da vorgelegt haben, ist ein großer Wurf", sagte Scholz am Freitagabend im ZDF. Altmaier verwies darauf, dass die Pendlerpauschale von 30 auf 35 Cent je Kilometer angehoben werde. "Ein großer Wurf": Wenn Olaf Scholz damit doch richtig liegen sollte, dann haben das viele am Tag danach noch nicht begriffen.
ml/jv (dpa, rtr, afp)