Kohle war gestern, die Zukunft gehört der Sonne
25. Juni 2006Willfried Müller saust auf seinem Brennstoffzellen-Cargobike durch die Sonne. Ein silbrig glänzendes Dreirad mit Transportfläche und 25 km/h Spitzengeschwindigkeit. Müller ist Geschäftsführer von Masterflex AG. In Gelsenkirchen stellt die Firma High Tech-Schläuche her, und wenige Kilometer entfernt, in Herten, Brennstoffzellen.
Hinter dem Sattel versteckt hat das Fahrrad eine feuerlöschergroße Kartusche mit Wasserstoff. Der reagiert in einer Brennstoffzelle mit Luftsauerstoff und erzeugt Strom für den kleinen Elektromotor, der Willfried Müller das Radeln erleichtert. Sechs Prototypen dieser Transportfahrräder gibt es schon. Brennstoffzellen gelten als eine Energieform der Zukunft und Masterflex ist ganz vorne mit dabei. "Ich denke, wir haben in Deutschland die Vorreiterrolle für die Anwendung von Brennstoffzellen übernommen", sagt Müller stolz. "Wir sind sehr frühzeitig vom Labor auf die Straße gegangen. Wenn wir wirklich mal Brennstoffzellen verwenden und die nicht nur im Labor verstecken, kommen wir besser mit der Entwicklung voran."
Strukturwandel verschlafen
Die Stadt Herten ist froh, dass die Masterflex AG bei ihnen produziert. So wie im benachbarten Gelsenkirchen sind auch in Herten mit Schließung von Kohlebergwerken tausende von Arbeitsplätzen weggefallen. Lange Zeit wurde nicht auf den Strukturwandel reagiert, jetzt sieht die ganze Region ihre Zukunft in alternativen Energien. "Wir werden es nicht schaffen, 5.000 oder 6.000 Bergbauarbeitsplätze durch diese Technik zu ersetzen", sagt Peter Brautmeier von der städtischen Wirtschaftsförderung in Herten, "aber zukünftig wird es viele Arbeitsplätze im Bereich der Brennstoffzellenfertigung geben und die Standorte werden heute gemacht." Deshalb sei es wichtig, dass Herten schon jetzt einen guten Ruf als Wasserstoff-Kompetenzzentrum bekommt.
Solarmodule für Europa
Auch die kanadische Firma Hydrogenics produziert in der Region Brennstoffzellentechnologie. Ihr gut fünf Meter langer, umgebauter Elektrobus fährt jetzt mit Brennstoffzellen durch Gelsenkirchen. Leise surrend schaukelt der Bus mit 30 Stundenkilometer zu Scheuten Solar. Seit drei Jahren hat der niederländische Konzern einen Produktionsstandort in Gelsenkirchen - zwei bläulich schimmernde, von Solarzellen umhüllte Science-Fiction-Gebäude. Solartechnologie - die zweite Wirtschaftshoffnung der Region. Scheuten produziert Solarmodule für den gesamten europäischen Markt. 90 Arbeitsplätze hat die Firma in den vergangenen Jahren geschaffen.
Bis 2007 soll sich die Angestelltenzahl nochmal mehr als verdoppeln. Geschäftsführer Wilhelm Prünte setzt auf Arbeiter aus der Region. Das mache einfach Sinn, um eine Identifizierung mit dem Unternehmen hinzukriegen sagt er. "Die Leute sehen dann - das ist mein Unternehmen! Wir sind damit bisher sehr gut gefahren. Im Großen und Ganzen haben wir hier wirklich sehr qualifiziertes Personal, das wir dann allerdings weiter ausbilden müssen, denn diese Art von Produktion gibt es ja hier gar nicht."
Der Anfang ist gemacht
Die Stadt hofft, dass Solartechnik und Brennstoffzellen ein kleines Wirtschaftswunder in der Region bewirken. Mit der Ansiedlung von "Hydrogenics" und "Scheuten-Solar" ist der Anfang gemacht. Gelsenkirchen bemüht sich, das auch den Bürgern zu zeigen. Seit kurzem blitzen am Gelsenkirchener Hauptbahnhof Solarmodule in der Sonne. Scheutens Solarmodule - für ein 110 Quadratmeter großes Dach. "Das Thema Solar spielt hier in dieser Stadt eine große Rolle", erzählt Gerhard Osadnik vom Umweltreferat. "Wir wissen aber auch, dass wir in Gelsenkirchen nicht unbedingt von jeher die engagierte Bürgerschaft hatten." Die Stadt habe das Thema Solarenergie strukturpolitisch gesetzt und so konnte sich auch das Engagement der Bürger langsam in Richtung Solarstadt entwickeln, sagt Osadnik. Solardächer, Fahrräder und Busse mit Brennstoffzellen - kleine, aber deutliche Zeichen, dass hier die neuen Wirtschaftspfeiler der Region entstehen könnten.