Am Ende ein Hinterzimmer-Deal
Es ist ein unerwarteter Sieg für Angela Merkel. Seit rund 50 Jahren gab es keinen Deutschen mehr an der Spitze der EU-Kommission, Ursula von der Leyen wäre die erste Frau in dem Job und sie gehört zur konservativen Parteienfamilie. Wenn die Bundeskanzlerin dieses Ergebnis von sich aus angestrebt hätte, wäre es wohl nicht zustande gekommen. Aber aus der Not geboren, nach dem Scheitern aller anderen Möglichkeiten, waren die EU-Regierungschefs erleichtert, dass sie sich am Ende auf den Namen einer akzeptablen Kandidatin einigen konnte. Und es war Emmanuel Macron, der Angela Merkel beisprang und von der Leyens Namen in die Runde warf. Wer aber scheiterte, war das EU-Parlament mit seinen Spitzenkandidaten.
Tiefer gespalten denn je
Was bei diesem Gipfel völlig fehlte, war der Geist des Kompromisses. Und das lag vor allem an den Visegrad-Staaten. Sie traten lautstärker auf denn je und taten alles, um die Chancen des sozialdemokratischen Kandidaten Frans Timmermans zu zerstören. Er hat als EU-Kommissar die Rechtsstaatlichkeit höher gehalten als ihnen lieb war und sie wegen ihrer Verstöße verfolgt. Das ist unverzeihlich in den Augen der Nationalisten in Warschau und Budapest. Und sie bekamen Verstärkung von der populistischen Regierung in Rom. Das ist eine neue Konstellation, die in der EU noch für viel Ärger sorgen wird.
Nun könnte man vor Wut in die Tischkante beißen, dass ein aufrechter Demokrat wie Timmermans am Widerstand von Orban und der polnischen PiS-Partei gescheitert ist. Aber die Regierungschefs wollten keine Entscheidung gegen größere Mitgliedsländer erzwingen, wie Angela Merkel klar machte. Rechnerisch wäre es knapp möglich gewesen.
Die tagelangen Diskussionen im Rat der Regierungen aber sind ein Vorgeschmack auf die nächsten Jahre: Es mehr wird Streit und Uneinigkeit geben. Einige osteuropäische Länder wollen eine grundlegend andere Politik. Sie sind gegen das Modell der liberalen Demokratien als gemeinsame Basis und gegen ein weiteres Zusammenwachsen Europas. Und jetzt sind genug Störer zusammengekommen, um die Abläufe und die Entscheidungen der EU immer wieder zu untergraben und infrage zu stellen.
Am Ende ein Hinterzimmer-Deal
Für das Scheitern des konservativen Kandidaten Manfred Weber aber war weitgehend der französische Präsident verantwortlich. Er hatte früh zu erkennen gegeben, dass er ihn für zu leicht und unerfahren hielt. Er brachte Spanien und die Skandinavier auf seine Seite mit dem Ziel, die Vorherrschaft der Konservativen in der EU-Kommission nach 15 Jahren zu brechen. Das ging am Ende zwar auch schief, aber er zeigte sich immerhin kompromissbereit und akzeptierte die deutsche Verteidigungsministerin.
Die dritte Kandidatin aber, die liberale Dänin Margrethe Vestager, hoch geachtet als bisherige Wettbewerbskommissarin, scheiterte am Widerstand der Italiener. Sie war ihnen einmal in einer Bankensache in die Quere gekommen. Hier zeigt sich, dass das Postengeschacher in Brüssel auch noch zum Anlass für individuelle Vergeltungsaktionen geworden ist. Das ist Zeichen für den Charakter dieser italienischen Regierung und zerstörte die letzte Chance, einen der Spitzenkandidaten zum Zuge kommen zu lassen.
Augen auf bei der Kandidatenwahl
Für das Parlament ist dieses Spektakel aber ein einziges Desaster. Es wollte die Wahl des Kommissionspräsidenten demokratisieren, für die Bürger nachvollziehbarer machen. Nun ist das jetzige Verfahren nur eine Krücke, weil angesichts nationaler Listen die Wähler mit einem Kandidaten aus einem anderen Land wohl noch nicht so viel anfangen konnten. Aber es wäre ein erster Schritt gewesen.
Die Bundeskanzlerin hat versucht, die Sache zu retten und sich zunächst auf die Seite der Sozialdemokraten geschlagen. Aber nachdem alle Spitzenkandidaten des EP gescheitert waren, blieb als Lösung nur noch eine Überraschungskandidatin. Das Problem ist hier die institutionelle Schwäche des Parlaments: Es hat keine Macht über den Posten des Kommissionspräsidenten, das bedeutendste Amt in der EU. Die Regierungen können einen Anwärter nominieren, die Volksvertreter müssen ihm oder ihr zustimmen. Beide Seiten müssten sich also einigen.
Die Lehre aus dem jetzigen Fiasko aber heißt: Augen auf bei der Auswahl der Kandidaten. Manfred Weber war ein schwacher Anwärter, denn ihm fehlte die Regierungserfahrung. Die konservative Parteienfamilie hätte andere Namen gehabt. Aber es gab eine Entscheidung aus Fraktionsdisziplin und langjähriger Verbundenheit. Das reicht eben auch nicht. Die Parteien müssen sich auch überlegen, welche Kandidaten sie für mehrheitsfähig halten. Und das gilt sowohl für die eigenen Reihen als auch für die Regierungen. Sie haben nicht einmal in den eigenen Reihen eine Mehrheit für einen ihrer Kandidaten zustande gebracht. Damit tragen sie eine Mitschuld an diesem Fehlschlag, der auch die Demokratisierung der europäischen Politik wieder um Jahre zurückwirft.