Klimawandel: Steht die Wasserkraft vor dem Aus?
24. April 2018Seit Jahrtausenden nutzt der Mensch Wasser als Energiequelle, seit fast 150 Jahren erzeugt er damit Strom.
Rund 70 Prozent des weltweiten Stroms aus erneuerbaren Energien werden durch Wasser generiert, insgesamt sind das mehr als 15 Prozent der weltweiten Stromversorgung. Wasser ist billig und kann - im Gegensatz zu Sonne und Wind - Strom jederzeit nach Bedarf produzieren.
Aber auch die Wasserkraft hat Nachteile: der Bau von Staudämmen verändert Ökosysteme, überschwemmt Landschaften und zwingt Millionen von Menschen, ihre Häuser zu verlassen.
Nun steht die Wasserkraft vor einer zusätzlichen Herausforderung: In einigen Ländern führt der Klimawandel zu schweren Dürreperioden - die Wasserspeicher trocknen schlichtweg aus.
"Der Klimawandel hat einen bemerkenswerten Einfluss auf die Wasserkrafterzeugung, er stellt eine große Herausforderung für alle Wasserkraftwerke dar", sagt Clemente Prieto vom spanischen Komitee für Staudämme.
Die Wasserkraftproduktion versagt
Insbesondere süd- und ostafrikanische Länder sind darüber ernsthaft besorgt.
Malawi bezieht 98 Prozent seiner Stromerzeugung aus Wasserkraft. Das Land leidet immer wieder unter langen Stromausfällen, von denen insbesondere wichtige öffentliche Stellen wie Krankenhäuser schwer betroffen sind. Insgesamt haben nach Angaben der Weltbank allerdings weniger als zehn Prozent der Malawier überhaupt Zugang zur Stromversorgung.
In Sambia macht Wasserkraft 95 Prozent der Energieversorgung aus - der größte Teil davon stammt aus dem Kariba-See, dem größten künstlichen Stausee der Welt. Wegen El Nino im Jahr 2016 sankt dort der Wasserstand auf 13 Prozent der üblichen Menge, sagt Daisy Mukarakate, Expertin für Klimawandelprogramme beim Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen für Afrika (UNDP).
Aber auch reichere Länder sind betroffen. Nach vier Jahren schwerer Dürre musste Kalifornien aufgrund von Wasserknappheit wieder mehr Gas zur Deckung des Strombedarfs einsetzen. Das kostete mehr als zwei Milliarden Dollar (1,6 Milliarden Euro) und führte nach Angaben des Pacific Institute for Studies in Development, Environment and Security zu einem Anstieg der CO2-Emissionen um zehn Prozent.
Mit anderen Worten, die Kalifornier mussten mehr bezahlen, erhielten dafür aber umweltschädlichere Energie.
In Spanien hat sich die Wasserkrafterzeugung von 2016 bis 2017 halbiert. Stattdessen wurden mehr fossile Brennstoffe verbrannt, wodurch die CO2-Emissionen um 40 Prozent anstiegen. In lateinamerikanischen Ländern wie Venezuela, Kolumbien und Brasilien ist es ähnlich.
Ist der Bau neuer Wasserkraftwerke sinnvoll?
Trotz der Ungewissheit darüber, wie sich das Klima in Zukunft verhält, werden weiter Stauseen auf der ganzen Welt gebaut.
So plant etwa Brasilien den Bau mehrerer Staudämme, darunter über 40 im Becken des Tapajos-Flusses - einer der artenreichsten Orte der Erde. Das Projekt ist wegen seiner Auswirkungen auf die lokale Tierwelt und die einheimische Bevölkerung heftig kritisiert worden.
Greenpeace betont vor allem, dass das Tapajos-Projekt angesichts des Rückgangs der Wasserkraftproduktion in mehreren Ländern umso fragwürdiger sei. "Warum sollte ein Land, dessen Energiesicherheit bereits durch übermäßige Abhängigkeit von Wasserkraft gefährdet ist, diese Abhängigkeit noch weiter erhöhen?", heißt es in einem Bericht.
