Man kann eine Krise auch herbeireden. Oder - wie im Fall von Corona - eine seit Monaten grassierende, unser aller Leben und Alltag verändernde Pandemie unnötig dramatisieren. Diese Gefahr besteht gerade in Deutschland, das im Kampf gegen das Virus im Großen und Ganzen bemerkenswert erfolgreich ist. Natürlich sind die seit Tagen wieder steigenden Zahlen gemeldeter Infektionen ein Grund zur Sorge. Aber hat wirklich jemand geglaubt, die seit Mai schrittweise eingeführten Lockerungen könnten spurlos an uns vorbeigehen? Welch naive Vorstellung!
Wer die Gefahr einer Ansteckung auf ein Minimum reduzieren will, muss sich total abschotten von der Umwelt. Je mehr Menschen wir also begegnen, desto größer ist logischerweise das Risiko, sich etwas einzufangen. Eine Grippe zum Beispiel. Wer sich bei kaltem Wetter gegen Husten und Schnupfen schützen will, zieht sich warm an und vermeidet nach Möglichkeit den Umgang mit erkälteten Menschen. Oder lässt sich gleich impfen. Trotzdem erkranken allein in Deutschland nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) jedes Jahr mindestens zwei Millionen Menschen an einer Grippe.
Besser eine späte Corona-Testpflicht als gar keine
Die Zahl der Infizierten kann sogar doppelt so hoch sein. Und weil jede Grippe-Saison (in Deutschland die Zeit von Ende Oktober bis Mitte Mai) anders verläuft, schwanken die Zahlen enorm. Auch die Zahl der Toten. Mal sind es einige hundert, es können aber auch über 20.000 sein. Und was hat das alles mit Corona zu tun, werden Sie jetzt vielleicht zu Recht fragen? Eine ganze Menge, denn bei allen zum Teil gravierenden Unterschieden lässt sich die Verbreitung jeglicher Viren beeinflussen und im günstigsten Fall eindämmen.
Deshalb gilt in Deutschland von Samstag an für Rückkehrer aus Risiko-Gebieten eine Corona-Testpflicht. Gut so! Allerdings stellt sich die Frage, warum diese Maßnahme erst jetzt kommt und nicht zeitgleich mit der Öffnung der Grenzen und des damit einsetzenden Reiseverkehrs Mitte Juni erfolgte? Die aktuell steigenden Infektionszahlen lassen sich nämlich auch, aber nicht nur damit erklären, dass ungetestete Rückkehrer das Virus unerkannt einschleppen. Noch aber ist die Lage im Vergleich zu den besonders schlimmen Monaten März und April vor allem aus medizinischer Sicht geradezu entspannt.
Wir haben schon viel über das Virus gelernt
Schockierende Bilder überfüllter Intensivstationen in Krankenhäusern oder gar Lastwagen voller Särge mit Corona-Toten blieben Deutschland aufgrund seiner schnellen und besonnenen Reaktion bisher zum Glück erspart. Und dabei kann es auch bleiben, wenn der Mix aus Maskenpflicht, Abstandsregeln, verstärkter Hygiene und jetzt eben auch einer Testpflicht funktioniert. Dafür aber sind alle verantwortlich. Gravierende Verstöße müssen schnell und nachdrücklich geahndet werden. Und für die politisch Verantwortlichen auf sämtlichen Ebenen - also von der Bundesregierung bis zur kleinsten Kommune - für sie alle gilt: Reißleine ziehen, bevor es zu spät ist.
Praktisch kann das bedeuten, die gerade nach dem Ende der Sommerferien in einigen Bundesländern wieder geöffneten Schulen notfalls kurzfristig wieder zu schließen. Aber bitte nur dort, wo es aufgrund hoher Infektionszahlen dringend nötig ist. Wie gut sich dadurch Corona-Hotspots in den Griff bekommen lassen, belegen die vorübergehenden Schließungen von Groß-Schlachthöfen oder landwirtschaftlichen Betrieben. Die dort oder in manchen Restaurants und religiösen Gemeinden festgestellten Infektionsherde waren aber auch lehrreich. Sie lenkten den Blick auf Missstände wie skandalöse Massenunterkünfte für Saison-Arbeiter oder mehr als nachlässige Gastronomen, die sich einen Teufel um Hygiene-Konzepte scheren.
Zweite Welle? Die erste ist nie verebbt!
Wenn in solchen Fällen konsequent reagiert wird und sich so viele wie möglich achtsam und rücksichtsvoll im Alltag bewegen, kann Deutschland von einem zweiten Lockdown verschont bleiben. Und wenn schon so oft von einer zweiten Welle die Rede ist - bitte genau hinschauen, wie groß die ist. Denn in Wirklichkeit ist die Corona-Welle seit ihrem ersten Auftauchen nie verebbt. Sie wurde aber - zum Glück - seit Mai immer kleiner. Nun wächst sie wieder an. Das müssen wir alle ernst nehmen und entsprechend darauf reagieren: mit Vorsicht, Vernunft und Verantwortung. Dann wird die Welle auch wieder kleiner.