Studie: Deutsche Wirtschaft verletzt Menschenrechte
26. Februar 2014Deutschland ist ein rohstoffarmes Industrieland. Steinkohle für die Stromerzeugung sowie Metalle wie Kupfer, Eisenerz, Stahl und Kobalt für die Elektro- und Automobilindustrie müssen importiert werden. Auch Textilien, Kaffee und Obst zählen zu den Hauptimportprodukten. Dabei geraten deutsche Unternehmen offenbar immer wieder in Konflikt mit den Menschenrechten. Diesen Vorwurf erheben die Nichtregierungsorganisationen Misereor und Germanwatch in der am Mittwoch (26.02.2014) vorgestellten Studie"Globales Wirtschaften und Menschenrechte". "Es kommt darauf an, in der gesamten Lieferkette die Verantwortung zu übernehmen", sagt Cornelia Heydenreich von Germanwatch. "Unternehmen sind auch dann verantwortlich, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen von staatlicher Seite profitieren", betont die Mitautorin der Studie im Gespräch mit der DW.
Für die Studie wurden unter anderem die 30 im Deutschen Aktienindex DAX gelisteten Unternehmen befragt. Das Ergebnis sei ernüchternd, sagen die Autoren. Das Bewusstsein für Menschenrechts-Standards sei zwar relativ hoch. Bei der Umsetzung gebe es jedoch noch großen Nachholbedarf. Als Beispiel nennt die Germanwatch-Expertin Heydenreich die Steinkohleimporte aus Kolumbien.
Der Bergbau ist in dem südamerikanischen Land von großen sozialen und politischen Konflikten begleitet. "Einerseits werden Gewerkschafter vor Ort verfolgt, zum anderen werden die Rechte von Indigenen verletzt", sagt Heydenreich mit Verweis auf Vertreibungen und Enteignungen in den Bergbauregionen im Nordosten Kolumbiens. "Es gibt in Deutschland kaum Unternehmen, die direkt im Rohstoffabbau tätig sind. Aber wir importieren fast alle Rohstoffe. Daher gibt es auch eine Mitverantwortung von deutscher Seite", betont sie.
Die Nachfrage regelt das Angebot
Bislang jedoch würde kein Unternehmen überprüfen, ob sich die eigenen Importe negativ auf Arbeitsstandards bei ihren Zulieferern auswirkten, heißt es in der Studie. Die "Marktmacht weniger Supermarktketten und deren unfaire Einkaufspraktiken" führen dem Bericht zufolge zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen bei der Erzeugung von Bananen, Mangos und Ananas in Südamerika. Fünf Einzelhandelskonzerne beherrschen etwa 90 Prozent des deutschen Lebensmittelmarktes. Über große Einkaufsmengen würden die Erzeuger unter Preisdruck gesetzt. Das hätten ecuadorianische Bananenproduzenten und -exporteure in einer Befragung bestätigt, heißt es in dem Bericht. Das wirke sich direkt negativ auf die Bezahlung der Arbeiter auf den Plantagen aus.
Der Bundesverband für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (BWA) hat nach eigenen Angaben nur aus Medien von Informationen über Menschenrechtsverletzungen durch deutsche Firmen erfahren. "Wir unterstützen Unternehmen, die sich aktiv gegen die Verletzung von Menschenrechten aussprechen", sagt der BWA-Vorstandsvorsitzende Dirk Bohrmann im Gespräch mit der DW. Das gelte ebenso für die Zulieferer. "Auch die müssen die geltenden Richtlinien einhalten."
Verbindliche Regeln sind Bohrmann zufolge im Sinne aller Marktteilnehmer. "Umso leichter ist es für alle, den Wettbewerb transparent zu machen." Grundsätzlich sei es zu begrüßen, dass die Achtung der Menschenrechte inzwischen "ein fester Bestandteil von Regelwerken und Ausschreibungen sind", sagt er. Das sei, ähnlich wie beim Umweltschutz, vor nicht allzu langer Zeit noch undenkbar gewesen.
Politik müsse Verantwortung übernehmen
Im Juni 2011 hat der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen einstimmig die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet. Darin wird klar festgehalten, dass nicht nur Staaten die Menschenrechte schützen, sondern auch alle Unternehmen sie respektieren müssen, unabhängig von ihrer Größe und überall auf der Welt. Als drittes Element sehen die UN-Richtlinien vor, das Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen die Möglichkeit zur Beschwerde und zur Wiedergutmachung haben sollen. Alle UN-Mitgliedsstaaten sind aufgefordert, diese Leitprinzipien umzusetzen.
Deutschland ist dieser Aufforderung bislang nicht nachgekommen. Damit verletze die Bundesregierung ihre völkerrechtliche Verpflichtung, Menschenrechtsverletzungen durch deutsche Unternehmen im Ausland zu verhindern oder zu ahnden, kritisieren die Autoren der Studie von Germanwatch und Misereor.
Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) verweist auf Nachfrage der DW auf den Koalitionsvertrag, der die Umsetzung der UN-Leitprinzipien auf nationaler Ebene vorsieht. Es gehöre zum Leitbild des verantwortlichen Unternehmertums, freiwillig und aus eigenem Interesse gesellschaftliche Verantwortung für soziale, kulturelle und ökologische Belange zu übernehmen. "Die Bundesregierung ruft deshalb Unternehmen dazu auf, hinsichtlich menschenrechtlicher, sozialer und ökologischer Standards freiwillig mehr zu tun, als es die gesetzlichen Bestimmungen verlangen", so das BMWi in einer Stellungnahme gegenüber der DW. Im Übrigen seien "viele der in den UN-Leitprinzipien enthaltenen Forderungen bereits durch den CSR-Aktionsplan der Bundesregierung sowie die OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen umgesetzt." Zur Umsetzung der Leitsätze der OECD für multinationale Unternehmen sei die sogenannte Nationale Kontaktstelle (NKS) eingerichtet worden, bei der Beschwerden wegen möglicher Verletzungen der Leitsätze eingereicht werden.
Diese Leitsätze beziehen sich zwar auf die UN-Prinzipien, sind aber nicht verpflichtend. Gerade deshalb hält Claudia Heydenreich von Germanwatch sie auch für nicht ausreichend. "Es sind lediglich Empfehlungen der Regierungen an die Unternehmen. Wir brauchen aber einen verbindlichen Rahmen, damit alle Unternehmen sich an diese Standards halten."
Drei Jahre nach ihrer Verabschiedung hat sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag jetzt dazu verpflichtet, die UN-Leitprinzipien umzusetzen. "Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie klärt, welches Ministerium für das Thema zuständig ist", fordert Heydenreich. Infrage kommen die Ministerien für Entwicklung, Auswärtiges, Wirtschaft, Arbeit und Justiz.