Stattdessen schlägt Greenpeace eine Kombination aus Wind, Sonne und Biomasse vor, die auf lange Sicht billiger und effizienter sowie weitaus weniger zerstörerisch für die Umwelt wäre.
Ein ähnliches Problem sehen britische Forscher auch für die Pläne von Wasserkraftwerken im östlichen und südlichen Afrika. Sie warnen davor, dass sich das Risiko von Stromengpässen erhöhen könnte, da die meisten Länder auf die ohnehin schon knappen Niederschläge angewiesen seien und die Erzeugungsmöglichkeiten daher in mehreren Ländern gleichzeitig zurückgehen würden.
Experten wie Michael Taylor, Senior Analyst für erneuerbare Energien bei der International Renewable Energy Agency (IRENA), betonen, dass Afrika dennoch ein großes Wasserkraftpotential habe und aufgrund der hohen Nachfrage nach erneuerbaren Energien nicht ignoriert werden könne.
"Es gibt ein riesiges Energiedefizit in Afrika und wir können keine Optionen verwerfen, wenn wir die Unterentwicklung überwinden wollen", sagt Mukarakate vom UNDP.
Dennoch sei es wichtig, bei der Planung immer auch die Wetterveränderungen im Blick zu haben und die bereits bestehenden Anlagen regelmäßig zu überprüfen.
Auch Eva Hernandez, Leiterin des Wasser- und Landwirtschaftsprogramms des WWF in Spanien, wo es aktuell mehr als 1000 Staudämme gibt, sagte der DW, dass der Schwerpunkt nicht darauf liegen sollte, mehr Anlagen zu bauen, sondern diejenigen zu verbessern, die da sind.
Wasserkraft: ein Puzzleteil
Viele Anlagen seien laut Hernandez schon mehrere Jahrzehnte alt und müssten dringend repariert werden. Eine sinnvolle Möglichkeit wäre für sie, konventionelle Staudämme zu Pumpspeicherkraftwerken auszubauen.
Pumpspeicher nutzen elektrische Energie, um Wasser aus einem niedrig gelegenen Stausee in einen höheren zu pumpen, um es dort zu speichern. Sobald dann wieder Energie benötigt wird, wird das gespeicherte Wasser turbiniert, also wieder in elektrische Energie zurückgewandelt.
Das würde eines der größten Probleme der Wasserkraft - die Speicherung – lösen und deren Integration in das Stromnetz fördern, sagt Hernandez.
Im Gegensatz zu fossilen Energieträgern können Solar- und Windenergie nicht planmäßig und bedarfsgerecht produziert werden, sondern hängen vollständig vom Wetter ab. Die Pumpspeicherung sei eine Möglichkeit, überschüssige Energie in Form von Wasser bei Bedarf wieder in Strom umzuwandeln.
Forscher wie Taylor betonen jedoch, dass Wasserkraft nicht als Alternative zu anderen erneuerbaren Energien gesehen werden sollte, sondern vielmehr als deren Ergänzung. Auf diese Art sei das gesamte Energiesystem effizienter und die Stromversorgung sicherer.
Dass das zukünftige Energiesystem erneuerbar sein muss, darüber sind sich jedoch die meisten einig. „Aber wir müssen einen gesunden Mix verschiedener Energiequellen bewahren", sagt Mukarakate. "Wenn wir nur von einer Quelle wie der Wasserkraft abhängig sind, sind wir zu anfällig", sagt sie. "Wir müssen alle Optionen zusammenbringen - Biomasse, Wind, Sonne, Biokraftstoffe, etc."
Gerade in den afrikanischen Ländern sei eine Fokussierung auf das Gesamtsystem der Schlüssel zu einer sichereren Versorgung - eben weil sie schon zu häufig von zu wenigen Niederschlägen betroffen seien. Taylor argumentiert, dass ein Land, das bereits mit seiner Energieversorgung zu kämpfen hat, in der Lage sein sollte, im Notfall auf die Reserven eines Nachbarlandes zurückzugreifen.
Letztendlich ist eine nachhaltigere Energieversorgung ein wichtiger Ansatz, um das Problem zu lösen - denn je früher wir aufhören, fossile Brennstoffe zu verbrennen, desto stabiler wird unser Klima vermutlich sein.