Eine Schule aus Bambus
31. März 2014Wäre Montebello ein Vorort in einer Stadt in Westeuropa, gälte die Wohnlage sicher als vornehm. Auf einem Hügel erstreckt sich die Ortschaft in tropischem Grün, während sich in der Ferne Berge erheben. Doch wer durch Montebello geht, der kann die Wellblechhütten nicht übersehen, nicht die Menschen, die Fetzen tragen, die Kinder, die barfuß gehen.
In der 20.000 Einwohner großen Gemeinde am Rande der kolumbianischen Millionen-Metropole Cali wohnen Menschen mit geringstem Einkommen. Schulen sind hier ebenso knapp wie das Geld. Trotz allgemeiner Schulpflicht lassen viele Eltern, die selber nie eine Schule besuchen konnten, ihre Kinder zu Hause. Das ist nicht ungewöhnlich in Kolumbien, verhindert aber gesellschaftlichen Fortschritt und die Überwindung von Bürgerkriegstraumata und Konflikten, die das Land zwischen Karibik und Pazifik über Jahrzehnte geprägt haben. Das weiß Andres Bäppler sehr genau. Er ist Sohn einer kolumbianischen Indianerin aus der Ethnie der Nasa und eines deutschen Vaters, der einst in Cali für einen deutschen Chemiekonzern arbeitete. Er kennt beide Seiten: die bildungsbürgerliche, kühle deutsche Seele - und die warmherzige, scheue kolumbianische.
Leuchtende Kinderaugen
"Mit Bildung beginnt alles", sagt der 53-jährige Architekt. "Dann fangen Kinder an, die Dinge zu hinterfragen." Und das sollen sie im "Colegio de las Aguas" in Montobello tun können - einer Schule, die Bäppler 2004 zusammen mit seiner Frau Ulla Schuch ins Leben gerufen hat. Die Frankfurter Architektur-Professorin ist Präsidentin des deutschen Vereins "Schule fürs Leben", deren Partnerorganisation "Fundación Escuela para la vida" als Trägerin des Colegio fungiert.
In den Klassen der Jüngsten geht es hoch her - Gelächter, Schreie, manchmal springt ein Schüler auf und rennt zur Tür hinaus. Die Lehrer bleiben entspannt. Autorität ist ein Fremdwort. Leuchtende Kinderaugen zeigen, dass die Schüler sich hier wohlfühlen. Dazu soll nicht nur der Unterricht für die 250 Mädchen und Jungen beitragen. Schulgebäude wie Klassenzimmer bestehen aus einer einheimischen Bambusart namens Guadua und sind anspruchsvoll gestaltet. Selbst die Fußballtore auf dem Sportplatz sind aus dem Holz gebaut.
"Manche Familien der Gemeinde waren zuerst erschrocken, als sie die Gebäude sahen", erzählt Bäppler. "Das seien Häuser für Reiche, beschwerten sie sich. Und ich gab ihnen recht: Für die Reichen von Morgen - an Wissen und Kultur. Wir wollen damit Offenheit vermitteln. Alle Räume sind hell. Es gibt ein anderes Wachstum, wenn man das Gefühl hat, man ist frei."
Hochwertige heimische Ressource
Außerdem sei die Schönheit bezahlbar. Die Bambusbauten seien billiger als Häuser aus Stahl und Zement, versichert er. Die Guadua-Architektur hat noch einen weiteren Sinn. "Wir müssen die Entwicklungszusammenarbeit auch auf einer anderen Ebene zeigen", sagt Bäppler. "Hier gibt es eine natürliche Ressource, den Bambus, und er wird nicht gewürdigt im eigenen Land." Auch wenn schon die Ureinwohner in präkolumbianischer Zeit mit dem Holz gearbeitet haben - es gilt vielen Kolumbianern als Baustoff der Armen. "Wir wollen zeigen, welche Qualität der Guadua besitzt - widerstandsfähig, stabil und zugleich flexibel." Die Bambushäuser sind so beweglich, dass sie bei einem Erdbeben nicht in sich zusammenkrachen.
Zum Konzept der Schule zählt, dass sie selbst versucht, für den Rohstoff zu werben und ihn zu vermarkten. So bietet die Schule Werkstätten an, wo Jungen und Mädchen Berufe wie das Schreinerhandwerk lernen können. Die Lehrlinge bauen auch die Häuser zu einem Großteil selbst. "Wir packen alle selbst an. Das senkt die Kosten, auch wenn wir mehr Zeit und Material brauchen." Dafür sammeln die Jugendlichen Erfahrungen - unterstützt von jungen Frauen und Männern aus Deutschland, die über das Entsendeprogramm "Weltwärts" bei den Projekten mithelfen.
Auch die Hotel- und Gastronomielehrlinge - zumeist Mädchen - arbeiten mit, denn in das dreistöckige Gebäude, das die Schule gerade baut, soll ein kleines Hotel integriert werden, das sie selbst verwalten werden. So ist es in jedem Lehrbetrieb der Schule, auch bei den Modedesignern und Marketingschülern: Alle müssen zum wirtschaftlichen Erfolg beitragen, damit die Schule Einnahmen erzielen kann. Weil das Geld trotzdem nicht reicht, ist die Schule auf Spenden angewiesen.
Alternative zu Drogen und Gewalt
Zumal sie weiter wachsen soll. Neustes Projekt ist das Aufforsten eines eigenen Bambuswaldes rund eine Autostunde entfernt im Ort Buga. Dort sollen Jugendliche ab Mitte 2014 zu Guadua-Spezialisten ausgebildet werden. Die Ziele sind auch hier sozio-ökonomischer und ökologischer Natur. Adriana Betancourt hat Land-, Forst- und Fischwirtschaft studiert und beaufsichtigt das Projekt. "Viele Jugendliche identifizieren sich nicht mit dem Land. Sie gehen auf der Suche nach Perspektiven in die Stadt. Dort enden sie aber oft auf den Straßen, mit Drogen und Gewalt." Wenn es gelänge, den traditionsreichen Bambuswald, wie er in Buga noch zu finden ist, wieder hoffähig zu machen, werde das Land für die Jugend wieder attraktiv.
Außerdem ist der Guadua ein Segen für die Umwelt, etwa für den Gewässerschutz. So wird die Ebene, in der Cali zwischen zwei Bergketten liegt - das Valle de Cauca - von mächtigen Flüssen durchzogen, die in der Regenzeit dort über die Ufer treten, wo die traditionellen Bambushölzer abgeholzt wurden. "Die Bäume können in ihren Stämmen bis zu einer Höhe von drei Metern Wasser speichern und regulieren so auf natürliche Weise das Hochwasser", sagt Betancourt. Und helfen, den Reichtum der Region zu erhalten. Denn an Flora und Fauna sind auch sozial schwache Landstriche wie Montebello in den grünen Hügeln hoch über Cali fast unermesslich reich.