Koalition streitet über die Wehrpflicht
12. Juni 2010Das Bundesverteidigungsministerium hat dementiert, dass die Abschaffung der Wehrpflicht bereits beschlossene Sache ist. "Es werden nach wie vor Einberufungsbescheide verschickt", sagte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums am Samstag (12.06.2010). Eine Entscheidung über die Zukunft der Wehrpflicht stehe noch aus, so der Sprecher. "Richtig ist nur, dass wir zurzeit einen Prüfauftrag haben für den Fall, dass es Kürzungen bei der Bundeswehr geben könnte."
Das Nachrichtenmagazin "Focus" hatte zuvor berichtet, dass zum Stichtag am 1. Januar 2011 keine Wehrdienstleistenden mehr eingezogen würden. Das Ministerium plane demnach, ab November keine Einberufungsbescheide mehr zu verschicken.
Erhalt der Wehrpflicht gefordert
Unions-Fraktionschef Volker Kauder sprach sich indessen dafür aus, die Wehrpflicht beizubehalten. Sie sei "das Instrument, Gesellschaft und Bundeswehr miteinander zu verbinden", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". "Wohin das führen kann, wenn dieses Band nicht vorhanden ist, haben wir in unserer Geschichte mehrmals sehen können." Es komme darauf an, dass die Bundeswehr ihren Auftrag erfüllen könne, sagte Kauder. Eine Strukturreform der Bundeswehr könne nicht unter dem Spardiktat geführt werden.
Die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Elke Hoff, fordert nun Klarheit vor dem nächsten Einberufungstermin am 1. Oktober. "Es wäre gut, wenn im September ein entscheidungsreifer Vorschlag des Ministers auf dem Tisch liegen würde", sagte sie dem "Hamburger Abendblatt".
Opposition kritisiert Vorgehen
Welche Folgen eine Aussetzung der Wehrpflicht für den Zivildienst hätte, will Familienministerin Kristina Schröder (CDU) bis zum September prüfen lassen. "Ohne den Zivildienst wäre unsere Gesellschaft weniger menschlich", so Schröder gegenüber der Zeitung "Passauer Neue Presse". "Für Behinderte und Ältere wäre das Ende des Zivildienstes ein erheblicher Verlust an Lebensqualität."
SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold sagte dem Berliner "Tagesspiegel", er fühle sich "als Parlamentarier - wie wohl auch viele Soldaten - allmählich veräppelt". Den einen Tag peitsche der Minister das Gesetz zur Verkürzung des Wehrdienstes durch und spreche dabei von "Planungssicherheit", den anderen mache er deutlich, schon ganz bald etwas ganz Anderes zu wollen. "Das hat mit Seriosität nichts zu tun", sagte Arnold, der zudem fehlenden Gesprächs- und Kooperationswillen zu Guttenbergs beklagt. "So darf man mit diesem Thema schon vom Verfahren her nicht umgehen", sagte der SPD-Politiker.
Die Pläne des Verteidigungsministers
Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg dringt ungeachtet von Widerständen auf ein Ende der Wehrpflicht. "Wir müssen in den kommenden Jahren Milliardenbeträge einsparen. Sparen ohne Reform ist nicht denkbar", sagte zu Guttenberg dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Allerdings dürfe nicht das fatale Bild entstehen, dass die Wehrpflicht nur aufgrund eines Sparwochenendes der Koalition falle. "Die finanziellen Notwendigkeiten dürfen auf keinen Fall der Grund für Reformen sein", sagte zu Guttenberg. "Sie bieten auf der anderen Seite die einmalige Chance, endlich Dinge, die man für richtig hält, umzusetzen, weil sie alternativlos sind. Wenn wir auf sie verzichten, dann vor allem aus strukturellen Gründen."
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nun Bereitschaft zu einer Abkehr von der Wehrpflicht erkennen lassen. In der Bundeswehr müsse es "einen zukunftsweisenden Strukturwandel" geben, wobei auch über ein Aussetzen der Wehrpflicht nachgedacht werden dürfe, sagte Merkel.
Zunächst will die Bundesregierung im Eilverfahren eine Verkürzung der Wehrdienstzeit zum 1. Juli von neun auf sechs Monate durch den Bundestag bringen. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) lässt im Zuge der Haushaltseinsparungen das Aussetzen der Wehrpflicht und die Kürzung der Truppenstärke von 250.000 auf 150.000 Soldaten prüfen. Guttenberg plane bereits mit einer massiv verringerten Truppenstärke und ohne Wehrdienstleistende, berichtete die "Frankfurter Rundschau". 40.000 Berufs- und Zeitsoldaten sollen demzufolge bis 2014 entlassen werden.
Autor: Nicole Scherschun (dpa, epd, afp, rtr)
Redaktion: Dirk Eckert