Von wegen Weihnachten in Berlin
4. Dezember 2017Halleluja!! Gehen in Berlin so die herzerwärmenden Weihnachtsgeschichten? Zwei Schlagzeilen aus den letzten Tagen: Massenprügelei vor einer Imbissbude, Massenentlassungen bei Siemens.
Reizgas statt Lebkuchen in Berlin Marzahn
Während überall in der Stadt Weihnachtsbäume aus dem Boden sprießen und die Glühweinquellen munter sprudeln, hat die frohe Botschaft längst noch nicht alle erreicht. Vorweihnachtlicher Frieden und Besinnlichkeit? Erschreckend viele Berliner halten wohl wenig davon, wie ich fast täglich in der Zeitung lese. Zum Beispiel die gut 50 Jugendlichen, die sich jetzt vor einer Imbissbude im Ostberliner Stadtteil Marzahn ausgiebig geprügelt haben. Laut Polizeibericht hielten sie Messer und Reizgas in ihren Händen. Lebkuchen und Eierpunsch waren für sie keine Versuchung.
Die Weihnachtsbotschaft missverstanden hat wohl auch der reiche und derzeit extrem erfolgreiche Siemenskonzern. Er schickte seine Weihnachtsmänner schon vor der Zeit in die Hauptstadt. Mit vorgezogenen Bonuszahlungen? Nein, mit Kündigungen für 870 Angestellte. Die gehen jetzt zum Demonstrieren auf die Straße anstatt zum Weihnachtseinkauf in die Shoppingmalls.
Oh du fröhliche? Dieses Weihnachtslied bleibt in Berlin wohl so manchem im Halse stecken.
Solche Gedanken gehen mir durch den Kopf, wenn ich durch das nächtliche Berlin laufe, über weihnachtlich durchdekorierte Prachtstraßen wie den Kudamm. Da will sich das Gefühl von weihnachtlichem Frieden und von Geborgenheit nicht so recht einstellen. So geht es auch anderen Berlinern. Mindestens einen Grund für unsere Weihnachts-Melancholie haben wir hier in Berlin alle. Denn in diesem Jahr ist alles anders: Am 19. Dezember jährt sich der Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz, direkt unterhalb der mächtigen Gedächtniskirche.
Dem Terror nach dem Berlin-Attentat trotzen
Damals starben 12 Menschen, als der Terrorist Anis Amri mit einem LKW mitten in die Menge der feiernden Weihnachtsmarktbbesucher fuhr. In diesem Jahr fällt es mir nicht leicht, dort wieder hinzugehen. Es wird ein Denkmal für die Ermordeten geben. Und bei der Eröffnung des Weihnachtsmarktes macht Berlins Regierender Bürgermeister Mut. Aber es kann jeden treffen, immer wieder, auch jetzt. Und ich frage mich, was größer ist: Der gefühlte Kloß in meinem Hals oder die Poller, von denen viele rund um den Weihnachtsmarkt aufgestellt wurden. Mächtige Betonpoller, die damals den LKW von Amri vielleicht hätten stoppen können. Genau dort, wo es passiert ist, hat in diesem Jahr Kerstin Pham ihren Stand aufgebaut. "Magnetix Wellness" heißt er. Pham erzählt mir, sie habe sich ganz bewusst für diesen Stanadort entschieden. Sie glaubt an die Macht positiver Gedanken und will der Angst etwas entgegensetzen.
Das mag ich an den Berlinern: Sie sind mutig und nicht so leicht einzuschüchtern. Und wie ich, bereit, der vorweihnachtlichen Tristesse zu trotzen.
Dabei finde ich unverhofft noch einen Verbündeten. Es ist ein Berliner Rentner, dessen handschriftliche Suchanzeige durch das Foto einer Facebook-Nutzerin inzwischen viele tausend Menschen erreichte und anrührte: "Wo findet einsamer Rentner, Witwer, im kleinen Kreis zu Weihnachten einen Platz zum Mitfeiern?" Angebote gab es dann viele. Und er hat ihn am Ende gefunden, seinen Platz zum Mitfeiern.
So ist es dann doch noch gekommen. Der Rentner bekommt sein Weihnachtswunder und Berlin seine herzerwärmende Weihnachtsgeschichte.