Kommentar: Cameron geht zu weit
7. November 2014Eigentlich ist die Sache klar: Großbritannien hat der Neuberechnung der EU-Beiträge zugestimmt. Die Konjunktur in Großbritannien hat sich in letzter Zeit weit besser entwickelt als erwartet. Jeder, der sich für das Thema interessierte, hätte absehen können, dass zusätzliche Zahlungen auf das Land zukommen würden. Premierminister David Cameron tat aber beim jüngsten Gipfel - dem Vernehmen nach nicht so sehr während des Gipfels, sondern erst hinterher - so, als sei das eine Überraschung und ein Riesenskandal. Dabei sind die Regeln für alle gleich. Wer mehr erwirtschaftet, muss mehr zahlen, wessen Wirtschaft schwächelt, wird geschont. Mehr noch, Großbritannien bekommt sogar seit 30 Jahren den vielbeneideten Rabatt auf seinen Anteil. Es gab also in der Sache keinen Grund für Cameron, sich so aufzuspielen, und für die anderen Staats- und Regierungschefs, ihm irgendetwas zu schenken. Zu Recht hat der deutsche CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber dazu gesagt: "Wenn Deutschland mehr zahlen sollte und alle anderen weniger, würden sich alle entspannt zurücklehnen und sagen: So sind die Regeln."
Die UKIP im Nacken
Doch es war richtig, dass die anderen das politische Umfeld beachtet haben: Cameron steht seit Monaten gewaltig unter dem Druck der Euroskeptiker auf der Insel, gegenüber der EU hart aufzutreten. Im kommenden Mai wird ein neues Unterhaus gewählt. Die Konservativen befürchten Stimmenverluste an die britische Unabhängigkeitspartei (UKIP), die Großbritannien aus der EU führen will. Und schon in knapp zwei Wochen findet eine Nachwahl in einem englischen Wahlkreis statt, die der UKIP-Kandidat durchaus gewinnen könnte - es wäre für die Konservativen ein Menetekel. Mit anderen Worten, für Cameron hätte die Zahlungsforderung aus Brüssel zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen können. Er selbst hat gesagt, sie mache es ihm noch schwerer, seine Landsleute von den Vorteilen einer weiteren EU-Mitgliedschaft zu überzeugen.
Andere nehmen Nachteile in Kauf
Cameron hat nun ein erstaunliches Entgegenkommen von anderen Regierungen erlebt. Selbst der sozialistische französische Finanzminister Michel Sapin meinte: "Ich bin dafür, dass man jedes Land respektiert." Französische Regierungsvertreter sparen meist nicht mit Kritik am schwierigen Nachbarn und Rivalen, noch dazu, wenn sie parteipolitisch auf der Gegenseite stehen. Dabei haben bei Zahlungsverzögerungen der Briten all diejenigen den Nachteil, die etwas zurückbekommen, weil sie ihr Geld dann später erhalten. Dazu zählen Frankreich und Deutschland. Klar ist, die meisten in der EU wollen Großbritannien als Mitglied behalten. Sie fassen Cameron deshalb mit Samthandschuhen an. Der hat seinen Landsleuten versprochen, für den Fall seiner Wiederwahl bis Ende 2017 eine Volksabstimmung über die weitere EU-Mitgliedschaft abzuhalten. Bis dahin will er die EU möglichst in seinem Sinne umgestalten. Für einige der Reformvorstellungen haben andere Regierungschefs durchaus Sympathien. Doch Cameron ist jetzt mit seinen Forderungen zu weit gegangen. Das Angebot, den Betrag in zinslosen Raten abzubezahlen und sich damit über den Wahltermin im Mai zu retten, reicht ihm nicht. Er will nicht nur später zahlen, er will deutlich weniger zahlen, sagte er bei einem Besuch in Finnland, während die Finanzminister in Brüssel verhandelten. Noch ist nicht klar, ob er dabei bleibt. Wenn ja, dann wird sich kaum eine europäische Regierung darauf einlassen können.
Selbst Merkel wird's zu bunt
Ginge es nur um dieses Thema, wäre alles vielleicht nicht so schlimm. Aber Cameron geht den anderen Staats- und Regierungschefs mit allen möglichen Dingen auf die Nerven. Zuletzt wollte er zum Beispiel den freien Personenverkehr in der EU einschränken, um Armutseinwanderung einzudämmen. Damit biss er selbst bei der sonst ihm geneigten Bundeskanzlerin Angela Merkel auf Granit. Jetzt hat er gesagt, wenn der Zahlungsstreit einschließlich der Höhe nicht gelöst werde, "dann haben wir ein größeres Problem". Doch es ist vor allem sein Problem. Die allermeisten Europapolitiker wollen Großbritannien in der EU halten und machen alle möglichen Verrenkungen, um es Cameron leicht zu machen. Doch der Brite darf mit seinen Forderungen nicht zu weit gehen, sonst ist den anderen der Preis irgendwann zu hoch.