Kolumne: Aleppo in Berlin
19. November 2017Ist das der Duft von Aleppo? Dieser kriegszerstörten Stadt, die nach zahllosen Luftschlägen bis auf ein Häuserskelett herunter gebombt wurde. Und - noch schlimmer - deren Bewohner hungern und in Schutt und Asche der zerstörten Häuser ums Überleben kämpfen?
Ich frage mich: Wie kann eine malträtierte Stadt so gut duften? Nach Oliven, Lavendel, irgendwie schwer und etwas süßlich?
Savon d'Alep - Die Seife von Aleppo
Als ich in Berlin Mitte die Tür zur kleinen Galerie Benhadji & Djilali öffne, strömt mir genau dieser wohlige Duft entgegen. Vor mir steht eine Mauer aus kleinen dunkel-braunen Quadern. In der Mitte ein weit aufgerissenes Loch, als wäre eine Granate eingeschlagen.
Doch es ist keine gewöhnliche Mauer. Sie ist aus Seife. Fast fünftausend Seifenstücke sind verbaut: Rechteckig, braun, schwer. Ein Werk des französischen Künstlers Emmanuel Tussore. Von ihm lerne ich: Das ist der Duft der Aleppo-Seife, der Savon d‘Alep, die in Frankreich fast jedes Kind kennt.
"Ich wasche mich jeden Tag mit der Aleppo Seife", sagt mir Emmanuel. Aber für ihn ist diese Seife viel mehr. Es ist die erste Seife in der Geschichte der Menschheit. Und sie kommt dorther, wo auch das Alphabet erfunden wurde. Ja es stimmt: Die Aleppo Seife steht für das kulturelle Erbe unserer gesamten Zivilisation. Und dann das: Der zivilisatorische Kollaps - genau am gleichen Ort.
Ich spüre große Traurigkeit - und eine positive Botschaft: Die Seife gibt den Menschen aus Aleppo etwas von Ihrer Würde zurück. Körperpflege ist schließlich etwas sehr Persönliches, etwas Essentielles, was den Menschen ausmacht.
2012 und 2013 musste die Seifenproduktion wegen des Krieges eingestellt werden. Dann ging es weiter. Nicht mehr direkt in Aleppo, doch in der Region und in anderen syrischen Städten wie Latakia und Holms.
Emmanuel verbaut die Seife nicht nur zu brüchigen Mauern - oder als Objekt für eine Videoinstallation. Für ihn ist sie auch eine Art Marmor. Material für kleinste Skulpturen, die mir zu Herzen gehen. Häuserruinen hat er geschnitzt, Elendsquartiere einer grauen Geisterstadt.
Denkmal der Schande mit Bussen?
Emmanuels Miniaturen rühren mich mehr als das riesenhafte Monument, das der deutsch-syrische Künstler Manaf Halbouni jetzt spektakulär vor dem Brandenburger Tor aufstellte. Drei senkrecht aufgerichtete Busse, die wie Reißzähne in die Luft ragen. Auch hier geht es um Aleppo. Solche Busse dienten als Schutzwall gegen Heckenschützen. Auf der einen Seite war Krieg, auf der anderen Seite spielten Kinder, erklärt mir Halbouni während des Presserundgangs.
Für ihn ist es ein Monument gegen Terror und für Freiheit. Doch das sieht eine laute Minderheit anders: "Ekelhafte Terroristenpropaganda sind diese Busse und mehr nicht! Die Terrormiliz Ahrar Al-Sham benutzte Busse, um die Bevölkerung in Aleppo weiter ungestört quälen zu können", lese ich auf Twitter. Es gibt Zoff in den Sozialen Medien. Der ist noch nicht so heftig wie in Dresden, wo die Busse vor der Frauenkirche standen. Dort hatte es harte Zusammenstöße mit der islamfeindlichen Pegida-Bewegung gegeben. Bis hin zu Morddrohungen gegen den Bürgermeister.
In Berlin scheint die Provokation eher aus der linken Ecke zu kommen: "Al Qaida-Kunst" nennt die linke Zeitung "Neues Deutschland" das Denkmal. "Ganz tiefer Griff ins Klo", antwortete Berlins Kultursenator Klaus Lederer von der Partei "Die Linke" postwendend auf Twitter. Kunst solle verstören, hatte er vorher noch bei der Einweihung des Mahnmals gesagt. Ob er das so gemeint hat?
"Ich bin ein Berliner"
Ich bin stolz, dass ein Künstler wie Manaf Halbouni in Berlin die Freiheit hat, mit seinem "Monument" zu provozieren. Das sollten wir alle aushalten.
Und ich bin stolz, dass viele Berliner so offen und mitfühlend sind. Am gleichen Abend lerne ich Emad kennen. Der 26-jährige Syrer lebt seit gut zweieinhalb Jahren hier. Er fühlt sich mittlerweile so sicher und angenommen, dass er an dem Projekt "Du siehst mich" der Fotografin Debora Ruppert teilnimmt. Mit einer Einwegkamera gibt er seine Lebenswelt preis: Das Schlafzimmer, seinen Friseur, den Briefkasten, wo er auf Post vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wartet.
Ich frage ihn, was ihm an Berlin gefällt: Der Respekt! Und dann fällt noch ein Satz, der mich fast so glücklich macht wie Emad selber: "Ja, ich bin ein Berliner."